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Neve Gordon, 2.6.10 The Nation
„Warum begrüßten sie uns nicht mit Muffins und Orangensaft?“ war die spöttische Frage meines Freundes, der den ganzen Morgen den Fernsehbericht über den Angriff auf das Hilfsschiff für Gaza verfolgt hat, bei dem neun Zivilisten ums Leben kamen und viele verwundet wurden. Wie eine Gruppe Piraten im Mittelmeer griff die israelische Marine humanitäre Hilfsschiffe in internationalen Gewässern an –und israelische Offizielle und Kommentatoren waren total überrascht, als die Passagiere sie nicht mit offenen Armen empfingen. Geht man durch die sog. Hintergrundseiten der Zeitungen - so scheint es - als ob die meisten Juden in Israel erstaunt waren.
Später hielt der Außenminister Avigdor Lieberman eine Pressekonferenz, bei der er zwei aufschlussreiche Erklärungen abgab. Erstens behauptete er, dass kein Land einer fremden Macht erlauben würde, seine souveränen Grenzen zu gefährden . Diese Behauptung jedoch deckt die Lüge bez. Israels Gazapolitik auf.
Israel muss sich ein für alle Mal entscheiden, ob es sich im August 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat oder nicht. Wenn es dies getan hat, und der Gazastreifen ein autonomes Gebiet ist, wie Israel behauptet, dann ist der Versuch von Seiten humanitärer Schiffe, den Gazahafen zu erreichen, keine Verletzung der israelischen Souveränität. Wenn aber andrerseits Israel die Fahrt der Flotille in Gazas Hoheitsgewässer als eine Verletzung seiner eigenen souveränen Grenzen betrachtet, dann muss Israel zugeben, dass es die Herrschaft über Gaza nie aufgegeben hat. Liebermans Statement enthüllt mit andern Worten, dass Israel sich in der internationalen Arena als einmalig betrachtet, als die „nicht-souveräne Souveränität“. Wenn es ihren Interessen passt, behauptet die Regierung, es habe die Herrschaft über den Gazastreifen aufgegeben, wenn es nicht in ihrem Interesse liegt, dann behauptet sie mit Nachdruck seine Souveränität. Lieberman sollte daran denken, dass zur Souveränität Verantwortung gehört. Wenn Israel gestern Morgen tatsächlich seine Grenzen als Souverän verteidigte, dann ist Israel auch verantwortlich für das palästinensische Volk im Gazastreifen – für den Lebensunterhalt und für seine Sicherheit.
Liebermans zweite Erklärung war, Israels Militär sei die moralischste der Welt. Keine anderen Soldaten würden so rücksichtsvoll mit den Menschen an Bord der Schiffe umgehen.
Liebermann ignoriert praktisch die Tatsache, dass nach internationalem Gesetz die israelischen Soldaten sich wie Piraten verhalten haben, denn ein unbewaffnetes Schiff mit humanitärer Ladung in internationalen Gewässern zu entführen, wird als Piraterie bezeichnet.
Außerdem wird seine zweite Beobachtung durch das weniger üble Argument fundiert; das israelische Militär hätte nämlich noch brutaler sein können, ist es aber nicht gewesen. Wie die große jüdische Philosophin Hannah Arendt aufgezeigt hat: politisch ist die Schwäche des Argumentes (für weniger Übles) immer jenes gewesen, dass jene, die das geringere Übel wählten, sehr schnell vergessen, dass sie Übles gewählt haben.“
(dt. Ellen Rohlfs)