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Amira Hass, Haaretz, 23.6. 15
In
unsern Häusern, Straßen, Arbeitsplätzen und Unterhaltungsorten gibt es tausende
von Leuten, die Tausende andere Leute getötet oder gefoltert
oder dies
beaufsichtigt haben. Ich schreibe „Tausende“ anstelle
des ungenauen „viele“ – ein Ausdruck für
etwas, das nicht gezählt/ gemessen werden kann.
Die
große Mehrheit derjenigen, die töteten und folterten, sind stolz auf ihre Taten
und ihre Gesellschaft und ihre
Familien sind stolz auf ihre Taten – obwohl es gewöhnlich unmöglich ist, die
direkte Verbindung zwischen den Namen der Toten und Gefolterten und denen, die
töten und foltern herauszufinden. Und wenn es möglich ist, dann ist es verboten
„Mörder“ zu sagen. Und es ist verboten
„zwielichtig“ oder „grausame Leute“ zu sagen.
Ich,
grausam? Schließlich sind unsere Hände
nicht voller Blut, wenn wir auf den Knopf drücken, was eine Bombe auf ein Haus
fallen lässt, in dem 30 Leute einer einzigen Familie leben. „Zwielichtig“ Wie
können wir dieses Wort für jemanden benützen, um einen 19Jährigen zu
beschreiben, der einen 14Jährigen Jungen tötet, der draußen essbares Grünzeug
sucht.
Die
jüdischen Mörder und Folterer und ihre direkten Vorgesetzten handeln mit
offizieller Genehmigung. Die palästinensischen Toten und Gefolterten, die sie im
Laufe der letzten 67 Jahre hinter sich gelassen haben, haben auch
trauernde Familien, für die die Trauer ständige Gegenwart ist. In den
Universitätsgängen, in den Geschäftsstraßen, Bussen, Tankstellen und
Regierungsministerien wissen die Palästinenser nicht, wer von denen, denen sie
dort begegnen, ihre Familien-angehörigen getötet hat.
Was aber
klar ist: die Mörder und Folterer laufen frei herum – als Helden.
Bei
dieser grauenhaften Auseinandersetzung mit den Palästinensern über Trauer und
Schmerz können wir israelischen Juden nicht gewinnen. Mit unsrer Luftwaffe und
unsren gepanzerten Truppen, unsrer Givati-Brigade und unsern
berüchtigten
Elite-Kommando-Einheiten sind wir bei dieser Auseinandersetzung die Verlierer.
Aber da wir die unbestrittenen Herrscher sind, fälschen wir die Ergebnisse der
Auseinandersetzungen und weisen die Verluste uns zu.
Wir sind
nicht mit dem Land, den Häusern und der direkten Verbindung zu dem Ort
zufrieden, den wir von ihnen gestohlen, uns angeeignet
und zerstört haben. Wir zerstören, enteignen und stehlen
weiter. Nein, Wir leugnen auch die Gründe, den ganzen historischen und
sozialen Kontext der Vertreibung, Enteignung und Diskriminierung, die zu einer
sehr kleinen Gruppe von Palästinensern führte, die zu Bürgern Israels wurden,
die uns nachzuahmen versuchen, in dem sie zu den Waffen greifen. Sie täuschen
sich selbst, wenn sie daran denken,
dass Waffen die geeigneten Mittel für den Widerstand sind oder ein Wutausbruch
und Hilflosigkeit sie entscheiden lässt, Leben zu nehmen.
Ob sie
es bedauern oder nicht, ihre Täuschung hebt die Tatsache nicht auf,
dass sie jeden Grund haben bzw. hatten, gegen die Unterdrückung, die
Diskriminierung und die Boshaftigkeit zu sein, die
ein Teil von Israels Herrschaft über sie ist. Sie als Mörder zu
überführen, macht uns nicht zum kollektiven Opfer in der Gleichung. Statt die
Gründe für Widerstand zu reduzieren, intensivieren wir nur die Mittel der
Unterdrückung. Und dies bedeutet: Unterdrückung
ist unersättliche Rachsucht.
Der
Angriff auf das Al-Midan-Theater und das Stück „Eine parallele Zeit“ ist ein
Teil dieser Rachsucht. Es liegt auch eine Menge Neid darin. Neid auf die
Fähigkeit der Unterdrückten, die Unterdrückung und den Schmerz zu überwinden, zu
denken und zum Trotz unsres Bildes von ihnen als
den Untermenschen. Sie tanzen nicht nach unserer Flöte wie elende Schwächlinge.
Und wie
in einer antisemitischen Karikatur zielt alles auf das Feld. Wir bringen die
Leute nicht zum Schweigen, wir prahlen. Wir sind die Erleuchteten, wir
beschneiden nur ihre Finanzmittel. Wir machen sie zu einer Minderheit in unserm
Land, wenn wir sie vertreiben und ihnen nicht erlauben, zurückzukehren. Und die
20%, die jetzt noch hier leben, sollten Danke sagen und ihre Steuern für
Spiele zahlen, die den Staat und seine Politik loben. Das ist Demokratie.
Das ist
kein Kulturkrieg oder ein Krieg über Kultur. Es ist nicht
eine weitere Schlacht – wahrscheinlich eine verlorene Sache, wie die
vorausgegangenen Schlachten – über eine
vernünftige Zukunft für dieses Land. Die palästinensischen Bürger Israels
waren eine Art Versicherungspolitik für die Möglichkeit einer gesunden Zukunft.
Nenne sie eine Brücke, zweisprachig, pragmatisch, selbst gegen ihren eigenen
Willen. Aber wir müssen
Veränderungen machen, und wir
müssen wissen, wie wir ihnen zuhören
sollten, damit diese Sicherheitspolitik auch gültig wird. Doch wir, die
unbestrittenen Herrscher planen, nicht zuzuhören und erkennen die Bedeutung des
Wandels nicht.
Noch
eine Schlussbemerkung: Berichte über den Mord an dem
Bewohner von Lod, Danny Gonen bei der Ein-Bubin-Quelle in der Nähe des
Dir Ibizis-Dorfes waren begleitet von
Verbindungen von Angriffen vor kurzer Zeit: verletzte Leute bei einem
Terroranschlag in einem Tunnel nahe der Alon Shvut-Siedlung; der Grenzpolizist,
der nahe der Patriarchen-Moschee in
Hebron mit einem Messer verletzt wurde. Und was nicht
erwähnt wurde: Natürlich
zwei junge Palästinenser, die kürzlich von IDF-Soldaten getötet wurden: Izz
al-Din Gharra, 21, der am 10. Juni im Flüchtlingslager Jenin erschossen wurde
und Abdullah Ghneimat 22, der am 14. Juni in Kafr Malik von einem IDF-Jeep
überfahren wurde.
Im
Durchschnitt führen die IDF in jeder Nacht 12 Routine-Überfälle durch. Für die
Palästinenser ist jeder nächtliche Überfall, bei dem Betäubungs- und Gasgranaten
verwendet werden und geschossen wird, ein Miniterrorangriff.
(dt.
Ellen Rohlfs)