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Der israelisch-palästinensische Ausgleich von Brutalität

Amira Hass  (26.5. 13)

 

Keine der beiden Seiten will wissen, wie viele Kinder der andern Seite seit 2000 getötet wurden. Der folgende Artikel von Amira Hass  (26.5. 13) erinnert daran

Seit Beginn der 2. Intifada, die am 29.September 2000 ausbrach und bis 30. April 2013 ging, tötete Israel, die Besatzungsmacht im Gazastreifen und in der Westbank 1373 palästinensische Kinder unter 18 Jahren. Wie viele Soldaten, Kommandeure, Piloten, Drohnen-Operateure, High-Tech-Genies, Shin Bet-Agenten und Waffenverkäufer – private und von der Regierung – waren nötig, um 1375 Kinder zu töten.

Die Menschenrechtsgruppe B’Tselem liefert diese Zahlen nicht. Aber alle Zahlen und Analysen hier unten sind aus der sorgfältig zusammen gestellten Website von B’Tselem genommen: das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten.

Zunächst ein Kommentar zum Wort „Kinder“. Ich rede nicht über irgendeine klinische Definition von einem Minderjährigen und sicher nicht über die Unterscheidung, die die israelische Sprache zwischen Kindern und Jugendlichen macht, wenn man die palästinensischen Toten und Verletzten zählt. Hier ist die Eingebung des israelischen Diskurses, der  solange ein Kind  als Kind sieht, bis es die Tore des IDF-Einberufungszentrum passiert und sogar noch danach.

Während der letzten 13 Jahre hat die IDF 1043 palästinensische Kinder im Gazastreifen getötet; ja das schließt auch den 12jährigen Mohammed al-Dura mit ein. Er war das erste getötete Kind, das während  der 2. Intifada in Gaza am 30. September 2000 getötet wurde.

Aber keiner erinnert sich an das erste Kind, das die IDF in der Westbank am selben Tag tötete: Nizar al-Aydwh, 16 Jahre alt. Er nahm an keinen feindseligen Taten teil.  („Teilnehmer am Kampf“ sind nach B’Tselem Leute, die Raketen abgeschossen haben, mit Waffen schießen, mit Sprengstoffgürteln sich zwischen Zivilisten stellen oder auf dem Weg waren, so etwas zu tun – oder Leute, die einen Schusswechsel mit Soldaten hatten.  B’Tselem hat auch eine Kategorie für „Subjekte von gezieltem Töten“, also von Personen, deren Töten durch die Armee sich auf vertraulichen Geheimdienstnach-richten  beruhen, die B’Tselem nicht erhärten oder widerlegen kann.

Von 427 Kindern hatten zwei  an Kämpfen teilgenommen, bei einem weiß man es nicht genau, ob es daran teilnahm. Die übrigen  424 nahmen nicht am Kampf teil, als  Infanterie-Soldaten, Piloten, Drohnen oder Panzer sie töteten.

Die Zahl der Gaza-Kinder zwischen 14 und 18, die die IDF – im Auftrag der Bürger Israels -  während derselben Periode tötete, betrug 618.   99 nahmen am Kampf teil; von 22 weiß man es nicht genau; zwei waren  Subjekte von gezieltem Töten und 495 Kinder zwischen 14 und 18  hat die IDF getötet, obwohl sie in keine Feindseligkeiten verwickelt waren .

Auf der Westbank

Mittlerweile tötete die IDF 328 Kinder während dieser 13 Jahre. Von den 84 Kindern im Durchschnitt 13 Jahre alt, nahm eines an feindseligen Aktionen teil, 81 aber nicht und von zwei weiß man es nicht. Von Kindern im Alter von 14-18  wurden 244 getötet; 29 von ihnen beteiligten sich am Kampf, von 26 weiß man es nicht und 178 nahmen nicht daran teil.

Weiter 14 Kinder im Alter von 14-18 sind seit Mai 2012 getötet worden. Im Mai 2012 hörte B’Tselem damit auf, die palästinensischen Todesfälle in der Westbank zu klassifizieren, ob sie sich an einem Kampf beteiligten; die Organisation beschloss, dass es nicht mehr möglich war, die Situation als „feindselige Vorfälle“ anzusehen. B‘Tselem sagt, es sei gegen die Definition „Bewaffneter Konflikt“, um die Situation zu beschreiben und änderte noch 2012  seine Bezeichnung.

Das Lynchen  zweier israelischer Soldaten am 12 Oktober 2000 durch Palästinenser wird als ein Wendepunkt und ein Verbrechen angesehen. Es muss immer wieder wiederholt werden, da es uns viel über den Feind aussagt. Was Israelis gerne vergessen und nicht in den Ausgleich von Brutalität einschließen, ist, dass bis 12. Oktober  israelische Soldaten 17 palästinensische Kinder töteten und keines von ihnen an einem Kampf teilnahm.

Dies  sind 17  von 73 von den IDF getöteten Kindern in diesen zwei Wochen. Fünf der erwachsenen Toten nahmen an Auseinandersetzungen teil. Auch wenn B’tselem nicht weiß, ob 44 von ihnen an Kämpfen teil nahmen. Von 7 weiß man, dass sie nicht teilnahmen.

In den letzten 13 Jahren haben bewaffnete Palästinenser 129 israelische Kinder (bis 18 Jahre alt)  bei Selbstmordanschlägen, Schießerei, Raketenbeschuss und  Messerstechereien getötet. 50 dieser Kinder waren unter 13. Das kollektive palästinensische Gedächtnis vermeidet, die große Zahl unbewaffneter israelischer Zivilisten  und palästinensischer Kindersoldaten, die bei verschiedenen Vorfällen getötet wurden, aufzuschreiben.

Am 17. Januar 2001 wurde das 1. israelische Kind während der 2. Intifada getötet: Palästinenser erschossen aus der Nähe den 16jährigen Ofir Rahum.  Die Geschichte, wie er nach Ramallah gelockt wurde, hat sich tief ins Gedächtnis der meisten Israelis eingeprägt. Aber was sie nicht wissen wollen, ist, dass  bis Ende 2000 die israelischen Soldaten 86 palästinensische Kinder getötet haben.

Bis Ende Dezember 2000 bauten die Palästinenser 276 Trauerzelte – für Kinder und Erwachsene. 20 dieser Trauerzelte waren für Leute, die am Kampf beteiligt waren, 9 für Opfer von gezieltem Töten, 134 waren für Opfer, die sich nicht am Konflikt beteiligt haben und 113 waren für die, über die B’Tselem  nichts Genaues sagen konnte.

Was die Palästinenser betrifft, die 129 israelische Kinder töteten, deren Namen allgemein bekannt sind, so sind die meisten getötet worden oder sie sitzen lebenslang in Israels Gefängnissen. Die Soldaten, die 1373 palästinensische Kinder töteten, bleiben namenlos. Sie  leben weiter als freie Bürger, die ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland erfüllt haben.

(dt. Ellen Rohlfs)