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Für Israel ist Gefängnisstrafe für Palästinenser nicht genug     

Amira Hass 

2.5.12

 

 

 

Im weit entfernten kalten Finnland – sonst als das Krankenhaus vom Ramle-Gefängnis bekannt – hängt das Leben von vier Gefangenen, die  sich seit mindestens 60 Tagen im Hungerstreik befinden, an einem seidenen Faden. Fast 2000 Gefangene sind im Nafha-, Ashkelon-, Gilboa- und anderen Gefängnissen in Israel seit zwei Wochen im Hungerstreik. Allein die Tatsache ihrer Entscheidung, Nahrung zu verweigern und ihrer Bereitschaft, von den Behörden bestraft zu werden, erinnert an ihre Menschlichkeit.

Der israelische Gefängnisdienst hat sich keine große Mühe gegeben, diese Massenaktion vor israelischen Augen zu verbergen. Die große Mehrheit der Israelis stempelt alle verhafteten Palästinenser als gewissenlose Mörder  ab oder wenigstens als allgemeine Terroristen. Sie haben wenig Interesse an Handlungen persönlichen oder kollektiven  Mutes von Seiten der palästinensischen Verhafteten, die daran erinnern, dass sie Menschen sind.

 

Verwaltungshäftlinge werden ohne Verurteilung Jahre lang  nach Notregeln des britischen Mandats festgehalten. Das ist nicht der Rede wert. Hunderte Gefangene aus dem Gazastreifen haben ihre Familien seit sechs oder mehr Jahren  nicht gesehen. Warum  sollte sich jemand darüber aufregen?

Als Gilad Shalit im Gazastreifen gefangen war, wurde der Besuch von Gazagefangenen  in Israel als  „entsprechender Druck“ gestrichen. Nach Gilads Entlassung  kümmerten sich Israelis nicht darum, dass dieser entsprechende Druck weiterging und Familienbesuche nicht  wieder aufgenommen wurden. Na und? Warum sollten wir uns darum kümmern, dass Palästinenser  jahrelang in Isolationshaft gehalten  und daran gehindert werden , ihre Familien drei, fünf oder zehn Jahre sehen zu dürfen.  Jede normale Gefängnisverwaltung würde den Wunsch von Gefangenen, Studien an der offenen Universität wieder aufzunehmen, begrüßen. Studien verringern den Stress und die Spannung im Gefängnis. Aber der Name des „Spiels“ heißt hier  Unterwerfung.

Palästinensischen Gefangenen wird in israelischen Nachrichten nur dann Namen und Gesichter gegeben, wenn sie ihre „Verächtlichkeit“ demonstrieren können. Ihre Namen und Gesichter werden im Kontext mit ihrer persönlichen, Familien- oder nationalen Geschichte seit mehr als 60 Jahren nicht erwähnt: Vertreibung, Exil, Zerstörung ihrer Häuser, das Verletzen und Töten von Freunden oder Familienmitglieder durch israelische Soldaten oder Lappalien wie das Zusammenschlagen durch Soldaten oder Enteignung ihres Landes durch die Regierung – ist keine Nachricht wert.

Palästinensische Gefangene werden  nur nach der Anzahl ihrer lebenslangen Haftstrafen, die sie abbüßen müssen, erwähnt.  Aber Israels verehrte Armee-Generäle, im Ruhestand oder im Dienst sind verantwortlich für den Mord an viel mehr palästinensischen ( und libanesischen) Zivilisten, als  die Anzahl israelischer Zivilisten, die von palästinensischen Gefangenen getötet wurden.

Die Geschichte wird nicht länger mehr nur von den Siegern geschrieben. Die Eroberer entscheiden, wer der Held ist, wer der Soldat ist, der als Richter handelt und wer der Angeklagte ist, der zum Terroristen erklärt wird, bevor er verurteilt  ist. Die Palästinenser werden nicht als Kriegsgefangene anerkannt, deren Waffen viel weniger fortschrittlich,  viel weniger raffiniert sind als die ihrer Gefängniswärter.

Die Israelis sind  mit  verschiedenen Maßnahmen nicht  zufrieden, die Gefängnisbedingungen verschlimmern. Was die Palästinenser betrifft, genügt die Gefängnisstrafe nicht. Das Gefängnis muss auch  eine nie endende Rache sein, die sich ausdehnt, was Israel auch außerhalb seiner Mauern tut: das Kollektiv zu brechen, das Individuum zu schwächen, andere vom Widerstand gegen das fremde Regime abzuschrecken.

Der Hungerstreik ist in Wirklichkeit ein Protest gegen diese Ziele. Nicht alle palästinensischen Gefangenen haben sich dem Streik angeschlossen. Im Gefängnis wie außerhalb haben der Zusammenhalt nachgelassen und viele Insassen mangelt es am kulturellen und sozialen Bewusstsein ihrer Vorgänger. Trotz alle dem unterstreicht  der Hungerstreik die grundsätzliche politische Natur des Kollektivs der palästinensischen Gefangenen in Israel.

 

(dt. Ellen Rohlfs)