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Israels moralische  Niederlage wird uns noch viele Jahre verfolgen

Inzwischen sind mehr als 1000  Palästinenser getötet worden.  Wie viele denn noch? (1700)

Amira Hass, 28.7.14

Wenn der Sieg nach der Anzahl der Getöteten gemessen wird, dann sind Israel und seine Armee die großen Sieger. Vom Zeitpunkt, als ich diese Zeilen am Samstag schrieb, und bis zu dem Zeitpunkt, an dem du sie liest, wird die Zahl nicht mehr 1000 sein (70-80% Zivilisten), sondern noch mehr.

Um wie vieles mehr?  Zehn der 18? Drei weitere schwangere Frauen? 5 tote Kinder, deren Augen halb offen sind, die Münder offen, ihre Kleidung mit Blut bedeckt, werden auf Tragbaren weggetragen. Wenn Sieg bedeutet, dass der Feind mehrere ermordete Kinder auf eine Tragbare legen muss, weil es nicht genügend Tragbaren gibt, dann haben Sie, Herr Stabschef Benny Gantz und Sie Herr Verteidigungsminister Moshe Yaalon gesiegt – und die Nation bewundert Sie.

Und die Trophäe geht auch  an die Nation, die angefangen hat, die aber so wenig wie möglich berichtet, und zwar an so viele internationale Medien und an so viele Websites wie möglich. „Guten Morgen, es war eine ruhige Nacht“ verkündet das Armee-Radio freudig am Donnerstagmorgen. Am vorausgehenden Tag  kam die glückliche Nachricht: „Die IDF tötete 80 Palästinenser, 64 waren Zivilisten, einschließlich 15 Kindern und 5 Frauen. Mindestens  30 von ihnen wurden während derselben ruhigen Nacht von  überwältigendem  Schießen, Bombardieren und Feuern von der israelischen Artillerie  getötet. Dabei sind noch nicht die Verletzten mitgezählt oder die Zahl der zerbombten Häuser.

Wenn der Sieg nach der Anzahl der ausgelöschten Familien innerhalb von zwei Wochen  gerechnet wird – Eltern und Kinder,  ein Elternteil und ein paar Kinder, eine Großmutter, Schwiegertöchter und Enkelkinder und Sohn, Brüder und ihre Kinder in allen Variationen. Hier die Namen Al-Najjar, Karawa, Abu-Jame, Ghanne, Qannan, Hamad, aSli, AlAstal, al Hallaq, Sheikh Khali, Al-Kilani. In diesen Familien, in denen nur wenige die israelischen Bombenangriffe der letzten zwei Wochen überlebten, sind jetzt eifersüchtig auf ihre Toten.

Und lasst uns nicht die Lorbeerkränze für unsere Experten vergessen, jene, ohne die die IDF nicht voran gekommen wären. Dank ihnen wurde ein ganzes Haus – mit oder ohne Bewohner - in die Luft gejagt und leicht gerechtfertigt, wenn Israel eines der Familienmitglieder als geeignetes Ziel charakterisiert (sei es ein  Senior- oder Junior-Hamas-Mitglied, militärisch oder politisch, Bruder oder Familiengast)

„Wenn es nach dem Internationalen Gesetz legal ist,“ sagte mir ein westlicher Diplomat, geschockt von der Haltung seines eigenen Staates, der Israel unterstützt, „Dann ist das ein Zeichen dafür, dass im Internationalen Gesetz etwas nicht in Ordnung ist.“

Ein anderer Blumenstrauß für unsere Berater, die Graduierten der exklusiven Rechtsschule in Israel und der US und vielleicht auch noch der in England. Sie sind sicherlich diejenigen, die die IDF beraten, warum es erlaubt ist, auf palästinensische Ambulanz-Teams zu schießen und sie daran zu hindern, zu den Verletzten zu kommen. Sieben Mitglieder von Ambulanz-Teams, die auf dem Weg zu Verletzten waren, wurden von den IDF während  der zwei Wochen tot geschossen. Die beiden  letzten erst am Freitag. Weitere 16 sind verletzt worden. Das schließt nicht die Fälle ein, bei denen Die IDF feuerte, um  eine Mannschaft daran zu hindern, zur Szene des Desasters zu kommen -– da die Palästinenser ihre Verletzten nicht wirklich retten wollen; sie wollen wirklich nicht verhindern, dass sie unter den Trümmern zu Tode verbluten. Ist es das, was man so denkt. Eure anerkannte Intelligenz. Weiß unsere anerkannte Intelligenz, die während all dieser Jahre das Netzwerk von Tunnels nicht entdeckte, dass in jedem Ambulanzwagen, der direkt von der IDF getroffen wurde wirklich bewaffnete Palästinenser waren? Und warum ist es erlaubt, einen verletzten Soldaten zu retten, auf Kosten eines ganzen bombardierten Stadtteils; aber es ist nicht erlaubt, einen älteren Palästinenser, der unter Trümmern liegt, zu retten.  Warum ist es verboten, einen bewaffneten Mann, oder genauer einen palästinensischen Kämpfer zu retten, der verletzt wurde, während eine fremde Armee seinen Stadtteil überfällt?

Wenn ein Sieg am Erfolg gemessen wird, dass  1,8 Mill Menschen  traumatisiert werden– und zwar nicht zum ersten Mal und lebenslang – indem sie jeden Moment  damit rechnen müssen, getötet zu werden – dann habt ihr gesiegt.

Diese Siege führen zu unserer moralischen Implosion, die ethische Niederlage einer Gesellschaft, die sich jetzt mit keiner Selbstkontrolle beschäftigt, sich  aber in Selbstmitleid  über verschobene Flüge suhlt und sich selbst mit dem Stolz der Erleuchteten aufpoliert. Dies ist eine natürlich  trauernde Gesellschaft, weil mehr als 40 Soldaten getötet worden sind; gleichzeitig verhärtet sie ihr Herz und ihre Gesinnung vor all dem Leiden und dem moralischen Mut und Heldentum des Volkes, das wir angreifen.  

Ein Freund aus Gaza schrieb: „Bei all dem Leid  und den Todesfällen gibt es viele Ausdrucksweisen von Zärtlichkeit und Freundlichkeit. Die Menschen helfen einander, trösten einander. Besonders die Kinder suchen nach dem besten Weg, ihre Eltern zu unterstützen. Ich sah viele Kinder, nicht älter als 10 Jahre alt, die ihre jüngeren Geschwister umarmten, trösteten und die versuchten, sie vom Horror abzulenken. So jung und doch schon so verantwortlich gegenüber anderen. Ich traf kein einziges Kind, das nicht jemanden verloren hat – ein Elternteil, die Großmutter, einen Freund, eine Tante oder einen Nachbarn. Und ich dachte: Wenn die Hamas aus der Generation der 1. Intifada herauswuchs, wenn die jungen Leute, die Steine warfen und angeschossen wurden aus der Generation herauswuchsen;  wer wird dann aus der Generation wachsen, der die Erfahrung der wiederholten Massaker der letzten sieben Jahre gemacht hat?“

Unsere moralische Niederlage wird uns noch viele Jahre verfolgen-

(dt. Ellen Rohlfs)