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Jerusalem oder Gaza – wo ist es schlimmer für
einen Palästinenser?
Amira Hass, 13. 9.10, Haaretz
http://www.haaretz.com/print-edition/features/Jerusalem-or-gaza-where-is-it-worse-to
( Dies schließt
das Abgeschnittensein von Wasserquellen und von Kulturellem, Sozialem und
von Familienbanden jener Bewohner
ein, die noch Verbindungen mit
ihrem Volk haben.) Oder den Zynismus, mit dem die Entscheidungsträger
fortfahren, die Bevölkerung von Ost-Jerusalem zu
Sozialempfängern und Slumbewohnern zu machen und dann stolz darauf zu
sein scheinen, ihnen Sozialhilfe zu gewähren.
Ein Besuch im Vorort von
Isawiyah entschied das Problem. Haufen von Zement, nicht eingesammelter Müll,
Straßen die immer enger werden, weil
an die Gebäude angebaut wird
– die Bewohner werden dazu gezwungen, da sie keine Baugenehmigungen erhalten,
und unbebaute Grundstücke enteignet werden. All dies liegt in Sichtweite des
Campus der Hebräischen Universität und des French Hill, die so grün sind,
reichlich Platz haben und so zivilisiert aussehen.
Unsichere Orte
Und jetzt ein Bericht von
der Association for Civil Rights (Gesellschaft für Bürgerrechte),, der meine
Entschlossenheit bestärkte: der Bericht
stand unter dem Titel „Unsichere Orte“. Das Versäumnis der israelischen
Behörden, zwischen den Siedlungen in Ost-Jerusalem die Menschenrechte zu
schützen“ gründet sich auf Zeugenaussagen, Medienberichte und offizielle
Dokumente. Es verdeutlicht den Verlust von persönlicher und kollektiver
Sicherheit in Jerusalems palästinensischen Stadtteilen, wo sich mittendrin
feindselige Gruppen während der letzten 30 Jahre angesiedelt haben – Siedler,
die von Millionären, religiösen und archäologischen Gesellschaften angesiedelt
wurden.
Etwa 2000 solcher Leute
leben in befestigten, gut bewachten
Komplexen mitten in palästinensischen Stadtteilen wie Silwan, Sheik Jarrah und
im muslimischen Viertel der Altstadt – und es werden noch mehr werden. Das Leben
im palästinensischen Jerusalem wird von der israelischen Statistik geprägt: 65%
der palästinensischen Stadtbewohner leben unter der Armutsgrenze, verglichen mit
30,8% der jüdischen Stadtbevölkerung; und 74,4% der palästinensischen Kinder
Jerusalems leben unter der Armutsgrenze, verglichen mit 45,1%
jüdischer Kinder in der Stadt.
Den palästinensischen
Stadtteilen fehlt es an 1000 Klassenzimmern; 50 % der Schulkinder
verlassen die Schule frühzeitig; und 24 500 ar privates Land
- mehr als ein Drittel des von Jerusalem annektierten und aus arabischen
Besitz beschlagnahmten Landes, auf dem mehr als 50 000 Wohneinheiten allein für
Juden gebaut wurden.
Die Behörden, die
Palästinenser am Bauen und Entwickeln ihres Landes hindern, weisen unbebaute
Grundstücke an Juden – nicht nur außerhalb des bevölkerten Gebietes, sondern
auch mitten drin. Diese Lücken werden
für Parkplätze oder für Unterhaltung, für archäologische Grabungen oder
zum Bauen angewiesen.
All diese Nachbarn werden
von den Behörden besonders „geliebt“, Konfrontationen bleiben nicht aus, weshalb
das Haus- und Bauministerium Hunderte
bewaffneter Wächter den Juden auf Kosten der Öffentlichkeit ( etwa 54
Millionen NIS 2010) zur Verfügung stellt. Wenn
sich Palästinenser bei der Polizei über Schikanen beklagen, werden sie
selbst wie Verdächtige behandelt. Wenn sie die Polizei rufen, haben sie das
Gefühl, die Offiziere beeilen sich überhupt nicht, an Ort und Stelle zu kommen.
Und wenn die Polizei die Fälle untersucht, in denen Juden verdächtigt werden,
physische Schmerzen verursacht zu haben, dann werden diese Gerichtsfälle schnell
geschlossen . Auf diese Weise werden die Palästinenser der Gnade der
aggressiven, streitlustigen und offiziell sanktionierten Eindringlinge
überlassen.
Absolventen der Shin Bet
–Sicherheitsdienste sind stolz darüber, wenn sie in der Lage sind, arabische
Sprichwörter zu zitieren. Sie behaupten, sie könnten auf diese Weise arabische
Gesprächspartner gewinnen. Wenn es für euch so klingt, als wäre ich ein wenig
neidisch auf ihr sprachliches Training, das sie bekommen, dann habt ihr nicht
ganz unrecht. In meiner Schule – in der Praxis – war ich
in der Lage, mir nur ein
paar arabische Sprichwörter
einzuprägen.
Eines lernte ich von einem
der vielen Dorfbewohner, der gerade eine Enteignungsorder seines Landes in
Händen hielt. Er saß am Eingang seiner Wohnung und sah aus, als würde er an
einer Beerdigung teilnehmen: „Bei wem kann sich ein Weizenkorn beschweren, wenn
der Hahn der Richter ist?“ sagte er, als er auf meine dumme Frage antwortet, was
er nun zu tun gedenke.
Dieses Sprichwort ist in
Situationen sinnvoll, wenn alle
anderen Wörter vergeblich sind. Zum
Beispiel in einem Militärtribunal, das verurteilt und Demonstranten verhaftet,
die gegen den Raub ihres Landes protestieren wie Adib und Abdullah Abu
Rahma.(Bilin)
Ein anderes, oft zitiertes
Sprichwort lautet etwa so: „Derjenige, der 40 Tage in einem Stamm lebt, beginnt,
sich wie dieser zu verhalten.“ Nicht genau, aber wie die Palästinenser, die
einige seltsame Wettbewerbe
durchführen, habe ich mich dabei entdeckt zu fragen, wer hat es schlechter unter
der israelischen Herrschaft.
Seit vielen Jahren dachte
ich, es gäbe nichts Schlimmeres als das Leben in Gaza. Ich habe sogar mit einem
Freund darüber gestritten, der behauptete, das Schlimmste ist, ein Palästinenser
mit israelischer Staatsbürgerschaft zu sein, weil „wir in der Mitte der Nakba
(Katastrophe von 1948)-Gegend leben und die tägliche Rassismus-Maskerade
als Demokratie erleben.
Aber seit mehr als einem
Jahr habe ich jetzt zwischen Gaza
und Jerusalem geschwankt. Das heißt, ich habe versucht, zu entscheiden, was
schlimmer ist: die Isolierung, die Israel Gaza auferlegt. Oder:
Die Wächter, die von einer
privaten Gesellschaft beschäftigt werden, denken, ihre Position erlaubt es
ihnen, Leute zu schlagen und zu schikanieren oder sogar zu schießen. Die Leute,
in deren Mitte diese befestigten
Bauten wuchern, haben Angst, nach draußen zu gehen. Verwandte und Freunde denken
zweimal nach, bevor sie sie besuchen kommen. Die komplexen Bauten sind auch
durch viel Lärm gekennzeichnet: an archäologischen Grabungsstellen wird bis in
die Nacht Krach gemacht. Tanzen und religiöse Feste werden von antiarabischen
Liedern begleitet.
Der ACRI-Bericht wurde der
Polizei und dem Haus- und
Bauministerium zur Prüfung
vorgelegt. Der Rechtsberater der Polizei, Roni Leibowitz bat die Organisation,
die Veröffentlichung noch hinauszuschieben, damit er noch spezielle Anklagen
überprüfen könne, sieben Tage seien zu kurz, um ernsthafte Untersuchungen
durchzuführen.
Sein erster Eindruck war,
der ACRI-Bericht „
beschreibe die Realität teilweise
tendenziös, er erzählt in versöhnlichem (?) Ton schwerwiegend
gewalttätige Vorfälle, die in Silwan vorfallen, dass es schon wie ein Wunder
sei, dass es da mit scharfen Waffen durch eine Terrorzelle, einen
Massenaufstand, durch Molotowcocktails oder Eisenstangen … noch keinen Todesfall
gegeben habe..
Außerdem sagt Leibowitz,
dass die Behauptungen über unzulängliche Behandlung von Seiten der Polizei
sich allein darauf gründet, dass bis jetzt nur die Zeugenaussagen
derjenigen gehört wurden, die als Verdächtige
dieser Vorfälle verhört worden sind, was offensichtlich zu
einer irrtümlichen Schilderung der Art und Weise der Situation führt.
Ariel Rosenberg, der
Sprecher des Ministeriums, leugnet
jegliche Behauptungen, dass Wächter die Palästinenser schikanieren und lobt ihre
Professionalität und die Instruktionen, die ihnen Zurückhaltung und Nachsicht
auferlegen.
„Im vergangenen Jahr,“
schreibt er ( allerdings), „hat sich die Situation in dem zur Diskussion
stehenden Gebiet bedeutend verschlechtert und die Wächter sind Zeugen von extrem
feindseliger Aktivität.“
(dt. Ellen Rohlfs)