Amira Hass, Haaretz, 25. 11.09
Es ist keine Überraschung,
dass die öffentliche Debatte über das Gesetz für eine biometrische
Datenbank die Tatsache ignoriert, dass
die israelischen Behörden die Palästinenser anstacheln, ihre biometrischen
Daten, Hand- und Fingerabdrücke, Gesichtszüge – Abstand zwischen Augen und
Nase - weiterzugeben. Seit 2005 sind
solche Daten in den magnetischen Karten enthalten, die seit 1989 als
zusätzliche Identitätskarten für Palästinenser eingeführt wurden.
Bis Juni 2008 war eine
Magnetkarte – zusammen mit der Standard-Identitätskarte - auch ein Beweis dafür, dass die
israelischen Behörden keine sicherheitsbezogenen Ansprüche gegenüber dem
Kartenbesitzer haben. Er oder sie konnten einen Antrag stellen für eine Reise nach Israel, Gaza, die
Westbank oder zu jüdischen Siedlungen und sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch
erhalten. Vor anderthalb Jahren als die palästinensische „Biometrisation“ eingeführt worden war und sie die Situation
begriffen hatten und hofften, dies würde die Bewegungsfreiheit und die Möglichkeiten verbessern, haben die israelischen Behörden ihre
ursprüngliche Funktion der Magnetkarte
völlig verändert. Sie hörte auf, für den
Besitzer ein Beleg dafür zu sein, dass ihm ein Zutritt (
wegen feindseliger Aktivitäten) nach Israel nicht verweigert wird .
Stattdessen wurde die Karte in ein Ding
verwandelt, um Informationen zu sammeln.
Dieses invasive Dokument
wird nun zusätzlich bei der raffinierten und institutionalisierten Kontrolle,
Quarantäne und Überwachung benützt,
denen Israel die besetzte palästinensische Bevölkerung aussetzt. Diese
Institution besteht aus territorialen Einheiten verschiedener Größen. Der
Gazastreifen und das besetzte Ost-Jerusalem sind territoriale Einheiten. Genau
so auch die Enklaven der Dörfer und Städte, umgeben vom Meer der Zone C (61%
der Westbank, unter israelischer Sicherheits- und Verwaltungskontrolle),
eingeklemmt zwischen Siedlerkolonien und
dem Sicherheitszaun. Betonmauern, Stacheldraht, Beobachtungstürmen,
Hunderten von Straßensperren aus Felsen- oder Erdhügeln, militärischen
Kontrollpunkten, die an den wenigen Zugängen
einer jeden territorialen Einheit liegen. Dies sind die sichtbaren
architektonischen Konturen institutionalisierter Quarantäne.
Die Techniken der
Überwachung sind eingerichtet, um ständig über jedes Individuum Informationen
zu bekommen. Da gibt es streng technische Methoden wie z.B. feste Kameras,
unbemannte Flugobjekte, Ballone, Abhörgeräte, Helikopter. Es gibt noch andere
Methoden, die direkt aus der Realität
der Besatzung herrühren – das palästinensische Bevölkerungsregister z.B. ist
unter der Kontrolle des israelischen Innen- und Verteidigungsministeriums. Die
Informationen über palästinensische Identitätskarten und Pässe - Geburtsdatum,
Adressen, Personenstand, Zahl der Kinder – ist nur
gültig mit dem Stempel dieser Ministerien. Wenn die IDF in ein privates Haus
oder in ein öffentliches Gebäude
einbrechen, konfiszieren sie wertvolle Dokumente, Hardware von Computer, komplette Archive und
Korrespondenz.
Dann gibt es noch die
personifizierten Techniken, Daten zu sammeln. Eine ganze Armee ist damit
beschäftigt, Spionage- und Detektivarbeit zu leisten: Inspektoren des
Nationalen Versicherungsinstitutes und Jerusalems Gemeindeakte in Ostjerusalem;
Shin-Beth-Offiziere, Experten für „Arabische Angelegenheiten“, der Zivilverwaltung
und ihre Feldinspektoren; Flughafenangestellte; und palästinensische
Kollaborateure.
Sogar scheinbar
freundliche Gespräche mit palästinensischen Behördenangestellten ergeben
reichliche Informationen. Jede Antragsnachfrage ist begleitet von einer Art
Verhör. Die israelischen Behörden wissen
über die intimsten Probleme von Ehepaaren Bescheid, über ihre Cousins
und Freunde im Ausland, wo sie arbeiten, wer der Nachbar ist, über den letzten
Willen und die Testamente, Krankenhausaufenthalte. Solche Informationen
gelangen in die Hände von Shin Beth-Offizieren, die für bestimmte Gebiete
verantwortlich sind, Koordinatoren der „Zivilverwaltung“ und
Armeebrigade-Kommandeure, die detaillierte Karten haben, in denen jedes Haus
eingezeichnet ist und deren Bewohner bekannt sind.
Seit Jahren entwickelte
Israel eine ganze Industrie von institutionalisiertem Voyeurismus
. Es ist ein bürokratischer Apparat, der Hightech benützt, der nicht nur
seine Kontroll-Methoden verbessert, sondern auch die Rechtfertigung für diese
bestehende Kontrolle herstellt.
Die israelische
Gesellschaft erfreut sich an diesen professionellen Voyeuren und ihrer
Erklärung, dass dies mit ihrem Sicherheitsbedürfnis zu tun hat. Doch die
Wahrheit ist, dass bei dieser vollkommenen Kontrolle über die Bewegungsfreiheit und persönliche Information und der
Fragmentierung der Gebiete in getrennte Einheiten, Israel eine Institution
geschaffen hat, deren Ziel es ist, die palästinensische Öffentlichkeit zu
beherrschen und zu disziplinieren und durch wirtschaftliche und emotionale
Mittel zu erpressen. All dies ist
beabsichtigt, um den palästinensischen Widerstand so weit als möglich einzuschränken und seine
Führung dahin zu bringen, sich Israel zu
ergeben.
(dt. Ellen Rohlfs)