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Interview mit Ilan Pappe: Wir können uns nicht
den Luxus leisten, länger zu warten
Interview mit Ilan Pappe und Florent und Frank
Barat
„Palestine Chronicle“
22. Dezember 2013
Florian Barat: Ilan, du bist ein Historiker; du hast zahlreiche Bücher
veröffentlicht, unter ihnen das berühmte und für einige Menschen kontroverse
Buch: „Die Ethnische Säuberung Palästinas“ (2006). 2007 bist du nach England
umgezogen, wo du augenblicklich an der Universität von Exeter Geschichte lehrst.
Du bist ein Teil dessen, was einige „die neuen Historiker“ nennen, die eine neue
Analyse und eine neue Narrative der Geschichte des Zionismus und Geschichte der
Errichtung Israels geben. Du hast einige radikale Positionen gegen den Staat
Israel eingenommen. Warum und wann hast du dich entschieden, auf Seiten der
Palästinenser zu stehen? Und was waren die Konsequenzen für dich als Israeli?
Ilan Pappe:
Den Standpunkt zu solch einem wichtigen Problem zu ändern, bedarf einer langen
Reise. Es geschah nicht an einem Tag und nicht aufgrund eines Ereignisses. Ich
habe in einem meiner Bücher, „Out of the Frame“, diese Reise vom Zionismus zu
einer kritischen Position gegenüber dem Zionismus beschrieben. Wenn ich ein
prägendes Ereignis wählen müsste, das meinen Standpunkt auf dramatische Weise
geändert hätte, so wäre dies der Angriff der Israelis auf den Libanon im Jahre
1982. Für uns, die wir in Israel aufgewachsen sind, war dies der erste
nicht-einvernehmliche Krieg, der erste Krieg, der ein Krieg der eigenen Wahl
war. Israel war nicht angegriffen worden. Israel griff an. Dann kam die erste
Intifada. Diese Ereignisse öffneten vielen Menschen die Augen auf verschiedene
Weise, die bereits schon einige Zweifel an dem Zionismus hatten, an der
geschichtlichen Version, die wir in der Schule gelernt hatten.
Es ist eine
lange Reise und wenn du sie auf dich nimmst, dann wirst du mit deiner eigenen
Gesellschaft konfrontiert, sogar mit deiner eigenen Familie und es ist keine
schöne Position, in der du dich befindest. Menschen, die Israel kennen, wissen,
dass es eine intime und dynamische Gesellschaft ist, so dass du es, wenn du
dagegen bist, in jeder Phase deines Lebens zu spüren bekommt. Ich glaube, dass
ist einer der Gründe, weshalb es für Menschen wie mich etwas länger dauert, an
den Punkt zu gelangen, wo du sagst, es gibt kein Zurück: du musst dich diesen
Ansichten anschließen, welche Konsequenzen das auch immer mit sich bringt.
Indoktrination
Frank Barat: Ich finde, was du über Israel sagst, sehr interessant. Die meisten
Nationen sind sehr gute Propagandisten, aber Israel hat dies auf einen anderen
Level gebracht. Ich kenne jemanden, den du auch kennst, Nurit Peled-Elhanan,
die, um der Welt das Ausmaß der Gehirnwäsche und Propaganda, die bereits in
einem sehr frühen Alter in Israel beginnt, aufzuzeigen, ein Buch über die Art
und Weise geschrieben hat, wie die Araber in Israels Schulbücher dargestellt
werden. Kannst du uns über diese Gesellschaft mehr erzählen, da du dies ja
selbst erfahren hast?
IP:
Tatsächlich. Es ist eine sehr indoktrinierte Gesellschaft, wahrscheinlich als
mehr die meisten anderen westlichen Gesellschaften und mehr als die
nicht-westlichen Gesellschaften. Es handelt sich nicht um Zwang, wenn die
Menschen indoktriniert sind; es ist eine mächtige Indoktrination von dem
Augenblick an, wo du geboren wirst, bis zu dem Augenblick, wo du stirbst. Sie
erwarten nicht, dass du da herausgelangst, weil du in diesem Strom schwimmst.
Was Nurit Peled Elhanan in ihren Büchern sagt, ist, dass du dieses Leben mit
einem Religiösen vergleichen könntest, der zum Atheist wird und trotzdem glaubt,
dass Gott vielleicht da ist und ihn strafen wird und dich strafen wird, wegen
Gotteslästerung und so weiter …. Es war so gewaltig.
Aber ich
glaube, es gibt einen Unterschied zwischen meiner Generation und der jetzigen
Generation von Nurits Söhnen und auch meinen eigenen Söhnen: sie wissen aufgrund
des Internets mehr als wir damals und was vor sich geht. Ich meine, dass es für
die Israelis heutzutage schwieriger ist, sich nur auf die Indoktrination zu
verlassen, obwohl sie einen guten Job machen. Es gibt nur sehr wenige junge
Menschen in Israel, die den Zionismus herausfordern. Ich hoffe, dass auch der
Welt bewusster geworden ist, was in der arabischen Welt vor sich geht: Du
dachtest, dass es geschlossene Gesellschaften wären, die nicht wüssten, was vor
sich geht, deshalb hoffe ich, dass sich das ändern wird, aber für uns, wir waren
wie in einer Seifenblase, wir wussten nicht, dass es noch eine andere Existenz
gab, es war sehr schwierig, da herauszukommen.
Frank: Ich nehme an, die ältere Generation, deine Generation...es ist so hart
für dich zu akzeptieren, dass du 30 oder 40 Jahre deines Lebens Unrecht hattest.
Du siehst die ganze Zeit über, dass immer die selben Menschen kommen zu jedem
einzelnen palästinensischen Ereignis.
Ich meine immer, sie wüssten genau so viel wie ich über Palästina und sie
würden die Fakten kennen. Wie kommt es, dass sie immer noch Israel so energisch
verteidigen? Ich denke, weil es eine so persönliche und emotionale Reise ist. Es
ist sehr hart für sie, wenn sie realisieren, dass sie Unrecht hatten, und das
ihr ganzes Leben lang aufgrund eines Mythos.
Bildunterschrift: Das arabische Erwachen (1938), von George Habib Antonius, einem libanesischen Ägypter und Verwaltungsbeamten des Britischen Mandats in Palästina, der eine der ersten und einflussreichsten Aufzeichnungen der Geschichte über die Revolten der arabischen Nationalisten geschrieben hat.
Ja und ich
denke, wir sollten auch darauf hinweisen, dass, wie bei jeder Kolonialsituation,
wo du einen Anti-Kolonialisten-Kampf hast, viel Gewalt in der Luft liegt. Wenn
du in einer bestimmten Art und Weise erzogen worden bist und die Politik und
Handlungen deiner eigenen Regierung die andere Seite dazu treibt, auch einige
Gewalttaten auszuüben, glaubst du, dass deine Sichtweise objektiv korrekt ist,
weil du siehst, dass es Selbstmordattentäter, Gewalt und Raketen gibt, die von
Gaza abgeschossen werden. Wir müssen auch verstehen, dass die Notwendigkeit, da
herauszukommen, debattiert und im Zusammenhang mit der permanenten Gewalt
geprüft wurde. Für Israelis ist es sehr schwer, zwischen der Gewalt und den
Erfahrungen und den Gründen für diese Gewalt zu differieren.
Eins der schwierigsten Dinge ist es, den Israelis zu erklären, was der
Grund und was die Folgen sind; was diese Gewalt herbeiführt und nicht (einfach)
die Gewalt anzusehen, als ob diese aus dem Nichts herauskommt und sie deshalb
keine andere Wahl haben, als zu sein, wo sie heute sind.
Frank: Das ist das Problem von Wissen und Bildung. Ich denke, dass es auch von
der Tatsache herrührt, dass die Mainstreat-Medien oder das Bildungssystem, in
Israel sogar noch intensiver, ihren Job machen, wenn du hörst, dass Menschen
sagen: „Was soll Israel tun? Die Hamas hat einhundertfünfzig Raketen pro Tag
nach Sderot geschickt, sie müssen darauf reagieren.“ Ich denke, dass in einer
Zeit, in der Geschichte sehr kurzfristig ist, wir reden nicht über sechs Monate,
wir reden über letzte Woche, die Gewaltspirale niemals aufhören wird, weil der
Job nicht getan ist, der Bildungspart ist nicht getan.
Das stimmt
und ich denke eine der größten Herausforderungen ist es, Raum für Israelis und
Menschen aus dem Westen zu finden, um fähig zu sein zu verstehen, wie alles
begann. Sogar die ersten zionistischen Siedler betrachteten, als sie kamen und
realisierten, dass das, was sie für ein leeres Land hielten oder zumindest als
eigenes Land ansahen, voller arabischer Menschen war, diese Menschen als Aliens,
als gewalttätige Aliens, die ihr Land einnahmen. Es ist diese Infrastruktur, die
sie über die andere Seite aufgebaut haben, die die Sichtweise und die Visionen
eines jeden Israelis nährt. Es ist eine Entmenschlichung der Palästinenser, die
im späten neunzehnten Jahrhundert beginnt. Wie kann man den Menschen erklären,
dass sie derzeitig ein Produkt dieser Entfremdung sind? Das ist eine der größten
Aufgaben für jeden, der sich in alternativer Bildung engagiert oder versucht,
israelischen Juden eine andere Information zu vermitteln...
Frank: Und das ist es, woraus deine Arbeit besteht, zur Geschichte
zurückzukehren, das Faktum und die Archive zu studieren. Einige Menschen, die
zur Geschichte zurückkehren, sagen, dass dieser Konflikt 1948 begonnen hätte,
andere sagen 1967. Ich möchte, dass du darüber sprichst, was der Geschichte nach
die erste palästinensische Intifada der späten '30-ger war, und der Aufstand,
der sich hauptsächlich gegen den Imperialismus der Engländer und auch gegen die
riesige zionistische Einwanderung richtete.
Ich denke,
es ist wichtig, noch weiter als in das Jahr 1916 zurückzugehen, um dies zu
verstehen. Du musst zurück ins späte neunzehnte Jahrhundert gehen, als der
Zionismus als Bewegung auftauchte. Er hatte zwei edle Ziele, eines war, einen
sicheren Platz für Juden zu finden, die sich in einer wachsenden Atmosphäre von
Anti-Semitismus nicht sicher fühlten, und das andere war, dass einige Juden sich
selbst als nationale Gruppe und nicht nur über die Religion definieren wollten.
Das Problem begann, als sie Palästina als Territorium auswählten, um diese
beiden Impulse umzusetzen. Weil das Land bewohnt war, war (für sie) klar, dass
sie dies mit Gewalt tun - und es von den unwürdigen Menschen entvölkern mussten.
Europas
„Jüdisches Problem“ in Palästina lösen
Bildunterschrift: 1930, ein früher Protest von Palästinensern bei der jüdischen Einwanderung
Es brauchte
Zeit, bis die palästinensische Gemeinschaft realisierte, dass das der Plan war.
Sogar die Balfour Erklärung weckte die Menschen, als diese am 17. November 1917
angenommen wurde, nicht auf und brachte die Palästinenser nicht dazu, gegen die
britische Politik oder die zionistische Strategie zu revoltieren. 1936 konntest
du bereits den Beginn des wahren Resultates dieser Strategie sehen: Die
Palästinenser wurden aus dem Land gerissen, das die zionistische Bewegung
gekauft hatte; die Palästinenser verloren ihre Arbeitsplätze aufgrund der
zionistischen Strategie, den Arbeitsmarkt zu übernehmen. Es war sehr klar, dass
das europäische Judenproblem in Palästina gelöst werden würde.
Alle diese
drei Faktoren trieben die Palästinenser zum ersten Mal dahin, zu sagen: „ Wir
werden dagegen etwas unternehmen“ und sie versuchten, zu revoltieren. Als dies
geschah, benötigte man die gesamte
Macht des Britischen Empire, um diese Revolte zu bewältigen. Sie brauchten dazu
drei Jahre; sie setzten ihr Repertoire von Aktionen gegen die Palästinenser ein,
die ebenso schrecklich war, wie die, die
später von den Israelis eingesetzt wurden, um die palästinensische
Intifada von 1987 und 2000 niederzuschmettern.
Frank: Dieser Aufstand von '36 war
ein richtiger Volksaufstand der „Falahin“, Bauern, die zu den Waffen griffen.
Beim Lesen deines Buches habe ich auch realisiert, dass dieser Aufstand, der so
gewalttätig niedergeschmettert wurde, der Haganah in den Jahren 1947 und 1948 zu
Hilfe kam. Die Palästinenser waren sehr schwach zu der Zeit, weil alle Führer,
alle potentiellen Kampfelemente getötet worden waren oder ins Exil gehen
mussten, im Jahre 1936.
Absolut.
Die palästinensische politische Elite lebte in den Städten von Palästina, aber
die Hauptopfer des Zionismus bis in die 1930-er waren im ländlichen Bereich.
Darum begann dort der Aufstand, aber es gab Sektionen der städtischen Elite, die
sich ihnen angeschlossen haben. Wie du sagtest, wies ich in einem meiner Bücher
daraufhin, dass die Briten die meisten von ihnen töteten oder inhaftierten, die
zur palästinensischen politischen Elite und zur militärischen oder potentiell
militärischen Elite gehörten. Sie schufen eine palästinensische Gesellschaft,
die 1947 ziemlich unfähig war, sich zu verteidigen, als die ersten zionistischen
Aktionen in dem Wissen, dass das britische Mandat zu Ende gehen würde, begannen.
Ich denke, dass die Unfähigkeit der Palästinenser, im Jahre 1948 Widerstand
gegen die ethnische Säuberung Palästinas zu leisten, die Folge davon war.
Bildunterschrift: Jüdische Waisenflüchtlinge in London 1946 – sicher, aber protestierend gegen die britische Politik, die jüdische Einwanderung nach Israel zu beschränken, worauf sie ihrer Meinung nach einen Anspruch hatten. Foto 2011 USA Holocaust-Gedächtnis-Museum.
Frank: Deine Arbeit als Historiker hat dir die Zerstörung der meisten Mythen
über Israel erlaubt. Einer der Mythen ist, dass Israel geschaffen wurde, weil
die Bibel es dem jüdischen Volk gegeben hat. Könntest du uns ein wenig über
Theodor Herzl sagen, der bekannt ist als einer der Gründer des Zionismus, der
überhaupt nicht religiös war und der noch nicht einmal Jiddisch sprach.
Das stimmt.
Der Zionismus hatte eine Komponente, die von den Historikern üblicherweise
vergessen wird. Diese war der Wunsch, das jüdische Leben zu säkularisieren. Wenn
du die jüdische Religion säkularisierst, kannst du später nicht die Bibel als
Rechtfertigung benutzen, um Palästina zu besetzen. Es war eine seltsame
Mischung, die ich gerne eine Bewegung nenne, die von Menschen gemacht wurde, die
nicht an Gott glauben; aber nichtsdestoweniger versprach Gott ihnen Palästina.
Ich denke, dass dies etwas ist, was der Kernpunkt der internen Probleme der
israelisch-jüdischen Gesellschaft heute ist.
Es ist auch
wichtig, zu verstehen, dass es sogar vor Herzl Menschen gab, die sich selbst für
Zionisten hielten, sich jedoch der Existenz der Palästinenser in Palästina
bewusst waren. Sie dachten an eine andere Art
von Verbindungen mit Palästina und von Lösungen gegen die Unsicherheit
der Juden in Europa, z.B. Ahad Ha'
Am (sein richtiger Name ist Asher
Ginzburg), der sagte, dass Palästina eventuell nur ein geistiges Zentrum sein
würde und dass die Juden, wenn sie sich in Europa unsicher fühlten,
irgendwo anders außerhalb Europas siedeln oder sich in einer sichereren
europäischen Gesellschaft niederlassen sollten. Eine signifikante Gruppe von
Menschen, die ihnen nicht erlaubte, dies zu tun, waren die christlichen
Zionisten. Sie existierten bereits in jenen Tagen und glaubten, dass die
Rückkehr der Juden nach Palästina Teil eines göttlichen Plans sei. Sie wollten,
dass die Juden nach Palästina zurückkehren, da dies das zweite Kommen des
Messias herbeiführen konnten. Sie waren also anti-semitisch, es war wie ein
Doppelstandard – sie konnten die
Juden in Europa zur selben Zeit loswerden. Ich denke, dies ist ein wichtiger
Zeitraum und wir sollten dorthin zurückkehren, um zu verstehen, inwiefern der
britische Imperialismus, der christliche Zionismus und natürlich auch der
jüdische Nationalismus als eine enorme Kraft zusammenspielten, die den
Palästinensern kaum Chancen ließ,
als diese eventuell ausbrach.... in dem späten neunzehnten Jahrhundert.
Frank: Wie du bereits sagtest, musst du Anti-Semitismus auch noch hinzufügen.
Wenn du Lord Balfour und die Politiker zu dieser Zeit (später im ersten
Weltkrieg) gehört hast, so wollten sie, dass die Juden in Palästina leben, weil
sie die Juden nicht in England oder anderswo in Europa haben wollten. Die
Geschichte ist ausschlaggebend. Wir sprachen einige Stunden zuvor über das
Wissen und die Art, wie es weitergegeben wird. Könntest du uns sagen, ob
Geschichte und Wissen, wenn sie
richtig gelehrt werden, Menschen aufklären und den Existenzkampf eventuell
verbessern können?
Bildunterschrift: Mitglieder der palästinensischen Sicherheitskräfte drapieren Fahnen auf die Särge von 91 Palästinensern, die von der IDF (Israelischen Verteidigungsarmee) getötet wurden, weil sie Angriffe auf israelische Ziele verübt haben, sagte ein israelischer Sprecher. Foto der AP
Ich denke,
wir haben bereits darauf hingewiesen. Wenn du keine historische Perspektive
hast, kein historisches Verständnis hast, und wenn du die Fakten nicht kennst,
akzeptierst du die Art der negativen Vorstellungen, die die Welt und die
Israelis von den Palästinensern haben. Ich werde dir ein Beispiel geben, darüber
– was palästinensischer Terrorismus genannt wird, der aus israelischer Sicht und
nach Meinung einiger aus dem Westen aus dem Nichts kommt: Wir wissen nicht,
weshalb diese Menschen gewalttätig sind, vielleicht, weil sie Muslime sind,
vielleicht ist es ihre politische Kultur. Nur, wenn du ein historisches
Verständnis hast, kannst du sagen: „Moment bitte, ich verstehe, wo diese Gewalt
herrührt. Ich verstehe die Ursache der Gewalt. Zur Zeit ist die Beseitigung
meines Hauses unter Zwang, eine Gewalttat. Vielleicht lag ich falsch, vielleicht
aber richtig, mit dem Versuch, mich mit Gewalt dagegen zu wehren, aber es
beginnt mit eben jener tatsächlichen Einwanderung in meinen Raum, dem Platz, wo
ich lebe. Diese Einwanderung wird begleitet von dem Wunsch, mich loszuwerden...
was kann ich (also) sonst tun?“
Manipulation von Wissen
Ich meine,
die historische Dimension ist zunächst wichtig für ein besseres Verständnis,
weshalb der Konflikt weitergeht. Der zweite Grund ist, dass wir niemals Erfolg
haben werden, politische Ansichten über das palästinensische Problem zu ändern,
wenn wir den Menschen nicht erklären, wie das Wissen (Information) manipuliert
wird. Es ist äußerst wichtig, weil du verstehen musst, wie bestimmte Worte
eingesetzt werden, z.B. wie „Friedensprozess“, , wie bestimmte Ideen über die
Medien verbreitet werden, wie „Die einzige Demokratie im Nahen Osten“, wie
„palästinensischer Primitivismus“ und so weiter. Du musst verstehen, wie diese
Formulierungen als Mittel eingesetzt werden, um das Wissen, das vorhanden ist,
zu manipulieren, um eine bestimmte Sichtweise zu bilden und zu verhindern, dass
eine andere Sichtweise aufkommt.
Ich meine,
in gewisser Hinsicht ist es ein Doppelstandard. Du musst die Geschichte vor Ort
verstehen, aber ebenso die Macht der Narrativen, wie sie konstruiert werden, wie
sie manipuliert werden und wie sie bekämpft werden können. Die Hauptnarrative
ist, dass die Israelis immer noch erfolgreich darin sind, diese Idee von einem
Land, dass eben nicht leer war, zu schildern, es war voller Menschen, die keine
richtige Verbindung zu dem Platz hatten und die Legitimität verloren. Sie
verloren einst die Legitimität, weil sie nicht dort waren, dann verloren sie
diese wieder, weil sie
in etwa
Beduinen und Nomaden sind, so haben sie sich nicht wirklich darum gekümmert ,
dann verloren sie diese erneut, weil sie gewalttätig sind, oder weil sie Muslime
sind und haben sie nach dem 9.11. verloren. Es gibt jederzeit die Wort- und
Ideen-Färberei, die dich zu überzeugen versuchen, dass es nichts ausmacht, was
auch immer die Israelis tun, selbst wenn du darüber nicht glücklich bist,
weil niemand auf der anderen Seite ist, der irgendetwas Legitimiertes zu
bieten hat, so dass alles von der Freundlichkeit der Israelis abhängt. Wenn du
sehr sorgfältig die Friedenssprache seit Oslo und sogar noch davor prüfst,
geht es dabei nur um Zugeständnisse Israels: die Formulierung lautet
:„Zugeständnisse“, Israelis machen den Palästinensern Zugeständnisse und dann
gibt es eine Friedenschance. Wenn dies der Ausgangspunkt ist, wird es nie
irgendeine Einigung geben. Ich falle in dein Haus ein, bin aber so edelmütig,
dich zurückkehren zu lassen und das Sofa mit dir an den neuen Platz zu stellen.
Das ist kaum ein Dialog, der den Konflikt lösen will: dies ist fast noch
demütigender als die Invasion selbst.
Frank: Historiker sind subjektiv, richtig? Zum Beispiel, wie können du und Benny
Morris sich bezüglich der Fakten von 47/48 einig sein, aber zu verschiedenen
Schlüssen kommen? Wie gehst du damit um?
Als erstes
meine ich, dass es eine faktische Infrastruktur ist. Wir alle müssen es wissen
und in dieser Hinsicht ist es gut, dass Benny Morris sich zumindest zu einer
Auseinandersetzung auf den Weg machte, um diese Idee auszusprechen, wovon du
jedoch den Nonsens, dass die Palästinenser das Land freiwillig 1948 verlassen
hätten, weglassen solltest. Es war eine faktische Debatte: Gingen sie freiwillig
fort oder wurden sie vertrieben? Was du von dieser Debatte hältst, wenn sie
weitergeht, ist, dass das nicht das wichtigste Problem ist, weil wir, bevor
Historiker in Israel erschienen, bereits wussten, dass die Palästinenser
vertrieben wurden, wir haben den Palästinensern nur nicht geglaubt. Es gab fünf
Millionen palästinensische Flüchtlinge, die uns sagten: „Wir wurden vertrieben“,
und wir sagten: „Nein, ihr seid Palästinenser, wenn ihr das sagt, glauben wir
euch nicht.“ Erst als die israelischen Historiker kamen und sagten: „Wisst ihr
was, sie haben Recht!“, denn sie hatten Dokumente, die das bestätigten, was die
Palästinenser sagten - dass sie
plötzlich die Wahrheit sagten.
Bild
vom Buch:
ILAN PAPPE
DIE
ETHNISCHE SÄUBERUNG PALÄSTINAS
Ilan Pappe
ist Israels tapferster und prägnantester Historiker,
mit den
meisten Prinzipien
Dies war
nur ein erster Schritt, das Wichtigste war nicht das, was geschah, sondern was
aus dem, was geschah, zu lernen war? Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Dies ist
eine moralische und ideologische Debatte, eine ideologische. Der künstliche
Versuch, zu sagen, dass die Historiker nur mit dem, was geschah umgehen können
und nichts darüber zu sagen, was die Konsequenzen davon sind, ist eine falsche
Einstellung, wie man an Benny Morris eigener Arbeit sehen kann. In seinem ersten
Buch schreibt er, dass ihm ein bisschen leid tut, was 1948 geschah, und in
seinem letzten Buch tut es ihm leid, dass die Israelis die ethnische Säuberung
nicht vollendet haben. Er hat nicht ein Faktum in seinen beiden Büchern
verändert, es sind die selben Fakten, aber in den Büchern werden sie sehr
unterschiedlich geschrieben:
ein Buch
mag den Gedanken einer ethnischen Säuberung nicht, das andere Buch befürwortet
sie, es rechtfertigt diese nicht nur in der Vergangenheit, sondern
befürwortet sie als Plan für die Zukunft.
Israel von
innen heraus ändern
Frank: Du bist 2007 nach Exter in England umgezogen, aber trotzdem fährst du noch sehr oft zurück nach Israel. Wie hat sich die Lage in Israel in den letzten paar Jahren entwickelt?
Die
Aufgabe, die jüdische Gesellschaft von innen heraus zu ändern, ist gewaltig.
Diese Gesellschaft scheint mehr und mehr in ihren Positionen fest verwurzelt zu
sein. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr verzweifele ich daran, sie von
innen heraus zu ändern. Andererseits gibt es immer mehr junge Menschen, die die
Realität in einer anderen Art und Weise erfassen. Es sind nur sehr wenige, aber
ich erinnere mich nicht daran, dass wir zuvor eine derartige junge Generation in
Israel hatten. So gibt es Anzeichen, dass es, obwohl die nahe Zukunft keine
Chance auf einen Wandel von innen heraus beherbergt, mit Druck von außerhalb
eine Gruppe von Menschen gibt, mit der man in der Zukunft potentiell eine andere
Gesellschaft schaffen kann. Wenn du
das Israel von heute mit dem Israel vergleichst, das ich verlassen habe, oder wo
ich aufgewachsen bin, so ist die Tendenz mehr chauvinistisch, ethnozentrisch,
kompromisslos, was uns alle glauben lässt, dass Frieden und eine Einigung sehr
weit entfernt sind, wenn wir uns nur auf unsere Hoffnung verlassen, dass die
jüdische Gesellschaft sich von innen heraus ändern wird.
Frank: Sollten wir deshalb all unsere Energie darauf konzentrieren, Druck von
außerhalb einzusetzen oder sollten wir immer noch versuchen, mit Israelis zu
sprechen, damit sie ihre Ansichten ändern?
Der Grund,
weshalb wir alle darüber debattieren, ist, weil die Zerstörungsmaschinerie vor
Ort keinen Tag lang still steht. Deshalb können wir uns nicht den Luxus leisten,
noch länger zu warten. Die Zeit ist auf unserer Seite. Wir wissen, dass während
wir warten, viele schreckliche Dinge geschehen. Wir wissen auch, dass es einen
Zusammenhang gibt zwischen den schrecklichen Dingen, die geschehen, und der
Realisierung der Israelis, dass an dem, was sie tun, ein Preisschild angeheftet
ist. Wenn sie keinen Preis zahlen müssen, für das, was sie tun, werden sie die
Strategie der ethnischen Säuberung sogar noch beschleunigen.
Daher ist
es eine Mischung. Wir brauchen dringend ein System, mit dem wir das, was jetzt
vor Ort geschieht, stoppen können, und um das, was geschehen wird, verhindern zu
können. Du benötigst ein mächtiges Druckinstrument von außerhalb. Soweit es sich
um Menschen von außerhalb handelt, die internationale Zivilgesellschaft, halte
ich die BDS-Bewegung für so gut, wie es geht. Doch es kann nicht das einzige
Instrument oder der einzige Faktor sein. Es gibt zwei zusätzliche Faktoren, um
es zu einem erfolgreichen Prozess zu machen. Einer ist auf Seiten der
Palästinenser. Die Frage der Repräsentation muss geordnet werden.
Du brauchst eine gute Lösung. Zweitens musst du eine Art Bildungssystem
haben, innerhalb (Israels) das jedoch Zeit braucht, um die israelischen Juden
über die andere Realität und den Nutzen, die diese ihnen bringen wird, zu
bilden. Wenn diese Faktoren alle gut zusammenarbeiten, und wir uns ganzheitlich
der Frage der Aussöhnung nähern, könnten sich die Dinge ändern.
Florent: Als Lehrer, wäre es dann nicht mehr von Nutzen, in Israel anstatt im Ausland zu unterrichten? Könntest du der Lehrer in Israel sein, der du in England bist?
Ich denke
nicht, dass ich irgendeiner Universität sein möchte. Universitäten sind nicht
der beste Platz, um Menschen über die Realität des Lebens aufzuklären oder ….
ihren Standpunkt zu ändern. Universitäten sind heutzutage ein Ort für die
Karriere, nicht für das Wissen und die Bildung. Ich unterrichte auch in Israel,
aber auf meine eigene Art, durch meine Artikel, durch die wenigen öffentlichen
Reden, die mir erlaubt werden. Ich möchte das fortsetzen. Ich habe das Gefühl,
dass das, was ich in England tue, zu dem Druck von außerhalb beiträgt und
weniger zur Bildung. du kannst keine BDS-Kampagne fortsetzen, ohne den Menschen
zu erklären, warum sie notwendig ist, um ihnen die Werkzeuge und den Hintergrund
zu geben, die sie benötigen, um diese zu verstehen, um diese zu legitimieren.
Wir hören nicht auf, ständig Erzieher und zugleich Aktivisten zu sein. Es
ist wichtig, zu versuchen, Zeit für Aktionen, die du durchführst, zu finden und
den Erziehungsprozess damit zu kombinieren. Wir dürfen nicht zu ungeduldig sein,
wenn die Menschen es nicht direkt tun. Wir müssen Geduld haben und unsere
Positionen immer wieder erklären, bis die Menschen sie verstehen.
Frank: Ich bin sehr an der Frage der Solidarität interessiert, an deren wahrer
Bedeutung. Als Nicht-Palästinenser, was bedeutet Solidarität? Mit wem sind wir
solidarisch? Was ist, wenn, wer
auch immer die Palästinenser repräsentiert, entscheidet, dass sie einen Staat
auf 11 % des historischen Palästinas und dass sie einen neo-liberalen
Kapitalistenstaat haben wollen. Inwiefern bin ich dann verpflichtet, mich damit
solidarisch zu erklären?
In erster
Linie bezieht sich die Solidarität auf die Opfer einer bestimmten Politik und
Ideologie, sogar dann, wenn diese Opfer nicht repräsentiert werden. Du bist in
Solidarität mit ihrem Leiden und du unterstützt ihren Versuch, aus diesem Leid
herauszukommen.
Wir müssen
sagen, wenn wir glauben, dass die Palästinenser sich irren
Nun wirfst
du eine interessante Frage auf. Ich meine, dass ein Teil der Solidarität
wie eine Freundschaft ist.
Als guter Freund kannst du deinem Freund sagen, dass du verstehst, was er tut,
aber dass du glaubst, dass er falsch handelt. Diejenigen von uns, die mit dem
palästinensischen Volk solidarisch sind, finden uns selbst, wenn wir mit guten
Freunden debattieren, die immer noch den Friedensprozess, die
Zwei-Staaten-Lösung, unterstützen, indem wir ihnen nicht zustimmen. Teil unserer
Rolle ist es, ihnen zu sagen, dass wir glauben, dass sie Unrecht haben. Die
Behauptung in deiner Frage ist nicht realistisch. Kein Palästinenser wird dem
jemals zustimmen.
Doch,
sollte das geschehen, ja, dann werden wir eventuell den gesamten Gedanken der
Solidarität neu überdenken müssen. Diese Debatten sind organisch und stammen aus
der Situation, wir erfinden sie nicht. Wenn du eine Position hinsichtlich ein
oder zwei Staaten hast oder darüber, welche Art der Mittel die Palästinenser
anwenden sollten, schließt du dich
Themen an, die die Palästinenser selbst haben und bist daher kein Außenseiter.
Du wirst deine Solidarität verraten, wenn du aufhörst, Stellung im Hinblick auf
die laufende und wichtige Debatte zu beziehen.
Ich weiß,
dass es manchmal eine nationalistische Position gibt, die besagt, dass du keinen
Kommentar abgeben kannst, weil du kein Palästinenser bist und somit nicht
berechtigt, eine Meinung dazu zu haben. Für mich werden Bewegungen von Menschen
gemacht und die Menschen unterscheiden sich voneinander. Nicht jeder wird das
Spiel nach den selben Regeln spielen. Ich glaube, dass Solidarität auch
bedeutet, eine Meinung zu haben, was richtig oder falsch ist, zu tun. Wo liegen
die Grenzen der Einmischung für Menschen von außerhalb? Es gibt darauf keine
dogmatische Antwort. Normaler Weise
kannst du nicht, wenn jemand etwas dergleichen sagt, für einen Staat sein, wenn
du kein Palästinenser oder Israeli bist, gewöhnlich ist es, um eine Debatte
anzuzetteln. Wir sollten nicht zu viel Zeit für diese Frage verschwenden. Im
Moment denke ich, dass jeder, der involviert ist, weiß, was Solidarität bedeutet
und was diese zu tun berechtigt.
Frank: Lass uns über die „Lösung“ sprechen. Gibt es jetzt eine wirkliche Debatte
darüber? Was die Institutionen, die Regierungen angeht, so scheint es so, als ob
die einzige Lösung, die auf dem Tisch liegt, die Zwei-Staaten-Lösung sei. Wenn
du einen Staat erwähnst, nennen die Menschen dich entweder einen Utopisten, oder
sie sagen, du seiest gegen die jüdische Selbstbestimmung. Sogar die sogenannten
palästinensischen politischen Führer unterstützen immer noch, trotz allem, was
vor Ort geschieht, eine Zwei-Staaten-Lösung. Die rationalere und menschlichere
Lösung, was ein Staat wäre, wird noch nicht debattiert und das Praktizieren,
das, wie man das realisieren kann, wird noch nicht genügend durchdacht.
Ich glaube,
dass zwei Dinge stattfinden. Das eine ist der Ausgang der palästinensischen
Repräsentation. Die Menschen, die beanspruchen, die Palästinenser der Westbank
zu repräsentieren, wurden die Repräsentanten des gesamten palästinensischen
Volkes. Soweit die Westbank betroffen ist, siehst du, weshalb eine
Zwei-Staaten-Lösung attraktiv ist. Sie könnte für ihr Leben das Ende der
Militärkontrolle bedeuten. Das kann man verstehen. Aber das ignorieren die
anderen Palästinenser. Die Flüchtlinge, diejenigen, die in Gaza leben und
diejenigen, die innerhalb Israels leben, das stellt eine der Schwierigkeiten
dar. Du hast bestimmte Gruppen von Palästinensern, die, in meinen Augen
fälschlicherweise glauben, dass dies der schnellste Weg ist, um die Besatzung zu
beenden. Ich glaube das nicht. Du
hast Recht, wenn du sagst, dass das Oslo-Abkommen die Fortsetzung der Besatzung
gesichert hat, und nicht deren Ende.
Der zweite
Grund ist, dass die Zwei-Staaten-Lösung ...(a logical ring to it?)
hat. Es ist eine gute westliche Idee. Eine Erfindung der Kolonialisten,
die in Indien und Afrika eingesetzt wurde. Diese Idee der Teilung, wohingegen
die nicht-westliche Welt eine bei weitem ganzheitlichere Welt ist. Es wurde eine
Art Religion in einem solchen Maße, dass du es nicht mehr in Frage stellst. Du
arbeitest aus, wie sie am besten dahin kommen können. Das ist überraschend.
Meiner Ansicht nach lässt dies sehr intelligente Menschen für eine Religion der
Logik halten. Wenn du die Rationalität in Frage stellst, wirst du kritisiert.
Darum halten viele Menschen im Westen daran fest. Nichts vor Ort würde jemals
ihre Meinung ändern. Natürlich hast du Recht. Fünf Minuten vor Ort , zeigt dir,
dass der eine Staat bereits vorhanden ist. Es ist ein nicht-demokratisches
Regime, ein Apartheidsregime. So musst du nur überlegen, wie du dieses Regime
ändern kannst. Du musst nicht über eine Zwei-Staaten-Lösung nachdenken. Du musst
überlegen, wie du die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften ändern kannst. Wie
die Machtstruktur vor Ort beeinflussen?
Frank: Richtig. So, wie du sagst, weshalb sagen sehr intelligente Menschen, sehr rationale, dass die Zwei-Staaten-Lösung der zwingend erforderliche Schritt, der unvermeidliche in Richtung einer Besserung ist. Ich ging zu Vorlesungen darüber, aber ich verstehe es immer noch nicht. Wie würde dies in der Praxis funktionieren?
Nochmals,
Es geht zurück auf eine westliche Art, die Realität zu sehen.
Sie besagt, dass ich mich nur für etwas einsetzen kann, was ich erreichen
kann, nicht, was ich will. In diesem Augenblick scheint es so, dass du eine so
große Koalition für eine Zweistaatenlösung hast, also setzt du dich dafür ein.
Sie werten nicht deren Moral, deren ethische Dimension, sogar, wenn es möglich
ist, die Realität später zu ändern. Es ist wie der jüdische Witz über die
Person, die ihren Schlüssel verliert und ihn nur dort sucht, wo Licht ist.
Nicht, wo sie ihn verloren hat. Die Zwei-Staaten-Lösung ist das Licht, nicht der
Schlüssel. Dort ist das Licht, so, lass uns gehen. Es hat mit Erleuchtung zu
tun. Diese ganze Idee, dass dies ein wahrer vernünftiger Ansatz ist.
Natürlich
ist es vernünftig in einem Punkt. Aber es ist total verrückt, weil es nichts mit
dem Konflikt zu tun hat. Es hat
etwas mit der Art und Weise zu tun, wie Israel will, dass die Welt diese Idee
akzeptiert, die 1967 konstruiert wurde, dass es das meiste von dem Land
benötigt, das es besetzt hat, aber dass es bereit ist, etwas Autonomie in diesem
Land den Palästinensern zuzulassen. Das ist die Debatte in Israel. Es geht nie
um Grundsätze. Das, was Israel von je her benötigt hat, ist die internationale
Unterstützung. Sie brauchen für ihre Strategien den Stempel der internationalen
Gemeinschaft. Sie brauchen auch einen palästinensischen Repräsentanten. 1993
überraschte sie die PLO, als sie einem kleinen autonomen Gebiet in einem kleinen
Teil der Westbank zustimmte und Israel den gesamten Rest
überließ. Das ist die Zwei-Staaten-Lösung, von der jeder uns glaubhaft
machen will, dass dies der einzige Weg vorwärts ist. Das Problem ist, dass kein
einziger Palästinenser damit leben kann, somit die Fortsetzung des Konfliktes.
Frank: Edward Said starb vor 10 Jahren. Er war einer der letzten Palästinenser,
mit Mahmoud Darwish, zu dem die Mehrheit der Palästinenser aufsah. Ich weiß, du
kanntest ihn gut. Könntest du uns am Ende einige Worte über Edward Said sagen
und die Rolle, die er in seinem Leben gespielt hat?
Wir
vermissen ihn sehr. Ich glaube nicht, dass nur die Palästinenser zu ihm wegen
seiner Inspiration aufsahen. Er war einer der größten Intellektuellen der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir alle schauten deshalb auf ihn bei
Fragen zum Wissen, Moral, Inspiration, Aktivismus, nicht nur hinsichtlich
Palästina. Wir vermissen seine ganzheitlichen Betrachtungsweise. Seine
Fähigkeit, Dinge von oben in einer positiveren Art zu sehen. Wenn du jemanden
wie ihn verlierst, hast du Menschen, die die Fragmentierung, die Israel den
Palästinensern auferlegt, hinnehmen und handeln, als ob das die Realität sei.
Was wir brauchen ist, die intellektuelle, physische und die kulturelle
Fragmentierung, die Israel uns, den Palästinensern und den Israelis auferlegt,
zu überwinden und danach zu streben, auf
etwas bei weitem mehr Organisches und Integriertes zurückzukommen, so
dass die dritte Generation jüdischer Siedlern und die Urbevölkerung Palästinas
eine gemeinsame Zukunft zusammen haben könnten.
Florent: Nun die letzte Frage. Ilan, arbeitest du gerade an einem Buch?
Freilich
habe ich einige. Eins von ihnen kommt nächsten Winter heraus. Es heißt „Die Idee
von Israel“ (Verso). Es ist eine Geschichte über die Produktion von
Wissen in Israel. Im Jahr 2015 wird mein Buch über Israels Geschichte der
Besatzung der Westbank, mit dem Titel „Mega-Gefängnis von Palästina“
herauskommen.
Aus dem
Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und Inga Gelsdorf
Englisches Original: http://jfjfp.com/?p=53792