Shraga Elam Sonntag / MLZ;
27.01.2008; Seite 21
In der kommenden Woche
dürfte sich der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern im Gazastreifen
verschärfen
Droht eine
Massenvertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen? Israelische Medien
bereiten die Bevölkerung auf eine Offensive vor, schreibt der israelische
Publizist Shraga Elam.
Jetzt kosten sie die
Freiheit, die sie sich am vergangenen Mittwoch mit Bulldozern erkämpft haben:
Auch gestern strömten wieder Tausende Palästinenser über die Grenze nach
Ägypten, um sich dort mit dem Notwendigsten einzudecken. Sie ignorierten
Aufforderungen der ägyptischen Führung, in den Gazastreifen zurückzukehren.
Doch die Sprengung der
ägyptischen Grenzmauer zum Gazastreifen ist wohl nur ein kurzfristiger Sieg der
Palästinenser, der sich schon bald als Eigentor entpuppen könnte. Schon jetzt
befindet sich die israelische Armee auch an der 200 Kilometer langen
israelisch-ägyptischen Grenze in erhöhter Alarmbereitschaft. Und die Lage
dürfte sich kommende Woche weiter verschärfen, wenn am Mittwoch der
Untersuchungsbericht der Winograd-Kommission über den
Libanon-Krieg im Jahr 2006 veröffentlicht werden.
Damit wird der Druck auf den israelischen Premierminister Ehud
Olmert erhöht, der im Bericht scharf kritisiert
werden wird.
Bereits im Vorfeld der
Veröffentlichung mehren sich Stimmen, die Olmerts
Rücktritt fordern. Der Premier braucht deshalb dringend eine Ablenkung, die
seine zahlreichen Gegner zum Schweigen bringt. Die Raketenangriffe radikaler
Palästinenser haben bis anhin willkommene Ausreden für die israelische Armee
geliefert, ihre Massnahmen gegenüber dem Gazastreifen
zu verschärfen. Schon seit mehreren Monaten wird öffentlich, auch von
Regierungsmitgliedern und Generälen, mit einer Grossaktion
in Gaza gedroht. Jetzt mehren sich die Indizien, dass eine solche Eskalation
kurz bevorsteht.
Gemäss der Zeitung «Ha’aretz» vom Freitag werden seit einigen Tagen
Journalisten informiert, dass im Gazastreifen bald eine grosse
Operation lanciert werde. «Ha’aretz» bezweifelt die
Zuverlässigkeit dieser Informationen und sieht darin lediglich einen Versuch Olmerts, vom Winograd-Bericht
abzulenken. Ein solches Manöver kann aber nicht durch die Verbreitung von
Gerüchten funktionieren, sondern nur, wenn Taten folgen.
Im israelischen
Fernsehen wird darüber hinaus offen diskutiert, dass die Armeeführung nur
darauf warte, von Zivilisten besiedelte Gebiete in Gaza massiv zu bombardieren.
In einem solchen Fall wäre damit zu rechnen, dass Hunderttausende Palästinenser
nach Ägypten fliehen würden. Ariel Merari, Leiter des
Zentrums für politische Gewalt an der Universität Tel Aviv, sagte dem
israelischen Staatsfernsehen kürzlich, das Land brauche eine Ausrede für eine
solche Bombardierung. Als Beispiel nannte er einen möglichen Angriff der
Palästinenser auf einen israelischen Kindergarten.
Es ist klar, dass die
israelische Armee keine grosse Bodenoperation
riskieren würde, ohne den Gazastreifen vorher massiv unter Beschuss zu nehmen.
Bei einem solchen Szenario würden womöglich alle Palästinenser nach Ägypten
fliehen, was durch die Sprengung der Mauer zwischen dem Gazastreifen und
Ägypten am vergangenen Mittwoch begünstigt würde. Dies käme der israelischen
Führung gelegen, da sie nach einer Wiederbesetzung des Gazastreifens keine
direkte Kontrolle über die Palästinenser anstrebt, denn dies wäre für Israel
politisch schädlich und sehr teuer.
Seit September 2000 ist
die Massendeportation der Palästinenser aus dem Gazastreifen das eigentliche
Ziel der israelischen Armeespitze. Das belegt eine Studie des renommierten
US-Professors Anthony Cordesman. Der Strategieexperte
beschreibt darin die Operation Dornenfeld, eine Art Masterplan der israelischen
Armee, der seit dem Jahr 2000 Schritt für Schritt umgesetzt wird. Wie
zahlreiche israelische Berichte beweisen, geschah dies zum Teil ohne
Genehmigung der jeweiligen Regierung. Am Schluss sehe besagter Plan, so Cordesman, sinngemäss die
Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen vor.
Wie genau diese Deportation
aussehen könnte, beschrieb der israelische Militärhistoriker Professor Martin
van Creveld: «Für die Vertreibung der Palästinenser
braucht man nur einige Brigaden. Sie werden die Menschen nicht einzeln aus
ihren Häusern schleppen, sondern schwere Artillerie einsetzen, damit sie von
selbst weglaufen.»
Die Gewaltaktionen
radikaler Palästinenser gegen israelische Zivilisten haben den Palästinensern
bisher weit mehr geschadet als den Israeli. Für den Judenstaat haben sie keine
existenzielle Bedrohung dargestellt, sondern Israel vielmehr Verständnis und
die Unterstützung der USA sowie verschiedener europäischer Länder für die
dichte Belagerung des Gazastreifens gebracht. Dementsprechend ist nicht auszuschliessen, dass die jüngste Nahostreise von
US-Präsident George W. Bush unter anderem das Ziel hatte, von einigen
arabischen Staaten grünes Licht für die grosse
israelische Offensive zu erhalten.
Der Journalist und
Buchautor Shraga Elam lebt in Zürich.