Hat
Israel den Krieg verloren ?
Gespräch
mit dem Historiker Shlomo Sand 29.01.2009 (franz. Zeitschrift Telerano)
Der
bekannte Historiker Shlomo Sand, einer der wenigen
Intellektuellen Israels einschließlich der Linken, hat die Zerstörung Gazas
verurteilt. Er träumt von einer
israelischen Republik, offen zur arab. Welt.
(Haaretz zum gleichen Thema „Hat Israel den Krieg
verloren?“28.1.09)
Er
ist einer der brillantesten Intellektuellen Israel. Historiker, Absolvent der
Hochschule für Sozialwissenschaften in Paris, Professor an der Uni Tel Aviv,
der 62 jährige Shlomo Sand hat letztes Jahr eine
kulturelle Bombe hochgehen lassen mit seinem Buch unter dem provokativen Titel
„Wie das jüdische Volk erfunden wurde.“ Er stellt bei seinen Untersuchungen der
jüdischen Geschichte die Mythen der Gründerväter Israels in Frage. In
Frankreich wurde diplomatisch über das Buch geschwiegen.
Mit
dem Schriftsteller David Grossman und dem Historiker Tom Segev
ist Shlomo Sand einer der wenigen israelischen
Intellektuellen, die heute lautstark gegen das Bombardieren Gazas protestieren.
Darüber hinaus liefert er uns seine Vision von einer „israelischen Republik“
die endlich offen zur arab. Welt und der Staat aller seiner Einwohner ist.
I n t e r v i e w
Welche
Bilanz ziehen Sie aus der israelischen Offensive auf Gaza ?
Das
Timing des Krieges war perfekt. Vor den israelischen Wahlen und vor dem
Amtsantritt Obamas hat Ehud Barak diesen Blitzkrieg
organisiert mit einer Sintflut von Bomben, die das Leben seiner Soldaten nicht
gefährdeten. Wir haben Verzweiflung gesät, 1300 Palästinenser getötet, mehr als
5000 verwundet, davon 2/3 Frauen und Kinder, fast alle Opfer unserer Luftwaffe.
Ist Hamas endlich eliminiert ? Haben wir das
Friedenscamp der Palästinenser verstärkt ?
Aber
die israelische Meinung hat diesen Krieg unterstützt. Sie sind eine misstönende
Stimme….
Ich
bin an der Spitze meiner Hochschul-Karriere angelangt und habe nichts zu
verlieren und keine Angst. Sicher, fühle ich mich allein – aber vergessen sie
nicht – fast 10.000 Jugendliche haben am 3. Januar in Tel Aviv demonstriert !
Selbst
2006 Anfang des Krieges gegen Hizbollah hat keine so
weitreichende Mobilisierung stattgefunden. Es war eine sehr politische
Kundgebung mit der extremen Linken sowie der arabischen Israelis, die Tel Aviv
oder Jaffa bewohnen.
Wir hatten die
Pflicht, der Diplomatie den Vorrang zu geben Und
kein Massaker an Zivilisten zu verüben
Die Linke und selbst solche
Schriftsteller wie Amos Oz oder Avraham B. Yehoshua haben die Bombardierungen gut geheißen.
Das
ist unsere Gewohnheit. Am Anfang eines jeden Krieges, seit 1973 die linken
zionistischen Intellektuellen unterstützen Israel vollkommen. Nach einigen
Wochen aber ändern sie ihre Meinung. Eine Person fehlt uns heute entsetzlich:
Prof. Yeshajahou Leibowitz,
großer Philosoph, verst. 1994, der sich immer gegen Nicht-Defensiv Kriege
gestellt hat und der ein großes moralisches Vakuum hinterlässt.
Weil dieser Krieg für Sie
kein Verteidigungskrieg war? Die Raketen fielen auf israelische Städte.
Sicherlich.
Es ist nicht normal, dass Raketen auf Israel fallen. Aber ist es normal, dass
Israel bis heute nicht seine Grenzen festgelegt hat. Dieser Staat der Raketen
nicht erträgt kann sich nicht aus den 1967 eroberten Gebieten zurückziehen.
Dieser Staat lehnte das 2002 von der arab. Liga ausgesprochene Angebot ab, Israel
voll anzuerkennen, wenn es sich auf die Grenzen von 1967 zurückzöge.
Aber Hamas ! Hamas hat
Israel nicht anerkannt.
Hamas,
diese schlimme undiplomatische Partei hatte eine „Hudna“
einen Waffenstillstand von langer Dauer für Gaza und das Westjordanland
angeboten. Israel hat das abgelehnt. weil es weiter die Militanten der Hamas
töten will auch im Westjordanland, das war im Oktober /November nach Monaten
der Ruhe. Israel hat seinen Teil der Verantwortung für die Wiederaufnahme des
Raketenbeschusses. Anstatt die Mäßigung der Hamas zu unterstützen, hat Israel
die Palästinenser in die Verzweiflung gestürzt. Wir haben ein ganzes Volk seit
42 Jahren ghettoisiert, und wir weigern uns, ihm
seine Souveränität anzuerkennen. Ich vergebe es Israel nicht –ich würde sagen
seit 20 Jahren – 1988 als Arafat und die palästinensische Autonomie den Staat
Israel anerkannten - ohne etwas im Gegenzug bekommen zu haben.
Man
soll gut verstehen: Ich akzeptiere weder die Position von Hamas noch seine
religiöse Ideologie weil ich säkular, demokratisch und sehr gemäßigt bin. Als
Israeli und als Mensch mag ich die Raketen nicht. Aber als Historiker vergesse
ich nicht, dass diejenigen, die die Raketen schicken, diejenigen sind, die aus Jaffa und Ashkelon 1948
vertrieben wurden. Ich, Shlomo Sand, lebe auf dem
Land das diesen vertriebenen Flüchtlingen gehörte. Ich kann nicht sagen, ich
könnte ihnen das Land zurückgeben, aber jedes Angebot von Frieden soll von
diesem Standpunkt ausgehen. Wer das vergisst, wird niemals den Palästinensern
einen gerechten Frieden anbieten.
Aber die Befürworter des
Bombardements sagen, Israel hat sich zurückgezogen aus Gaza – doch die Raketen
haben sich verdoppelt.
Das
ist absurd. Stellen Sie sich vor, die Deutschen hätten 1940 den Norden besetzt
und nicht den Süden. Würden Sie sagen, sie respektierten das Recht der
Franzosen auf Selbstbestimmung? Sharon hat sich unilateral aus Gaza
zurückgezogen um keinen Frieden mit Arafat zu schließen und nicht das
Westjordanland abzugeben. Aber die Palästinenser wollten kein indianisches
Reservat in Gaza. Was sie wollen, ist ein palästinensischer souveräner Staat in
Westjordanland und Gaza.
Der Grund für die Unmöglichkeit eines gerechten
Friedens sind nicht die Raketen sondern die
Schwäche der Palästinenser
Ist
also alles falsch was Israel macht ?
Israel
versteht leider nur die Sprache des Stärkeren. Der Grund für die Unmöglichkeit
eines gerechten Friedens an diesem Anfang des 21. Jahrhunderts sind nicht die
Raketen, sondern die Schwäche der Palästinenser. Israel hat erst den Frieden
mit Sadat 1977 unterschrieben, nachdem Ägypten 1973 einen halben Sieg errungen
hatte.
Der große Rabbiner Gilles Bernheim sagt nicht desto trotz darf Israel nicht
„Selbstmord“ verüben im Namen des Entgegenkommens“
Aber
wovon spricht er ? Wer bedroht unsere Existenz?
Wir
haben die besten Waffen und die Unterstützung der ersten Macht weltweit. Die
arabische Welt bietet uns einen globalen Frieden in den Grenzen von 1967 an.
Der letzte Krieg, der Israels Existenz bedrohte, war vor 35 Jahren. Versteht er
das nicht, dieser große Rabbiner ?
Er
ist nicht der Einzige. Im Hinblick auf die israelischen Bombardements schreibt
Andre Glucksman „es ist nicht unverhältnismäßig,
überleben zu wollen.“
Sie
erzählen mir von einem Mann, der Mao bewundert hat.
Diese
Törichten von 1968, die die chinesischen Schrecken unterstützt haben, waren nie
selbstkritisch und haben nie versucht, zu verstehen warum sie sich als
totalitär identifiziert haben. Sowohl Glucksmann als
auch Bernard-Henri Levy sind heute immer auf der Seite des Starken. Diesmal in
Jerusalem. Sie haben sich nicht geändert.
Aber
Bernard-Henri Levy erinnert, dass Tsahal mit den
Einwohnern telefonierte, um ihnen zu sagen, sie sollten vor den Bombardements
fliehen, und dass Israel alles Mögliche getan hat, um zivile Opfer zu
vermeiden.
„Ah
Israel hat telefoniert. Hat Israel Vorsichtsmaßnahmen getroffen? Ja, aber
wohin hätten die palästinensischen Familien gehen können ?
Es ist wahr, Israel hat viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen, aber für seine eigenen
Truppen! Diese Toten bekümmern uns sehr, weil wir eine individualistische und
hedonistische Gesellschaft geworden sind. Und unsere Führer sind sehr um ihre
Wiederwahl besorgt.
Aber B.H.L. erinnert, dass
Hamas die menschliche Schutzschild-Strategie benutzt hat.
Welche
Scheinheiligkeit ! Hat er Mao vergessen: Eine Widerstandsbewegung muss in der
Bevölkerung wie ein Fisch im Wasser schwimmen? Hamas ist keine Armee, das ist
eine terroristische Widerstandsbewegung, die arbeitet wie alle ihre Vorgänger,
Vietkong oder FLN. Gerade deswegen und weil unsere Führer dies wussten, hätten
sie die Pflicht gehabt, diplomatisch vorzugehen, um die Massaker an der
Zivilbevölkerung zu verhindern. Wir haben gezeigt, dass wir keine moralische
Zurückhaltung kennen, ähnlich wie Frankreich, das 1957 in Algerien ganze
Dörfer eliminierte. Was mich am meisten schockiert, ist, dass dieser Staat, dem
ich als Soldat in zwei Kriegen diente, und der sich seit seiner
Unabhängigkeitserklärung 1948 als Staat aller Juden betrachtet, mehr dem B.H.L.
gehört als meinen Universitätsfreunden, die hier leben, ihre Steuern
bezahlen, aber arabischen Ursprungs sind. Was soll es heißen, Zionist zu
sein, wenn man in Frankreich lebt, aber nicht unter der jüdischen Autorität
leben will, aber sich mit der Politik der israelischen Führer identifiziert ? Das heißt zum steigenden Antisemitismus
beizutragen.
Richtig, waren Sie nicht
schockiert, als während der Kundgebung in Paris israelische Fahnen verbrannt wurden ?
Sicher
beunruhigt mich das. Deshalb ist es wichtig, dass die Israelis, die wie ich
denken, gehört werden sollen, um diese antisemitische Strömung aufzuhalten. Es
wichtig, die Politik der israelischen
Führer mit der aller Israelis und aller Juden nicht zu vermischen, da ich sicher bin, dass viele
französische Juden, außer denen des Establishments meine Ansichten teilen.
Die Palästinenser im
Westjordanland haben sich nicht gerührt.
Dieser
Krieg verstärkt deren Verzweiflung. Seit Anapolis
(Nov.2007) tut Mahmoud Abbas alles Mögliche, um den Frieden zu fördern. Er
schickt die Militanten der Hamas in die Gefängnisse und Israel bedankt sich mit
der Vermehrung von Checkpoints und verfolgt weiter seine Kolonisationspolitik
und die Errichtung der Mauer auf dem Boden des zu gründenden Staates Palästina.
Welcher sich respektierende Palästinenser kann die Politik von Abbas unterstützen ?
Und
die israelischen Araber ? Wie ist deren Geisteshaltung ?
Ich
bin ständig im Kontakt mit meinen arab. Studenten. Das ist schlimm. Viele
sprechen besser hebräisch als ich. Ich sehe sie jeden Tag, mehr zu Israelis
werden in Bezug auf Kultur und mehr antiisraelisch, was Politik betrifft. Wie
können sie in einem Land leben, das sie nicht als volle Bürger akzeptiert? Ich
fürchte, dass ihre Entfremdung zu einem Kosovo in Galiläa führt.
Sie fordern Enormes von
Israel auf alles jenseits der Grenzen zu verzichten, außer der Klagemauer –
darüber hinaus eine israelische Republik nicht nur für die Juden zu werden. Ist
das realistisch?
Viele
Leute in Israel unterstützen meinen Standpunkt. Mein Buch war 19 Wochen lang
Bestseller, und ich habe 1 Dutzend Fernsehsendungen gemacht. Vielleicht sind
wir eine rassistische Gesellschaft und nicht ganz demokratisch, aber tief
liberal und pluralistisch. Was kann man jemanden wie mir vorwerfen, der
verlangt, Israel solle der Staat aller seiner eigentlichen Einwohner sein: Juden , Araber oder andere? Weiterhin möchte ich
hinzufügen, dass man den Juden nach Hitler die Solidarität nicht absprechen kann und dass der Staat
Israel weiterhin ein Refugium für verfolgte Juden bleiben muss, aber nicht der
Staat des B.H.L. und aller Juden, die nicht in Israel leben wollen.
Sind
Sie Antizionist ?
Nein
– weil, sie verstehen, antizionistisch kann auch antiisraelisch bedeuten. Denn
ich verteidige die Existenz des Staates Israel, weil ich die Frucht der
Unternehmung der zionistischen Geschichte – also die israelische Gesellschaft –
akzeptiere. Doch bin ich kein Zionist, denn
was meine Existenz hier rechtfertigt, ist die Tatsache, dass ich
Demokrat bin. Dies bedeutet, dass der Staat die Widerspiegelung seiner sozialen
Gesellschaft ist, aber nicht die der Juden der ganzen Welt.
Es ist eine rassistische Dummheit zu sagen
wir sollten uns von den Arabern trennen
Im Frieden wird
man mehr arabisch werden; so wie ihr
Franzosen etwas mehr europäisch
werdet
Aber, wird man nicht die
Gefahr sehen, dass die Juden in dem von ihnen kreierten Staat die Minorität werden ?
Ich
verstehe diese Angst, deshalb bin ich auch gegen einen binationalen
Staat, der ein Staat mit einer arabischen Mehrheit werden kann, und ich schlage
den Israelis vor, sich so schnell wie möglich zu den Grenzen von 1967
zurückzuziehen und damit die judeo-israelische
Hegemonie zu behalten. Aber keine exklusive Hegemonie.
Die
israelische Republik muss laizistisch sein und demokratisch. In meiner Utopie
bleibt jedoch der binationale Staat der
gerecht-möglichste.
Eine
jüdische Minderheit nicht ausgeschlossen ?
Die
Entfernung, die mich von meinen Enkelkindern trennen wird, wird wenigstens
kulturell gleichwertig sein gegenüber der, die mich von meinen Großeltern
trennt. D.h. dass im Nahen Osten zu leben, muss in Symbiose mit der arab.
Kultur sein. Andererseits wünsche ich eine israel-palästinensische
Konföderation sofort nachdem Israel sich zu den Grenzen von 1967 zurückgezogen
hat. Es ist eine rassistische Dummheit zu sagen – wie Amos Oz – wir sollen uns
von den Arabern trennen.
Im Frieden werden wir etwas mehr arabisch
Wie
ihr Franzosen etwas mehr europäisch werdet.
Aber
gegenüber einer israelischen Gesellschaft, die überwiegend laizistisch ist, ist
eine palästinische Gesellschaft, die islamistischer als vor 30 oder 40 Jahren
ist.
Die
arabische Jugend in Israel wird nicht religiöser, besonders die Frauen. Der Fundamentalismus kristallisiert sich gegenüber
dem Westen. Es ist kein Sieg der Religion, es ist eher der Fall des
laizistischen Sozialismus im Nahen Osten, verstärkt durch die Art wie ihr
Europäer die emigrierten Arbeiter empfangt und wie die Amerikaner ihren Krieg
im Irak führen und wie Israel die Palästinenser behandelt. Es ist die Frucht
der Konflikte und nicht eine natürliche historische Tendenz. Schauen Sie was in
Algerien passiert: Die verdorbene Politik der FLN hat den Islamismus
geboren, ist aber keine Evolution in der Tiefe, Algerien tendiert zur
Modernität. Seinerseits Hamas in den islamistischen Kleidern
, hat nie aufgehört eine moderne nationalistische Bewegung zu sein.
In ihrem Buch zerstören
Sie die Mythen der isr. Gründerväter – das exilierte Volk, welches in sein Land
zurückkehrt. Aber womit wollen Sie diese Mythen ersetzen um die Existenz dieses
Landes zu legitimieren?
Man
hat mir diese Frage an der palästinensischen Universität in Jerusalem gestellt.
Ich habe etwas dramatischer geantwortet, dass sogar das Kind aus einer
Vergewaltigung das Recht zu leben hat. Die Gründung Israels durch die Juden von
denen viele aus den Todeslagern entkommen sind, war eine Vergewaltigung der
arab. Bevölkerung Palästinas. Daraus wurde die israelische Gesellschaft geboren
und hat ihre Kultur entwickelt. Man kann eine Tragödie nicht durch eine
andere Tragödie lösen. Das Kind hat das Recht zu existieren, aber man muss
es erziehen damit es nicht dieselben Fehler wie sein Vater macht. Vor 30 Jahren
hätte ich wahrscheinlich diesen Diskurs nicht gehalten. Aber die arab. Welt hat
Israel anerkannt. Auch die PLO - nach einem halben Sieg der Intifada. Geben wir
der Hamas auch eine Chance. Vergessen wir nicht – ohne sie zu entschuldigen –
dass diejenigen, die auf Ashkelon die Raketen
schicken, wissen, dass ihre Väter aus diesem Ort 1950 verjagt wurden. Damals
war es das große Dorf Al Majdal.
Man
ist sehr weit von der israelischen Politik.
Israel
wird nur unter Druck Frieden schließen. Ich wünsche, ich hoffe, ich bete, dass Obama ein Carter sei und kein Clinton. Carter hat Israel
unter Druck gesetzt, um Frieden mit Ägypten zu schließen, Clinton hat Israel
nicht unter Druck gesetzt, um mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Das
Risiko ist natürlich, dass Hilary Clinton, zu nah an der pro-israelischen
Lobby, zuviel Platz in der Außenpolitik
einnähme. Ich will kein Fatalist sein. Ich hoffe.
(dt.
Ruth Asfour – aus der französischen Zeitschrift Teleramo)