Das Militär des
Landes scheint weit davon entfernt zu
sein, die Lektionen aus dem letzten Konflikt zu lernen, ja, es scheint sogar noch bereiter zu sein, Gewalt
anzuwenden. Nach dem Libanonkrieg 2006
ging es in Israel nur um diese Fragen: Welche Fehler wurden gemacht und
wer machte sie? Was kann gemacht werden,
um nach einer allgemein empfundenen
Niederlage die militärische „Abschreckung“ Israels wieder herzustellen? Welche
Lektionen könnten generell aus der
Konfrontation mit der Hisbollah gelernt werden, um beim nächsten Mal nicht
wieder einen Fehlschlag zu erleben?
Leider scheinen völlig
falsche Schlüsse gezogen worden zu sein, wenigstens in der militärischen
Hierarchie und von denen, die für die Politik verantwortlich sind. Am
Freitag (3.10) wurden in der Yedioth Ahronoth-Tageszeitung
Kommentare des israelischen Generals Gadi Eisenkot,
Chef des Armeekommandos Nord, veröffentlicht. Eisenkot nützte die Gelegenheit,
Grundsätze über Pläne mitzuteilen, wie zukünftige Kriege geführt werden.
Der General versprach „unverhältnismäßige“
Gewalt anzuwenden, um ganze Dörfer zu zerstören, wenn sie als die Orte identifiziert werden, aus denen die
Hisbollah Raketen abfeuert. Sie sind dann „keine zivilen Dörfer“ mehr , sondern „Militärbasen“ - die Art der Begründung, die einen vor das
Kriegsverbrechertribunal bringt. Eisenkot wies
daraufhin, wie Israel 2006 den
Beiruter Stadtteil Dahiya dem Erdboden gleich gemacht hat, und sagte,
dies würde das Schicksal eines „jeden
Dorfes sein, von dem aus auf Israel geschossen wird“. Damit es keinen Zweifel gibt, setzte er
hinzu: „Das ist keine Empfehlung. Dies ist ein Plan. Und er ist anerkannt
worden.“ Dieses offene Versprechen über
Anwendung „unverhältnismäßiger“ Gewalt wird für die Libanesen sehr beunruhigend sein, die schon bei der
letzten Runde willkürlichen Angriffen
ausgesetzt waren,: der gezielten Zerstörung der
zivilen Infrastruktur, der Bombardierung mit Streubomben . Aber was Haaretz die „Dahiya Doktrin“ nannte, erhielt von einigen
wie dem altgedienten israelischen TV /Zeitungs-journalisten
Yaron London begeisterte Unterstützung.
London schien mit Eisenkots Entscheidung, „den Libanon zu
zerstören“ hoch erfreut und von den Protesten der Welt keineswegs
abgeschreckt zu sein. Während
London sich darauf freut, wie Israel
etwa 160 schiitische Dörfer
„pulverisiert“ und die Auswirkungen von
Eisenkots Denken deutlich macht, sagt er: „In der Praxis sind die Palästinenser
im Gazastreifen alle Khaled Mashaal, die Libanesen
alle Nasrallah, und die Iraner sind alle Ahmadinejad.“ Was mit„in der Praxis“ gemeint ist, muss
nicht wiederholt werden.
Der Haaretz-Bericht
beschrieb auch, wie ähnlich die Schlussfolgerungen sind, die in Berichten von
militärisch-akademischen Institutionen gezogen wurden. In einem dieser vom Institut für nationale Sicherheitsstudien
(INSS) an der Tel Aviver Universität veröffentlichten
Papier, das den eindeutigen Titel „Unverhältnismäßige Gewalt“ trägt, beschreibt
der Autor (Reserveoffizier) Gabriel Siboni im
Detail, wie die Lektionen von 2006 verstanden werden sollen: Mit dem
Ausbruch von Feindseligkeiten wird die IDF sofort und entschieden reagieren und
mit Gewalt, die in keinem Verhältnis zu den Aktionen des Feindes und der Bedrohung stehen. Solch eine Reaktion
zielt dahin, soviel Schaden anzurichten und
in einem Ausmaß zu bestrafen, dass ein sehr langer und teurer Wiederaufbauprozess nötig sein wird.
Siboni drängt das israelische Militär, „die
Schwachstellen des Feindes“ unverhältnismäßig zu treffen und erst danach sich die Raketenwerfer selbst vorzunehmen.
Die Vernichtung der „wirtschaftlichen
Interessen“, „der Zentren der zivilen Macht“ und der „staatlichen Infrastruktur“ wird den syrischen und libanesischen
Entscheidungsträgern lange im Gedächtnis bleiben und so die „israelische
Abschreckung“ verstärken und die feindlichen Ressourcen beim Wiederaufbau
binden.
Eine andere neue INSS-Publikation von einem früheren Chef des nationalen
Sicherheitsrates drängt Israel zu garantieren, dass beim nächsten Mal die
libanesische Armee und die zivile Infrastruktur „zerstört werden wird“. Oder
wie der Autor es prägnant ausdrückt: „Solange die Bewohner von Haifa sich in
Luftschutzkellern aufhalten müssen, werden die Bewohner von Beirut nicht an den
Strand gehen können.“
Diese Entschlossenheit,
einen „ lang anhaltenden Denkzettel“ in den Köpfen der Syrer und Libanesen zu
schaffen, erinnert an vorausgegangene israelische Absichtserklärungen. 2003
sagte der IDF-Generalstabschef Moshe Ya’alon,
dass der Krieg, der in den besetzten Gebieten tobt, sich „tief ins Bewusstsein
der Palästinenser einprägt, sie seien ein besiegtes Volk.“
2006 empfahl tatsächlich
auch Dr. Reuven Erlich, Chef des Nachrichten- und
Terrorismus-Zentrums beim Zentrum für Sonderstudien in Tel Aviv, den hohen
Preis ins „libanesische Bewusstsein einzubrennen, den sie zahlen müssen, wenn
sie uns provozieren.“
Brutale Gewalt anzuwenden,
um gewisse Wahrheiten unterschiedlicher Beschreibungen ins Bewusstsein der
Araber einzubrennen, gehört zum israelisch zionistischen Gedankengut und geht
auf Jabotinskys Theorie der „Eisernen Mauer“ zurück. In den 20er-Jahren
schrieb er offen, dass jedes (einheimische) Volk sich fremden Siedlern
widersetzen wird, solange es die Hoffnung hat, die Gefahr durch fremde
Besiedlung abwenden zu können“. Die Notwendigkeit war dann für eine „eiserne
Mauer“ der Gewalt gegeben, um die Palästinenser an den Punkt zu bringen, „alle
Hoffnung“ aufzugeben.
Da die brutale Logik der
Siedler-Herrschaft seit Jahrzehnten ein
führendes Prinzip für israelische Militärstrategen ist, wurde dieses
noch mit dem rassistischen „anthropologischen“ Klischee ergänzt, die „Araber verstünden nur die Sprache der
Gewalt“. Interessanterweise ist solche Redeweise im US-Militär-Diskurs nun etwas Alltägliches,
da das Pentagon sich jetzt auch in der Position befindet, ein Land im Nahen
Osten zu besetzen und dort Widerstand erfährt.
Deshalb scheint es, als
habe Israel ganz und gar die falschen Lektionen aus dem 2006-Konflikt gelernt.
Falsch natürlich von einem moralischen Gesichtspunkt aus ( obwohl dies ins Bild
einer erwarteten Gegenreaktion passt).
Die Schlussfolgerung kann auch aus der Perspektive der Art der Antwort
als fehlerhaft angesehen werden. Grundsätzlich jedoch zeigen diese Versprechen
über unverhältnismäßige Zerstörung, dass die israelische militärische Führung
an einer Politik des beschränkten Horizontes
leidet d.h. mit der Idee liiert ist,
Israel werde nur durch Waffengewalt
im Nahen Osten anerkannt.
(dt.
Ellen Rohlfs)