Israel Palästina Nahost Konflikt
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Michael
Warschawski, AIC August 2009
In
einem kolonialen Konflikt sind die Hauptprotagonisten auf der einen Seite die
Kolonialmacht und auf der andern Seite die kolonisierte Bevölkerung - und wenn
sie besteht -die Befreiungsbewegung der letzteren .
Dies war der Fall im algerischen Befreiungskrieg, beim Kampf des
vietnamesischen Volkes, in Angola und in Mozambique. Die Fähigkeit der
nationalen Befreiungsbewegungen durch
zivile und/ oder militärische Kämpfe ein günstiges Kräfteverhältnis im Bezug
zum kolonialen Militär und zur kolonialen Verwaltung zu schaffen, bestimmt
letztlich das Ende der kolonialen Herrschaft.
Doch
kam der Sieg niemals allein durch militärische Erfolge oder das Vermögen
ziviler Mobilisierung der Kolonisierten zustande; es ist ein zusätzlicher
Faktor nötig gewesen, der die Sache ändert: eine wachsende Opposition innerhalb
der Gesellschaft des Kolonialstaates. Was im Vietnamkrieg die USA ihr Militär
schließlich zurückziehen und die
vietnamesischen Befreiungskräfte Saigon
einnehmen ließ, war die überzeugende amerikanische (und internationale)
Friedensbewegung; das Ende der französischen Kolonisierung in Algerien war die
Folge einer ernsten Krise, die der Kolonialkrieg innerhalb der französischen
Gesellschaft auslöste.
Offensichtlich
war die zunehmende Anti-Kriegsstimmung die Folge des Preises, die dem
Kolonialstaat und seiner Gesellschaft auferlegt wurde: zu viele Opfer, zu hohe
finanzielle Kosten, wachsende internationale Kritik und Isolierung, aber auch
das eigene Image der kolonialen Gesellschaft selbst und ihr wachsendes
Bewusstsein, dass der andauernde Krieg notwendigerweise ihre eigene moralische
Degeneration und politische Krisis größer werden lässt.
Und
Israel ist hier keine Ausnahme. Der Rückzug aus Beirut 1982 und dann 1984 von
fast allen libanesischen Gebieten wurde
von einer massiven israelischen Friedensbewegung aufgezwungen, die nach und
nach die Unterstützung der Mehrheit der öffentlichen Meinung gewonnen hat. Dazu
kam noch die Anerkennung der PLO durch die israelische Regierung und der
Anfang von Verhandlungen ( in Madrid, 1992), um die Besatzung zu beenden - es war die
Folge einer Wandlung der israelischen öffentlichen Meinung. In beiden Fällen
war jener Wandel der internen öffentlichen Meinung wiederum die Folge von erfolgreichem
Widerstand gegen die israelische Besatzung durch seine direkten Opfer, die
Palästinenser, und seine Auswirkung auf die internationale politische Arena.
Doch
kann der Widerstand allein nicht gewinnen – egal wie stark seine Wirksamkeit
ist – wenn nicht seine Forderungen an die Regierung von einem wesentlichen Teil
der Kolonialgesellschaft selbst mit aufgezwungen wird, indem sie die
Illusionen auswägt, die vom kolonialen Militär und der Verwaltung und von jenem Teil des politischen
Establishments, verbreitet wird, das jeden Preis für das fortgesetzte
militärische Unterfangen zu zahlen bereit ist.
Deshalb
ist es so wichtig, eine politische Opposition innerhalb der kolonialen
Gesellschaft aufzubauen, auch dann, wenn solch eine Bewegung anfänglich und
manchmal für eine lange Zeit vom Mainstream isoliert ist, einschließlich eines großen Teiles der demokratischen
Gesellschaft. Früher oder später wird sich die öffentliche Meinung als Folge
von (zu hohen) Kosten der Besatzung wandeln. Einer der größten Fehler einer
Befreiungsbewegung ist, zu glauben, dass sie ihre Rechte erhält, wenn sie nur
eine offene Hand zum Frieden hinhält: um den Feind zu überzeugen, ist eine eiserne Faust zusammen mit der offenen Hand nötig.
Die
Rolle anti-kolonialer Aktivisten innerhalb der israelischen Gesellschaft ist
es, eben dieser genau die beiden Optionen zu zeigen: zum einen der Preis, der für den Krieg und
die Besatzung gezahlt werden muss und
zum andern die Vorteile, die Frieden und Versöhnung mit sich bringen.
Eine
politische Opposition innerhalb Israels ist auch noch aus einem zweiten Grund
wichtig: es geht um die Zukunft unserer Kinder. Das Verhältnis der Kräfte zwischen den Protagonisten bleibt nicht
dasselbe, die regionalen und internationalen Kräfte verändern sich. Die Starken
von heute können morgen die Schwachen sein; die dominante Kraft riskiert,die unterlegene zu
werden. Das trifft ganz sicher in einem kolonialen Kontext zu. Nach 130 Jahren ( französischer)
Herrschaft waren Hunderttausende von Pieds Noirs (die französischen Siedler)
gezwungen, das Ende ihrer Privilegien zu akzeptieren und Algerien zu verlassen
und Displaced People (Flüchtlinge) in
der Hauptstadt zu werden. Die meisten Israelis aber können nirgendwohin
zurückkehren, und nach dem Ende ihrer Vor-Herrschaft müssen sie mit jenen
zusammenleben, die sie unterdrückt haben.
Dass
es Israelis gibt, die ihre Unterstützung für die Rechte der einheimischen
palästinensischen Bevölkerung praktisch gezeigt haben, kann auf jeden Fall
beim allmählichen Aufbau einer
Ko-Existenz, die sich auf Gleichheit und gegenseitigem Respekt gründet, helfen. Sie können die Brücke sein, die über
den Fluss des Hasses führt, der sich nach Jahrzehnten von Unterdrückung und
Demütigung aufgestaut hat.
Während
ich kurze Zeit wegen Unterstützung palästinensischer
Organisationen im Gefängnis saß, erinnere ich mich an einen Faktor, der mir
half, den Mut nicht zu verlieren: es war die Tatsache, dass ich wusste, dies
war ein bescheidener Preis, für etwas, das ich tun musste, dass die zukünftige
israelische Generation in einem freien demokratischen und vereinten Palästina
leben kann.
(dt.
Ellen Rohlfs)