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Palästinenser und
Israeli folgen Thoreau – doch kümmert sich jemand darum?
Neve Gordon, antiwar, 28.9.09
Irgendwann
im Jahr 1846 verbrachte Henry David Thoreau eine Nacht im Gefängnis, weil er
sich weigerte, seine Steuern zu zahlen. Dies war seine Weise, gegen den
mexikanisch-amerikanischen Krieg zu protestieren und gegen die Institution der
Sklaverei. Ein paar Jahre später veröffentlichte er einen Aufsatz „Ziviler
Ungehorsam“, der inzwischen von Millionen Menschen gelesen wurde - einschließlich Israelis und Palästinensern.
Kobi Snitz las dieses
Buch. Er ist ein israelischer Anarchist, der gerade 20Tage im Gefängnis sitzt,
weil er sich weigert 2000.-Schekel Strafe zu zahlen.
Der
38Jährige Snitz wurde 2004 mit anderen Aktivisten im kleinen
palästinensischen Dorf Kharbatha verhaftet, während
sie versuchten, die Zerstörung des Hauses eines prominenten Mitglieds des
lokalen Volkskomitees zu verhindern. Die Zerstörung sollte anscheinend aus zwei
Gründen ausgeführt werden: zum Einschüchtern und zur Strafe des lokalen
Anführers, der gerade ein paar Wochen zuvor angefangen hatte, wöchentliche Demonstrationen gegen
Annexionsmauer zu organisieren. Die
Demonstrationen und der Versuch, die Zerstörung zu verhindern, sind Akte
zivilen Ungehorsams.
In
einem Brief, den Snitz eine Nacht vor seiner
Einkerkerung an Freunde schrieb, heißt es: ‚Ich und andere, die mit mir verhaftet
wurden, haben sich nichts zu schulden kommen lassen,
außer dass sie gegen die wahrlich kriminelle Politik des Staates opponieren.’ Snitz erklärte auch, dass wenn er die Strafe gezahlt hätte,
dann würde dies die Anerkennung der
Schuld bedeuten, was erniedrigend wäre. Er schloss seinen Brief damit,
seine Strafe sei geringfügig im Vergleich zur Strafe palästinensischer Jugendlicher, die der
Besatzung widerstehen. Diese 13, 14, 15 und 16-Jährigen müssen schon 20 Tage
vor dem Gerichtstermin in Haft sein.
Snitz übertreibt nicht.
In
einem kürzlichen Bericht dokumentieren
palästinensische Menschenrechtsorganisationen „Stop the
Wall“ und Addameer die Arten der Unterdrückung, die
Israel gegen Dörfer anwendet, die der
Annexion ihres Landes zu widerstehen versuchen.
Die beiden Menschenrechtsgruppen zeigen, wenn sich ein Dorf entschieden hat,
gegen die Annexionsmauer zu kämpfen, dass dann die ganze Gemeinde bestraft
wird. Außer Hauszerstörungen, Ausgangsperren noch andere Formen der
Bewegungseinschränkungen. Die israelischen Militärkräfte wenden ständig Gewalt gegen die Demonstranten
an. Und meistens sind es Jugendliche, die geschlagen, mit Tränengasgranaten
angegriffen oder sogar mit scharfer
Munition beschossen werden.
Seit
2004 sind bei Protesten gegen die Mauer
19 Palästinenser erschossen worden – die Hälfte waren Kinder. Die
Menschenrechtstruppen fanden heraus, dass in vier kleinen palästinensischen
Dörfern – Bilin, Nilin, Mas’ara und Jayyous – 1566
Palästinenser bei Demonstrationen gegen die Mauer verletzt wurden. Allein in fünf Dörfern sind
176 Palästinenser verhaftet worden, wobei
bei diesen Verhaftungskampagnen gezielt gegen Kinder und Jugendliche vorgegangen wird. Die aktuellen
Zahlen derjenigen, die verletzt und verhaftet wurden, ist
zweifellos größer, da hier nur die Vorfälle in ein paar Dörfern berücksichtigt
wurden.
Jede
Zahl hat einen Namen und eine eigene Geschichte. Man betrachte z.B. den 16
jährigen Mohammed Amar Hussan Nofal,
der mit etwas 65 anderen aus seinem Dorf
Jayyous am 18.
Februar 2009 verhaftet wurde. Nach seiner Zeugenaussage wurde er anfangs zwei
und eine halbe Stunde in der Dorfschule verhört.
„Sie
fragten mich, warum ich an Demonstrationen teil nehmen würde, aber ich
versuchte, dies zu leugnen. Dann fragten sie mich, warum ich ein Molotow-Cocktail
gegen sie geworfen hätte. Ich sagte, dass ich dies nie getan habe, was auch
stimmt. Meine Eltern waren dort und wurden Zeugen dessen, was dort los war. Sie
können bestätigen, dass ich nie ein Molotow Cocktail
geworfen habe. Später gestand ich ein, dass ich an Demos teilgenommen habe,
aber nie ein Molotow Cocktail geworfen habe.
Nachdem
er geschlagen worden war, weil er sich weigerte, ein Papier in hebräische
Sprache zu halten, um damit photographiert zu werden, wurde er nach Kedumin
geschickt um weitere Stunden verhört zu werden. Während dieses Verhörs
versuchte Captain Faisal ( ein
Pseudonym des Geheimdienstes), den Teenager als Kollaborateur zu rekrutieren.
Der
Captain drohte damit, meine Eltern und meine ganze
Familie zu verhaften, wenn ich nicht kollaborieren würde. Ich sagte, sie
könnten meine Familie jeder Zeit verhaften; denn es sei
schlimmer, ein Spion zu werden. Dann
sagte er, er würde die Passierscheine meiner Familie konfiszieren, damit sie
auf ihrem Land keine Oliven mehr pflücken könnten.
Nofals einziges Verbrechen war, gegen die
Enteignung des Landes seiner Vorfahren zu protestieren. Er verbrachte drei
Monate im Gefängnis. Während dieser Zeit entschied die Zivilverwaltung, auch
die Familie zu strafen und weigerte sich, ihre Passierscheine zu verlängern, um
in Israel zu arbeiten.
Wenn
man mit Nofal und Tausender andrer Palästinenser
vergleicht, dann zahlt Kobi Snitz
tatsächlich einen kleinen Preis. Aber seine Handlung hat symbolischen Wert,
nicht nur als ein Zeichen der Solidarität mit seinen palästinensischen
Partnern, sondern weil er wie Tausende von Palästinensern dem Vorbild eines
Henry David Thoreau folgten und Handlungen zivilen Ungehorsams begingen, um
Israels unmoralischer Politik und der Unterwerfung eines ganzen Volkes zu
widerstehen.
Das
Problem ist, dass die Welt ganz wenig von diesen Handlungen weiß. Man muss nur
bei Google unter dem Wort „Palästinensische Gewalt“ suchen und findet 86000
Seiten, während wenn man die Worte „Palästinensischer ziviler Ungehorsam“
eingibt, man darüber nur auf 47 Seiten etwas findet – und dies trotz der
Tatsache, dass seit mehreren Jahren Palästinenser jetzt täglich Handlungen
zivilen Ungehorsams gegen die israelische Besatzung ausführen.
Thoreau
würde stolz auf Nafal, Snitz
und ihre Freunde sein. Es wäre wichtig, dass auch die Medien und die
internationale Gemeinschaft ihr Heldentum anerkennen.
(dt.
Ellen Rohlfs)