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Ehud Eiran, Newsweek, 5. Juni 2010
Ich bin in Israel verliebt. Doch die Ereignisse vor der Küste des Gazastreifens Ende Mai, als israelische Kommandos ein Blockade-brechendes Hilfsschiff kaperte und neun Aktivisten tötete, war eine schmerzvolle Erinnerung daran, dass auch ich zu einer Klasse von Israelis gehöre, die sich große Sorgen über die Richtung machen, die unser Land eingeschlagen hat. In zunehmendem Maße trennt uns der Konflikt mit den Palästinensern, nicht nur von unsern moralischen Fähigkeiten und Gaben, sondern auch von unseren sonstigen Sinnen.
Das Muster ist klar: immer mehr Menschen werden in immer kürzerer Zeit getötet und wir kümmern uns immer weniger darum. Nach israelischen Daten brauchte es 22 Tage um die palästinensische Todesrate bei der letzten großen Gewaltrunde zwischen „uns und ihnen“ auf 1100 (in Wirklichkeit waren es 1400, ER) zu bringen. Es war der Überfall auf Gaza 2008/09. Dieselbe Anzahl von Todesfällen gab es in den fünf Jahren des ersten palästinensischen Aufstandes (1987 – 93), der der größte israelisch-palästinensische Zusammenstoß seit 1949 war. Mit der Zeit ist unser Herz härter geworden. Während der 1. Intifada hat die israelische Militärpolizei jedes Mal, wenn Palästinenser durch israelisches Feuer getötet wurden, interne Untersuchungen angestellt. Doch während der letzten zehn Jahre gab es nur ein paar solcher Untersuchungen und wahrscheinlich gibt es keine über die Tötungen der letzten Wochen.
Israels fast völliger Mangel an Empathie für „den anderen“ war nicht immer so. In einem bekannten Artikel von 1923 von Ze’ev Jabotinsky, dem Gründervater der israelischen Hardliner-Revisionisten, erkennt er praktisch die Logik des palästinensischen Widerstandes gegen den Zionismus an. Er schrieb, dass die Araber wie jedes einheimische/eingeborene Volk „ihr Land als ihre nationale Heimat ansehen“ und mit neuen Landlords nicht einverstanden sind. 63 Jahre später gab Ehud Barak in ähnlicher Stimmung zu, wenn er als Palästinenser geboren worden wäre, würde er sich „einer Terroristenorganisation angeschlossen haben“. Doch kein zeitgenössischer israelischer Führer, Barak eingeschlossen, würde es heute wagen, ein ähnliches Verständnis für den palästinensischen Kampf zu zeigen.
Diese Verhärtung des Herzens ist nicht auf unsere Führer begrenzt. Sie reflektieren nur die allgemeine Haltung. Im September 1982, nachdem christliche Milizen Hunderte (es waren viel mehr, ER) palästinensischer Zivilisten im Sabra- und- Shatila-Flüchtlingslager (Libanon) gemordet hatten, gingen 10% der israelischen Bevölkerung auf die Straßen von Tel Aviv und protestierten gegen die indirekte israelische Verantwortung (Sharon, ER). 26 Jahre später demonstrieren nur ein paar Dutzend Israelis, als das israelische Militär für eine ähnlich hohe Zahl von palästinensischen zivilen Toten im Gaza-Konflikt 2008/09 direkt verantwortlich war.
Ich fürchte, es ist nicht nur die Verbreitung moralischer Gefühllosigkeit. Wie Dean Acheson beobachtete, steckt etwas Schlimmeres als unmoralische Politik dahinter: eine irrige Politik. Die scheinbare Unfähigkeit der israelischen Führer, unsere Ziele und unsere Mittel zu verbinden, schädigt auf Dauer das Land. Unser größtes Problem ist, dass 130 Jahre, nachdem junge Zionisten begannen, nach Palästina mit der Hoffnung einzuwandern, dort einen sicheren Hafen für Juden zu schaffen, müssen wir uns noch immer auf Gewalt verlassen, um unsere Existenz abzusichern. Ausgerechnet in diesem „sicheren Hafen“ sind seit 1945 mehr Juden umgebracht worden als an jedem anderen Platz der Erde. Eine zukünftige iranische nukleare Bombe, die kaum zu stoppen ist, wenn Israel nicht internationale Unterstützung wirksamer zusammen bekommen kann, wird dieses zionistische Versagen auf einen neuen Tiefpunkt bringen.
Aktionen, wie das Töten an Bord der Gazahilfsschiffe, helfen nicht, diese Situation zu verbessern – sie schaffen nur neuen Widerstand. Die Blockade, wegen der diese Flotille unterwegs war, ist entmenschlichend und aus Sicherheitsgründen kaum zu rechtfertigen. Die Blockade wird denselben Leute auferlegt, die den Schlüssel zu unserer Legitimität halten, so sieht es wenigstens in den Augen der Millionen Araber, die uns umgeben, aus. Das Töten mehrerer Türken hat die Beziehungen Israels mit Istanbul sehr beeinträchtigt, der einzigen Hauptstadt der Region, die nicht auf palästinensische Genehmigung gewartet hat, um bedeutsame Beziehungen mit dem jüdischen Staat zu pflegen. Weite internationale Verurteilung hat schon die Bemühungen der UN gebremst, die Sanktionen gegen den Iran anzuziehen. Wie lange kann unser modernes Sparta mit dem Schwert leben, wenn das Schwert neue Schwierigkeiten schafft.
Die emotionale Last dieser oder anderer Widersprüche wird von vielen geteilt. „Die meisten Israelis, mich eingeschlossen, lieben dieses Land und sind stolz auf seine Errungenschaften und wollen darin leben. Viele sind bereit, ihr Leben bei der Verteidigung zu riskieren“, schrieb Gen. Major Amos Lapidot, der frühere kommandierende Offizier der israelischen Luftflotte, am 19. April in Haaretz. „Doch gibt es seit kurzem ein wachsendes Gefühl, dass etwas Grundsätzliches falsch läuft“. Kann der Staat Israel, so wie er heute aussieht, die nächsten Jahre überleben? Andere fühlen Spannungen zwischen der Treue zum Stamm/Volk und den Vorstellungen einer universalen Gerechtigkeit. Der Aktivist Udi Aloni schrieb am 1. Juni in YNET, dass er beinahe an Bord eines der Hilfsschiffe gegangen wäre, die Lebensmittel und Hoffnung nach Gaza gebracht hätten; aber entschied sich dagegen, „um einen Zusammenstoß mit den Leuten vom Militär zu vermeiden, bei denen ich vor 30 Jahren treu gedient habe“.
Auch ich habe meine Loyalitäten. Ich habe wunderbare Teenage-Erinnerungen mit jemanden, den ich H. nennen will, der heute einer Sonderkommandoeinheit vorsteht. Seine Einheit war wahrscheinlich auch bei der Gaza-Operation beteiligt, auch wenn sie nicht an dem Morden beteiligt war. Die Einheit wurde aber von Menschenrechtsgruppen angeklagt, vor knapp zehn Jahren an außergerichtlichen Tötungen in der Westbank beteiligt gewesen zu sein. Mit unserer gemeinsamen Geschichte habe ich das Gefühl, dass H und ich aus dem selben Stoff gemacht sind. Den Gedanken, dass jemand ihn und seine Männer als Kriegsverbrecher wahrnimmt, kann ich kaum akzeptieren.
So habe ich für mich den Weg des Feiglings gewählt. Ich mache meine Studien weit weg von zu Hause, um jede Entscheidung zwischen meinem Herzen und meinem Verstand zu vermeiden. Das einzige Rezept, das ich habe, wenigstens bevor ich nach Hause fahre, ist ein sehr persönliches. Ich versuche meine Einstellung zum Konflikt mit den Palästinensern zu verändern. Ich denke jetzt, dass wir die Sprache strategischer Kalkulationen durchbrechen müssen und grundsätzlichen menschlichem Anstand erlauben sollten, unsere Positionen zu gestalten. Einige meiner Freunde zu Hause mögen denken, dass ich mich von unserer Vergangenheit abwende und begreife, dass wir uns mit dem Nahen Osten beschäftigen müssen, da er „hart, brutal und gefährlich“ ist, doch mit einer naiven Einstellung. Aber ich denke, dass dies nicht naiv ist. Ich denke, dass dies der einzige Weg ist, der noch geblieben ist.
Eiran ist ein IDF-Major der Reserve und arbeitet für den
israelischen Staatsanwalt und im Team der Außenpolitik von Ministerpräsident
Barak (Juni 2010). Sein Buch
„The Essence of Longing: General Erez Gerstein und der Krieg im Libanon“
wurde in Israel 2007 veröffentlicht. Er ist zur Zeit
Gastdozent in der Harvard-Kennedy-Schule.
(dt. Ellen Rohlfs)