Jesse Rosenfeld,
The National, 24. 11.09
Mitten
im wachsenden Medienfieber über einen möglichen Gefangenenaustausch, bei dem es
um die Entlassung von Gilad Shalit,
den israelischen Soldaten geht, der von der Hamas festgehalten wird, hat ein
anderer junger Gefangener ein weniger öffentliches Profil – personifiziert aber Israels Unterdrückung palästinensischer Selbstdarstellung.
Mohammad
Othman, 33 aus dem Westbankort Yayous und ein
Aktivist der palästinensischen Grassroot-Organisation
Stop the Wall wurde am 22. September an der Allenbybrücke, von Jordanien kommend, verhaftet. Er war auf
dem Weg nach Hause, nachdem er bei einer Konferenz in Norwegen war, wo er sich
mit Unterstützern der globalen Bewegung
Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) traf. Adameer, die palästinensische Menschenrechts-organisation für die Gefangenen, ist der Überzeugung, dass
seine Verhaftung eine Folge seiner erfolgreichen Menschenrechtsarbeit und
seiner Aktivitäten in der Gemeinde ist.
Mohammad
wurde zwei Monate im Kishon-Verhaftungszentrum in Nordisrael verhört. Sein
Anwalt sagte mir, er sei wiederholt über seine Treffen, Kontakte und
politischen Aktivitäten in Europa befragt worden. Er behauptet, dass Mohammad
in Isolierungshaft gehalten wird, mit Schlafentzug bestraft, rund um die Uhr
verhört und mit dem Tod bedroht wird.
Am
Montag wurde Mohammad offiziell für drei Monate in israelische
Administrativhaft genommen. Er ist der letzte von 335 Palästinensern, die in
dieser Weise festgehalten werden, eine Praxis, die noch von den 1945er-Notstandgesetzen der
Briten stammen und auf die im letzten Monat in
einem Bericht der israelischen Menschenrechtsgruppe B’tselem
und HaMoked ein Schlaglicht geworfen wurde.
Ich
hatte Mohammad Othman vor einem Jahr in Yayous bei einem Protest gegen den Mauerbau
getroffen, durch den das landwirtschaftlich genützte Land des Ortes annektiert
wird. Den Bewohnern waren gerade die Passierscheine zu ihrem Land genommen
worden und die Widerstandkampagne war
neu aufgeflammt. Er führte mich eine Gasse hinunter, als Soldaten die
Hauptstraße wieder mit Tränengas und
Gummigeschossen einzunehmen begannen, und so junge Burschen zwangen, sich von
den Barrikaden zurückzuziehen, die gegen die Militärjeeps errichtet worden
waren. „Wir haben ständig Ärger mit Armeeüberfällen und -verhaftungen, alle
lokalen Aktivisten sind davon betroffen“ sagte er mir, nachdem wir aus der
Schusslinie waren.
Fast
genau ein Jahr danach an einem Sonntag beobachtete ich jetzt Mahmmad, wie er vor
einem Militärgericht steht, das in Baracken –wie in großen Hühnerställen - im Ofer-Gefängnis in der Westbank
untergebracht ist. Seine Anwälte erheben
Einspruch gegen seine verlängerte Haft ohne Anklage.
Außerhalb
des Gerichtes hingen Familienmitglieder verhafteter Palästinenser am Zaun, wo
sie auf Nachrichten ihrer Lieben warteten. Britische und deutsche
Konsularbeamte und Vertreter von israelischen und internationalen NGOs füllten
den kleinen Gerichtshof. Die Füße in Fußfesseln
und nur mit einem kleinen
übersetzten Teil dessen, was gegen ihn vorgebracht wird, hob Mohammad
seine Faust zwei mal als eine Geste der Stärke und des
Widerstands.
In
der ganzen Westbank versucht Israel, genau wie in diesem Gericht, den Ausdruck
palästinensischer Selbstbestimmung zu unterdrücken. Der Grenzort von Bilin ist international mit seiner gut dokumentierten
Widerstandkampagne gegen die Enteignung durch die Mauer bekannt. Es ist genau
dieser internationale Ruf der palästinensischen Gesellschaft, die Israel
mit systematischer Gewalt- und einer Verhaftungs-Kampagne erreichen will.
In
diesem Sommer besuchte ein Komitee aus Bilin Kanada, um gegen zwei israelische
Siedlungsbaugesellschaften, die in Montreal registriert sind, einen Prozess zu
erreichen. Als sie zurückkehrten, wurde ihr Führer Mohamed Khatib von der
israelischen Armee verhaftet. Und während die beiden Gesellschaften weiter
illegal auf dem Land von Bilin bauten, führte das
Militär drei Monate lang systematisch
nächtliche Überfälle im Dorf durch.
Als
ich das letzte Mal mit Mohammad Khatib im September sprach, war er sehr
erschöpft, es war Ramadanfasten und jede Nacht gab es Armee-Überfälle. Er sagte mir, dass junge
Leute in Bilin verhaftet und von der Armee auf dem
Weg zum Verhör ernsthaft geschlagen wurden, ja dass man ihnen die Aussagen
geradezu herausgeschlagen hat.
Am
letzten Donnerstag eskalierte der Druck auf den Ort noch einmal, als
israelische Undercoversoldaten
den 19Jährigen Aktivisten Mohamed Yasin geschlagen und verhaftet haben. Gaby Lasky, die Anwältin für
die Bilin-Verhafteten, sagt, es sei ihr von
der Militäranklagevertretung gesagt worden, dass die Armee beabsichtige, den
Anti-Mauer-Demos in den Dörfern ein Ende zu setzen und dabei mit voller Kraft
und Gewalt gegen die Demonstranten vorgehen wolle.
Das
ist die Strategie Benyamin Netanyahus:
all diese allergischen Stellen zu treffen. Auf der diplomatischen Ebene verlange
er von den palästinensischen offiziellen Vertretern Beruhigung, aber diese Politik soll nicht auf PR-Tanz mit einer palästinensischen Behörde
beschränkt bleiben, da eine immer größer werdende Anzahl von Leuten nach einer
Lösung schreit. Das Ziel ist, dass der palästinensische internationale Schrei
nach Solidarität sich in einen Schrei nach israelischer Gnade verwandelt. Er
drückt sich in militärischen Überfällen auf palästinensische Häuser aus
und darin, dass politische Gefangene
ohne Verurteilung in israelischen Gefängnissen
an Stühle gefesselt in Verhörräumen sitzen.
Jesse
Rosenfeld ist eine kanadische, freiberufliche Journalistin, die seit 2007 in
Israel und in den besetzten Gebieten arbeitet und z.Zt. in Jaffa
lebt.
(dt.
Ellen Rohlfs)