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Israels Krieg gegen die Jugend

 

Rela Mazali   "The Guardian", 05. Mai 2009

 

Ungefähr sechs Monate, nachdem Israels Generalstaatsanwalt seine Bestrebungen ankündigte, gegenteilige Meinungen zu kriminalisieren,  haben staatliche Behörden  den Einsatz in ihrem "Krieg"  - wie die Tageszeitung Ha'aretz es letzten September nannte – gegen Israels Jugend und gegen ihre große Protestbewegung, die den Militärdienst verweigert, intensiviert – die von den Beamten als "Wehrdienstdrückeberger" beschimpft werden.

 

Am 26. April, einen Tag vor Israels Gedenktag, inszenierte die israelische Polizei ein absurdes Stück eines politischen Theaters – wie zuerst Dimi Reider letzten Donnerstag hier berichtete. Als ob sie es mit gefährlichen, organisierten Kriminellen zu tun hätten, durchsuchte sie die Häuser von sechs Aktivisten in verschiedenen Teilen Israels und nahm diese in Untersuchungshaft. Sie nutzte die Emotionen, die sich an einem Gedenktag für die getöteten Soldaten entladen und sonderte in einer Polizeiaktion Aktivisten aus, die gegen das Militär sind und brandmarkte sie als Außenseiter der legitimierten israelischen Gemeinschaft.

 

Während ich dies schreibe, hat die Polizei 10 weitere Aktivisten zum Verhör vorgeladen. Die zur Zielscheibe gewordenen Aktivisten sind Mitglieder von New Profile, einer Frauenbewegung, die seit über einem Jahrzehnt  daran arbeitet, die Militarisierung des Staates und der israelischen Gesellschaft zu ändern. Ich war von Anfang an Mitglied. New Profile möchte das Recht wahren, schwerwiegende Probleme, mit denen junge Menschen konfrontiert werden, offen zu diskutieren. Wir arbeiten daran, die militärische Denkweise zu ändern, die uns, alle Bürger von Israel und Palästina "als Geisel hält". Unser Aktivismus  kann einige erzürnen, aber wir handeln völlig legal.

 

Die Realität ist, dass die Zahl der jungen Israelis wächst, die sich -  wie auch die wehrpflichtige drusische Minderheit – außerstande sieht,  das israelische Diktat "Es gibt keine andere Wahl" (weiterhin) zu akzeptieren. Vier Generationen sowie sechs Jahrzehnte voll fehlgeschlagener "militärische Lösungen" haben eine breite soziale Bewegung junger Menschen erzeugt, die bei ihrer Einberufung zum Militär schwerwiegende innere Kämpfe ausfechten.

 

 Verweigerer aus Gewissensgründen werden praktisch im israelischen Gesetzessystem nicht berücksichtigt und  Israels Gerichte, sowohl die Militär- als auch die Zivilgerichte – klassifizieren den Grund der Wehrdienstverweigerung als "politisch",  "psychologisch" und nur sehr selten als " aus Gewissensgründen". Der Gewissenskampf, der aufkommt, wenn sie vor der Entscheidung der Wehrpflicht stehen, hat viele junge Menschen zur völligen Verzweiflung gebracht. In den letzten Jahren war die Zahl der israelischen Soldaten, die  durch Selbstmord ums Leben kamen, höher, als die aller militärischer Opfer insgesamt.

 

Laut Ha'aretz ist  der Grund für die  kriminelle Ermittlung gegen New Profile "die wachsende Besorgnis des Verteidigungssektors vor dem wachsenden Trend der Einberufungsflucht". New Profile ist nicht der Grund, wir dienen lediglich als Sündenbock, um Angst einzujagen und zukünftige Verweigerer einzuschüchtern. Deshalb hat der Staat den vielen Tausenden den "Krieg" erklärt, die sich der Einberufung widersetzen und sich weigern, ihren Körper, ihre Seele und ihre Moral visionslosen Politikern zur Verfügung zu stellen.

 

Seit Jahren hat die Armee regelmäßig Zehntausende problemlos vom Militärdienst befreit. Tatsache ist, dass einige Jahre zuvor das Militär und (der selbe) Verteidigungsminister ein Downsizing-Programm verkündet haben, mit dem Ziel eine "kleine smarte Armee zu schaffen".  Heutzutage befürchten sie kein Misstrauensvotum, weil sie das Leben der Soldaten leichtfertig aufs Spiel setzen – aber der Ärger darüber beschränkt sich nicht länger nur auf einen entfremdeten, verarmten Teil der Gesellschaft, sondern breitet sich mittlerweile auch bis tief in die Mittelklasse aus.

 

Im israelischen Mainstream offenbart auch die wachsende Legitimierung der Militärdienstverweigerung, dass der Einfluss der Angst in unserer Gesellschaft schwindet. Diejenigen, die an der Macht sind, sowohl die "Rechte", als auch die sogenannte "Linke", kämpfen, um diese langjährigen Mittel (Praktiken) einer obskuren politischen Korruption beizubehalten und die Vorstellung einer "nationalen Einheit" in Form einer "Volksarmee" zu nähren.

 

Tragischer Weise ist dieser Krieg gegen New Profile nur ein Teil eines erweiterten Programms der Unterdrückung von gegenteiligen politischen Meinungen durch den Staat. Hunderte palästinensischer Bürger  Israels wurden festgenommen, weil sie gegen Israels Militärangriffe auf Gaza im letzten Januar demonstriert haben. Viele sitzen noch im Gefängnis, ohne Verurteilung,  ohne Untersuchung oder ohne Prozess. Aktivisten nehmen Teil an gewaltlosen Protesten gegen das landverschlingende Monster, Israels Trennungsmauer. Sie werden regelmäßig "mit tödlichem Feuer" angegriffen. Gerade  vor 2 Wochen  wurde Bassem Ibrahim Abu Rahma von Soldaten in Bil' in getötet. Dutzende von Aktivisten,  sowohl Palästinenser als auch Juden, werden bei Demonstrationen verhaftet und unterschiedlich lange inhaftiert. In den meisten Fällen sind die Druckmittel auf jüdische Aktivisten von ihrer Willkürlichkeit und Brutalität her nicht mit denen vergleichbar, die gegenüber Palästinensern angewandt werden.

 

Jedoch ist die politische Inszenierung der Unterdrückung, die bei New Profile eingesetzt wurde, von großer Bedeutung. Jeder Akt der Unterdrückung ist bedeutend. Man sollte sich ihr widersetzen und wenn sie bei der Gruppe einer relativ privilegierten Mittelklasse, hauptsächlich Frauen mittleren Alters, ausgeübt wird, dürfte dies dem größten der israelischen Gesellschaft mehr ins Auge fallen. Dies erleichtert die Bloßstellung des Lügenapparates des Staates und seiner irrwitzigen und erfundenen Beschuldigungen und vermittelt ehrbaren, aber nicht informierten Menschen ein konkretes Verständnis für die Realität (der Situation). In der Waagschale liegt die Zukunft von Recht und Frieden für jeden Menschen in Israel und in den Palästinensischen Gebieten. Das Leben der israelischen Jugend, gegen die der Staat diesen Krieg führt, steht auf dem Spiel. Wofür wir kämpfen, ist die Zukunft einer Demokratie, einer Zivilgesellschaft.

 

( dt. Inga Gelsdorf)