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Israels schleichende Kriminalisierung der demokratischen Rechte

 

Richard Silverstein,  Tikun Olam

 

  26. Dezember 2012

http://www.kibush.co.il 

 

Vor ein paar Tagen schrieb Amira Hass in Haaretz eine Geschichte über ein Shin Bet-Verhör eines israelischen Friedensaktivisten, Kobi Snitz. Snitz ist Mathematiker am Weizman-Institut und Mitglied einer pro-BDS-Gruppe in Israel, die sich Boykott von Innen nennt. (er gehört auch zu den Anarchisten gegen die Mauer) Snitz und mehrere hundert andere unterzeichneten das Manifest der Gruppe; auf viele von ihnen wurde so  die Geheimpolizei aufmerksam.

Sie lud Snitz zu einer Befragung ein  - genau ein Jahr, nachdem sie ihn das letzte Mal zu einer Tasse Tee und Kuchen eingeladen hatte. Er wollte jetzt nicht kommen. Aber sie sagten ihm, die Alternative wäre, ihm  einen Polizeiwagen zur Uni zu senden, um ihn dort zu verhaften und ihn hier fest zu nehmen und zu verhören. Da sie ihm sagten, er würde nicht vorgeladen als Folge von Anklagen, die gegen ihn erhoben würden, willigte er ein.

Sie boten ihm eine „Gunst“ an, die man keinem palästinensischen Verdächtigen anbietet, der während des Verhörs zusammengeschlagen wird . Snitz boten sie an, ihn in der Nähe des Uno-Campus zu treffen, damit er keinen Unterricht und andere Kollegen versäumt. Wie großzügig von ihnen, einem Mitjuden solch eine Freundlichkeit zu gewähren!

 

Als Kobi zum Verhör erschien, traf er zuerst auf eine rangniedrigere Mitarbeiterin des Geheimdienstes mit Namen Rona und  einen  Shabak-Offizier, Mati, der sich selbst als  ranghoher Offizier  der Agentur „Jüdische Sektion“ vorstellte. Mati sagte ihm, dass seine Verantwortung bei Shabak  die Arbeit mit „extremen Linken“ sei. Was ihn am meisten interessieren würde, wäre das Problem der Delegitimierung … sagte der Geheimpolizist  zu Kobi.

 

Dies bedeutet, dass BDS-Aktivismus innerhalb Israels vom Shin Bet entweder als eine ausgesprochen kriminelle Tat angesehen wird oder als  Anfang einer solchen. Die Knesset hat ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Unterstützung von BDS ein Delikt sei, aber nach meinem Verständnis ist es ein ziviles und kein kriminelles Delikt.  Das Verständnis des Shin Bet  für das Gesetz ist natürlich schäbig, aber das macht nichts, weil das Mandat des Sicherheitsdienstes teuer und die Definition seines Ressorts  robust ist.

 

2007 verkündete Yuval Diskin eine neue Doktrin, die besagt, dass der Shabak jede Form von Aktivitäten (selbst legale Aktivitäten ), die die jüdische Natur des Staates bedrohen, als einen Akt der Aufwiegelung und deshalb als kriminellen Akt ansehen. Obgleich die meisten Beobachter in dieser Zeit dies als eine Bedrohung der israelisch palästinensischen Nationalisten sehen (Ameer Makhoul  muss wegen solch erfundener Anklagen eine neunjährige Gefängnisstrafe absitzen) , scheint das Konzept erweitert worden zu sein, um gefährliche linke jüdische Radikale einzuschließen, deren Ideen den Staat stürzen könnten.

Dies ist der Wahnsinn des modernen Israel, in dem Ideen so gefährlich wie Waffen sind und Gedanken so aufrührerisch wie tatsächliche Handlungen. Zum Glück hat die Gesellschaft für zivile Rechte( Association for Civil Rights) in Israel eine juristische  Ablehnung dieser Doktrin eingereicht.

 

Zu Beginn des Verhörs reichte Mati Kobi  zum Gruß die Hand, aber er verweigerte sie. Mati schien echt beleidigt zu sein und sagte: „Maben Sie etwas gegen das Hände-schütteln? Oder ist es nur meine Hand, die sie nicht schütteln wollen. Ich gebe jedem die Hand, auch dem, mit dem ich nicht einverstanden bin.“ Kobi erwiderte: „Es ist etwas anderes, wenn ich auf Ihre Einladung hin komme. Aber das ist hier etwas anderes“.

Mati schien nur sehr bereit zu sein, ihm eine Lektion  über das Wesen der israelischen Demokratie zu erteilen, die sich wohl nur lächerlich angehört hätte, da sie aus dem Mund eines Sicherheitsagenten gekommen wäre . Also schwieg er, und das Gespräch darüber endete schnell. Aber nicht bevor Mati ihm sagte, dass er seinen Namen zu oft gesehen habe (Was immer das bedeutet,) und dass seine Aktionen die Linie überquert hätten. Der Agent sagte weder Genaueres, welche Aktivitäten er als lästig empfindet, noch welches die rote Linie wäre. ( Israels Sicherheitsapparat hat es nicht nötig, diese Dinge zu definieren.) Dieses Treffen wäre eher eine Höflichkeit. Wenn er mit seinen lästigen Aktivitäten, an denen er beteiligt ist,  weitermachen würde, dann wäre das nächste Treffen viel weniger freundlich.

 

Da Kobi eng mit Palästinensern arbeitet, die genau diese Art unfreundlicher Behandlung erhalten, wusste er, was das bedeutet. Er war sich auch ziemlich sicher, dass Mati ihn auf die Probe stellte. Da er vor genau einem Jahr ähnlich verhört wurde. Tatsächlich fragte er sich, ob dies das Äquivalent einer jährlichen Sicherheitsmaßnahme ist, die von einem „Einwohner“-Sicherheitsspezialisten durchgeführt  wird. Aber vor allem dachte er, es wäre ein Versuch, um ein psychologisches Profil von jedem Aktivisten zu haben, um dieses in der Zukunft zu auszunützen.

Rona, die jüngere Mitarbeiterin, zog ein Stück liniertes Papier heraus und las eine von ihr handgeschriebene Darstellung, die ihn warnte, sein Verhalten sei für die Behörden nicht mehr annehmbar und er solle sich bessern.

 

Kobi erzählte mir, etwa zwölf andere Aktivisten  seien ähnlich behandelt worden; also ist dies ein wachsendes Phänomen, um israelisch-jüdische Aktivisten einzuschüchtern. Anscheinend sehen die Sicherheitsdienste die Ideen der Anarchisten als ebenso gefährlich an, wie eine tatsächliche Bombe und Kugeln von Siedlern, die tatsächlich Palästinenser ermordeten und ihre Moscheen in Brand setzten.

Es besteht keine Gefahr, dass der Shin Beth tatsächlich irgend ein Gewaltverbrechen  der Siedler gegen Palästinenser aufklären wird. Tatsächlich verlieren sie routinemäßig den Beweis und entlassen Verdächtige aus dem Gefängnis. In diesem Fall - wurde heute berichtet - verurteilten sie eine Gruppe Siedler, die die Bewegung der IDF ausspioniert, (in Kriegszeiten wird dies mit der Todesstrafe bestraft.), Soldaten angegriffen  und eine Militärbasis verwüstet hätten, mit Hausarrest. Die schlimmste Strafe ist eine Zurechtweisung mit einer Verwaltungsorder für einen Siedler, dem verboten wird, sich eine Zeit lang in der Westbank aufzuhalten.

Kobi erzählte mir, dass man Yonatan Pollak mit solch einer Verbotsverfügung gedroht hatte. Dies würde natürlich bedeuten, dass  die Bewegungsfreiheit einem Bürger eingeschränkt werde, der keiner illegalen Tat verdächtigt wird - abgesehen von möglichem Nachdenken (über  einen Protest in der Westbank gegen den Willen der IDF teilzunehmen, was ein illegaler Akt im Besatzungsstaat mit Namen Israel wäre.)

Wenn der Shin Bet mit tatsächlichen Siedler-Verbrechen konfrontiert ist, zieht er  vor, unbewaffnete, pazifistische Anarchisten  zu jagen, deren illegale Taten  aus „inakzeptablen“ Gedanken über  politische Probleme bestehen. Die Geheimpolizei muss Gedanken lesen können, dass es nicht illegal ist, eine Veränderung der Gesellschaft zu befürworten, nicht einmal eine radikale Veränderung. Wenn Israel in einen demokratischen Staat verwandelt wird und all seinen Bürgern die gleichen Rechte anbieten würde, so wird dies als kriminelles, aufrührerisches Verhalten angesehen – jetzt weißt du,  dass die Wahnsinnigen die Irrenanstalt übernommen haben.

 

(dt. Ellen Rohlfs)