Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Judith Bernstein
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www.jrbernstein.de |
Herrn
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel
Auswärtiges Amt
11013 Berlin
München, 04. April 2017
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel,
als mein Mann und ich vor mehr als zehn Jahren einen Termin im Auswärtigen Amt
wahrnahmen, wurden wir mit dem Satz empfangen: „Wir machen uns große Sorgen um
den wachsenden Antisemitismus.“ Wir antworteten, dass das Ende der israelischen
Besatzung der Gefahr des Antisemitismus Einhalt gebieten könne.
Es ist richtig, die fortgesetzte Siedlungspolitik zu verurteilen – wie Sie es am
31. März 2017 erneut getan haben. Doch die Rhetorik allein reicht nicht aus,
solange ihr keine politischen Konsequenzen folgen. Dies hat dazu geführt, dass
die von der internationalen Diplomatie beschworene Zwei-Staaten-Lösung immer
unrealistischer wird.
Mit Recht verurteilen wir die Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie der
Türkei und Russland. Zu fünfzig Jahren Unterdrückung, Erniedrigung und
Freiheitsberaubung der palästinensischen Bevölkerung aber schweigen wir.
Ein immer größerer Teil der deutschen Öffentlichkeit positioniert sich gegen die
israelische Regierung und ihre Unterstützer. Jüdische Gemeinden, die jede Kritik
an der israelischen Politik als „Antisemitismus“ abtun sowie Institutionen, die
thematisch kritische Veranstaltungen verbieten, werden als Komplizen der
israelischen Regierung wahrgenommen. Das Einknicken deutscher Institutionen wie
unlängst in
Berlin, Hamburg, Göttingen und Frankfurt (und derzeit in München, wo der Vortrag
eines der bekanntesten israelischen Journalisten - der täglich in Israel
publiziert - verboten werden soll), wird als Angriff auf die eigene
Meinungsfreiheit verstanden und schürt noch eher den Antisemitismus. Das Klima
ist mittlerweile so vergiftet und die Fronten dermaßen verhärtet, dass ich die
große Befürchtung habe, dass eines Tages dies auf uns alle Jüdinnen und
Juden zurückschlagen wird.
Die Bewegung „Boykott, Entzug von Investitionen, Sanktionen“ (BDS) würde sich
erübrigen, wenn die europäische und deutsche Israel-Politik auf die Alternative
drängte – nämlich auf das Ende der Besatzung und die Gleichstellung der
palästinensischen Bevölkerung in Israel und Palästina. Erst dann hat die
Zwei-Staaten-Lösung noch eine Chance. Israel wird in Ihrer Pressemitteilung die
unverbrüchliche Freundschaft zugesichert, obwohl mittlerweile die politische
Verfolgung auch jüdische Dissidenten trifft. Wen meinen wir, wenn wir von
„Israel“ reden? Wer sich um die Zukunft Israels sorgt, der sollte auch nicht vor
Sanktionen zurückschrecken – dies hat nichts mit der deutsch-jüdischen
Geschichte zu tun. Ansonsten droht diesem Staat der moralische Bankrott.
Ich selbst bin als Tochter deutsch-jüdischer Eltern, die vor dem
Nationalsozialismus fliehen mussten, in Jerusalem geboren und lebe seit über 40
Jahren in Deutschland. Mein Engagement in diesem Konflikt lässt sich dreifach
begründen: Erstens kenne ich die Situation vor Ort und sehe keinen Grund, warum
die Palästinenser nicht die gleichen Rechte wie die jüdischen Israelis genießen
sollten. Zweitens ist für mich Israel nicht nur der Staat Benjamin Netanyahus
und seiner Regierung, sondern auch das Israel der Friedensgruppen, die wir
unterstützen sollten. Drittens lebe ich gern in Deutschland und möchte nicht,
dass der Antisemitismus wieder salonfähig wird.
Abschließend möchte ich noch auf eine Tagung eingehen: Zusammen mit der
Evangelischen Akademie Tutzing organisiere ich im Mai eine Konferenz mit dem
Thema „Nahost-Politik im Spannungsdreieck.
Israelisch-palästinensische Friedensgruppen als Lernorte für deutsche Politik“.
Wir haben die besten israelisch-palästinensischen Friedensgruppen eingeladen,
doch leider haben uns alle aktiven deutschen Politiker abgesagt. Es ist klar,
dass wegen der bevorstehenden Wahlen einige Politiker absagen mussten. Damit
wird allerdings eine Chance vertan, denn diese Gruppen sind die einzigen, die
noch zusammenarbeiten.
Mein Ehemann, der Historiker Reiner Bernstein beschäftigt sich seit mehr als 50
Jahren mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt und kennt große Teile der
arabischen Welt. Er hat gerade ein Buchmanuskript fertiggestellt, in dem er der
Frage nachgeht, warum die internationale Diplomatie an diesem Konflikt seit der
britischen Mandatszeit scheitert: Es ist, um Jacques Delors zu zitieren, der
Verzicht auf ein „tieferes Verständnis für die religiösen und philosophischen
Vorstellungen anderer Zivilisationen“. Um ein solches Verständnis zu gewinnen,
bedarf es eines Abgleichs jüdisch-theologischer Quellen mit der israelischen
Realpolitik.
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Bernstein