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Willkommen im arabischen Ghetto

Sayed Kashua,

 

14. Januar 2016 

 

 Haaretz

Warum geschieht das Eurem Gemeinden, werde ich manchmal gefragt.  Das ist es, was hier geschieht, antworte ich; wenn  der Staat eure Existenz ignoriert, werden Streitereien von Kriminellen mit Gewalt gelöst.

Im Kopf, ganz sicher im Kopf – die Blutlache ist auf der linken Seite des Kofes. Wieviele Kugeln? Kamen sie von hinten oder von vorne. Der halbe Schädel ist weggeblasen, das Gehirn quillt heraus. Offensichtlich ein großes Loch hier, man kann  es sehen. Sie drehten den Körper um. Es gibt Bilder von ihm, wie er auf dem Rücken liegt und andere, wie er auf der Seite liegt. Drehten sie ihn mit ihren Füßen um?

Es ist kalt – man kann es fühlen. Man sieht es in den Augen – den gefrorenen Blick der Bewohner von Arara. Kälte ist ein Gefühl und hat nichts mit der Temperatur im Winter zu tun.  Es macht keinen Unterschied, ob man die Temperatur mit Celsius oder Fahrenheit misst. Deshalb werden die Nächte der Kindheit in Tira immer die kältesten sein.  Mit dem Elektroheizer, der an Tagen mit Strom ein bisschen Wärme gibt, die gestreiften oder geblümten Wolldecken und die dünnen Matratzen mit der Standardstickerei . Jeder erkennt sie, wenn nicht von zu Hause, dann aus dem Haus der Eltern oder Großeltern…. Sie erkennen die Armut, die Glasflasche  mit Limonade, den weißen Zucker, unser Geschirr und die Flecken von schwarzem Kaffee, der über den Dallah floss– ja so wird  das Gefäß  genannt.  Finjan  ist das kleine  gewöhnlich angemalte Glas, aus dem der Kaffee getrunken wird. Aber geh dich mit den hübschen, gewinnenden  Sabras streiten.

Zeigen sie auch die jüdischen teilweise verschmierten Körper? Ich weiß es nicht mehr. Ich bin nicht auf dem Laufenden, was die ethischen Standards betrifft. Vielleicht wird es  zur Abschreckung gemacht , zur Demütigung oder  als Zeichen von Sieg und Heldentum. Auf jeden Fall ist der Tod dort …

„Allah yerhamo“, wie sie sagen, Mag Gott ihm gnädig sein.

Welchen Unterschied  macht ein anderes Bild eines Körpers, der in einer Blutlache liegt, einem Volk, das ein Non-stop-Konsument von Greuelbilder ist? Du musst in ihrer Sprache sprechen, die Sprache eines andern Staates, der innerhalb eines Staates liegt. Wie passend ihn als einen Staat innerhalb eines Staates zu beschreiben.

To go with and to feel with   wie man  hier sagt (??)  Es ist dasselbe Land und du fühlst seine Existenz, wenn es über seine Grenzen fließt, die im Kontrast jenes Mutterstaates genauestens abgegrenzt ist.

Die  beste Definition eines Staates, wie ich es von Max  Weber verstanden habe, ist eine Körperschaft, die eine Monopolstellung im Gebrauch von Gewalt hat. Welche Monopolstellung von Gewalt  besteht in arabischen Orten?  Dort ist nur Gewalt und sie gehört  niemandem. Gewalt die keine Wahl hat als  über die Grenzen  des Ghettos zu fließen und dann kann sie  vom Mutterstaat als national, religiös, , eine Mentalität und eine Kultur ausgelegt werden -   als alles , nur um Verantwortung zu vermeiden.

Solange das Gesetz nicht durchgesetzt wird,  wird Gewalt ein Teil der Routine im Leben sein und ohne  geeignete Fähigkeit, sich auf die Institutionen  des Staates zu verlassen, ist   Gewalt,  durch Kriminelle vermittelt, eine Art und Weise geworden Streitgespräche  zu lösen . Mit andern Worten: die Starken  erzwingen Lösungen  über die Schwachen. 100 bewaffnete Leute in einer Stadt mit 50 000 Bewohnern sind genug , das Leben der Bewohner zur Hölle zu machen; macht ihnen  täglich eine Portion Furcht und nimmt ihrem Leben  die persönliche Sicherheit, ja ist nicht wert zu leben.

Die Waffen einsammeln, das Gesetz durchsetzen; wir werden sie über den Kopf schlagen , ein-zwei-dreimal. Wenn ich ein Soziologe  wäre, würde ich behaupten, dass dies nichts helfen wird. Es könnte die Situation mildern, aber es ist zweifelhaft, ob es hilft, wenn das ganze Konzept, die ganze Politik unverändert bleibt. Es wird so lange nicht helfen, wie das  Negev- und Galiläa-Ministerium keine ads veröffentlicht, die arabische Familien  ermutigtin neuen Gemeinschaften Häuser zu bauen wie es die jüdischen Familien . Es wird nicht helfen , solange Regierungsministerien damit beschäftigt sind, das Land innerhalb  und außerhalb der Grünen Linie zu judaisieren. Es wird solange nicht helfen,  wie die Bürger in Araber und Juden eingeteilt werden.

„Warum geschieht dies in euren Gemeinden?“ Ich erinnere mich an den rothaarigen TV-Direktor, der mich  nach einem neuen Mordfall fragte, der in den israelischen Medien berichtet wurde – weil Mordfälle die einzigen Vorfälle in arabischen  Gemeinden  sind, die manchmal israelische Medien  erreichen.

Ich überwand meine Trauer und antwortete ihm: „ weil, wenn ihr das Dorf von  Bei Zayit 20 Jahre lang sperrt, so dass jeder dort geborene gezwungen ist, dort zu leben, dann garantiere ich dir, dass dies auch bei euch geschieht. Ich garantiere dir, dass Brüder anfangen werden , wegen eines Quadratmeters Land  auf einander zu schießen.

Die Realität ist beängstigend. So mächtig beherrscht  die Angst die Bevölkerung, dass arabisch-sprachige Zeitungen und Nachrichten solche Fälle von Gewalt zurückhalten und  die Namen der Verdächtigen, die auf Grund von Mord  verhaftet worden sind, nicht erwähnt werden – selbst wenn die Namen schon auf Hebräisch Medien erschienen sind. Die Realität ist unheimlich und aus gutem Grund. Die Leute lernen entziffern, was nicht in den Nachrichten steht, sie lernen die Gründe zwischen den Zeilen lesen.

„ WOHIN?“ ein alter Freund aus dem Wadi Ara rief mich diese Woche an und schrie mich  fast an, als ich ihn drängte, von dort wegzugehen. „Wohin soll ich denn gehen?  Wohin werden die Kinder zur Schule gehen? Wer wünscht uns denn? Die Leute in Afula?“ sagt er mockierend.

„Vielleicht nach …“  beginne ich zu antworten; aber er hielt mich an, als ich versuchte, ihm Haifa vorzuschlagen.

„Tu mir einen Gefallen, schlag mir nicht Haifa vor“, sagte er   Es wird auch dran kommen. Und wo würde ich das Geld bekommen, um umzuziehen? Wo würde ich einen Job bekommen?

Es ist dasselbe Land und dasselbe Elend, das die arabischen Ortsbewohner dort heimsucht. Aber an diesen Orten haben die Leute wenigstens die Illusion, dass ihr Schicksal nicht  schon bei der Geburt besiegelt ist, dass sie mit Bildung und Arbeit sie  in der Lage sind, dem Inferno zu entfliehen. Das ist eine fast unmögliche Illusion für die Araber in Israel, die dahin erzogen worden sind, zu verstehen, dass die keine andere Alternative haben, als in ihrem Geburtsort zu leben. Das Problem besteht jetzt seit fast sieben Jahrzehnten. Das Land ist dasselbe geblieben, aber das Dorf ist kein Dorf mehr.“