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Crazy  Country

 

Fünf Minuten vor  zwölf

 

Adam Keller, 24. 1.14

Vor wenigen Jahren diskutierten Gush Shalom-Aktivisten über die Herausgabe von  neuen Stickers  vor dem Jahrestag des Rabin-Gedenktages, ein Ereignis , das immer eine große Anzahl von  friedensgesinnten Jugendlichen anzieht, die  eifrig ihre  T-Shirts mit  vielen verschiedenen politischen Stickers schmückten. Wir entschlossen uns,  Sticker zu produzieren mit der Warnung “Wacht auf – es ist fünf Minuten vor Mitternacht“. Mit dabei war eine Zeichnung mit Uhrzeigern über der israelisch- palästinensischen Flagge. Wir bereiteten drei verschiedene Arten vor: „Es ist fünf Minuten vor Mitternacht – dies ist die letzte Chance -  den Kurs zu ändern“ „ Es ist fünf Minuten vor Mitternacht – der letzte Augenblick, um Frieden zu machen.“ „ Es ist fünf Minuten vor Mitternacht – dies ist der letzte Moment, um die Siedlungen abzubauen.

Anscheinend kam unser Pessimismus ein bisschen zu früh. Wir fanden vor kurzem  eine Schachtel  voll mit diesen Stickern und beschlossen, dass sie immer noch  verwendet und verteilt werden können d.h. dass die Stunde vor Mitternacht sich verzögert hat und noch nicht über uns gekommen ist. Aber jetzt könnten wir auf der Schwelle stehen. Wenn der diplomatische Versuch vom Außenminister Kerry angeführt, scheitert, und nach Präsident Obama die Chancen seines Erfolges weniger als 50% sind  - wird es dann noch irgend eine Chance für irgendeinen Prozess geben, der auf Frieden  zwischen Israelis und Palästinensern hinzielt. Wird dann noch einer dies versuchen?

Nach  einer Indiskretion der Medien, die diese Woche herauskam, war Kerry bei seinem letzten Besuch in Jerusalem nicht weniger als sieben Stunden mit Ministerpräsident Netanyahu zusammen. Leute saßen vor den geschlossenen Türen und konnten  das Echo lauter Stimmen von innen hören. Kerry entschloss sich dann, seinen nächsten Besuch in die Region hinauszuschieben, der eigentlich für den 13. Januar vorgesehen war.  Nun war erst mal kein Datum festgelegt worden. Es war damals als Netanjahu seine Entschlossenheit verkündigte, dass die israelische Herrschaft über die Siedlung von Beit El  und der Siedlungsblock drum herum bleiben wird. Das würde heißen, dass eine Reihe von Israel beherrschter Enklaven und Korridors das palästinensische Gebiet trennen würde und auch  Ramallah abschneiden. Außerdem will er die Siedlerenklave mitten in Hebron halten, was wieder eine Reihe tiefer Einschnitte in das palästinensische Gebiet bedeuten würde. Im Ganzen  beansprucht er 13% der Westbank und letzten Endes ist er nicht bereit, den Palästinensern im Austausch  die gleiche  Menge an Land vom israelischen Gebiet (-1967) zu geben. All dies ohne Berücksichtigung, dass das israelische Militär weiter die Kontrolle über das Jordantal hat.

Aber … Netanjahu hatte in dieser Woche auch ein paar gute Momente und zwar während des Besuches von Stephen Harper, Ministerpräsident von Kanada. Harper gab sich alle Mühe, sich als wahren Freund des israelischen Ministerpräsidenten zu zeigen. Er wies jeden Versuch von Journalisten zurück, die von ihm ein Wort der Kritik über den Siedlungsbau hören wollten. Rechte Zeitungen und Kommentatoren waren entzückt und beklagten sich, dass die israelischen TV- Medien  die volle wunderbare zionistische Rede, die Harper in der Knesset hielt, nicht  ganz brachten.

Netanjahu würde sicher glücklich gewesen sein, wenn es möglich gewesen wäre, Stephen Harper  nach Süden schicken zu können und im Weißen Haus  in Washington einzuführen oder wenigstens in der Downingstreet in London oder  in der Staatskanzlei in Berlin. Aber diejenigen, die sorgfältig schauen, konnten sehen, dass der große Freund Harper tatsächlich die israelischen Siedlungen auf der Westbank nicht unterstützt.

Als Reporter ihn fragten, antwortete Harper: „Unsere Position zu diesem  Problem ist doch wohl bekannt.“ Tatsächlich wurde Kanadas offizielle Position  von  Harpers Außenministerium eine Woche vor  der Abfahrt in unsere Region veröffentlicht.

Tatsächlich war Kanadas offizielle Position von  Harpers Außenministerium eine Woche, bevor er in unsere Region abfuhr, veröffentlicht. Dies schloss ein Statement mit ein, dass israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten eine Verletzung der Vierten Genfer Konvention sei und ein ernstes Hindernis, um einen umfassenden, dauerhaften und  gerechten Frieden zu erreichen.  Auch, dass „Kanada Israels einseitige Annexion von Ost-Jerusalem nicht anerkennt; und Kanada das Recht der Selbstbestimmung des palästinensischen Volk unterstützt und die Schaffung einer souveränen, unabhängigen, lebensfähigen Demokratie in einem territorial zusammenhängenden  palästinensischem Staat.“ Kurz gesagt, eine kanadische Position, die sich kaum von der der europäischen Länder unterscheidet, deren Botschafter  zu einem diplomatischen Tadel ins Außenministerium gerufen wurden, genau zu der Zeit von Harpers Besuch.

Es war auch genau zur selben Zeit, als hundert israelische Industriekapitäne eine ernste Warnung  über den Schaden herausgaben, den die israelische Wirtschaft erleidet, sollten die Verhandlungen  scheitern: „Der andauernde Konflikt trifft alle Bürger in ihren Geldbeuteln. Wenn Israel eine stabile Wirtschaft wünscht, eine gute Zukunft und ein ständiges Wachstum, müssen wir ein Abkommen erreichen. Die Welt beginnt, ihre Geduld zu verlieren, und die Drohung mit Sanktionen wird von Tag zu Tag drohender. Wir haben mit Kerrys Ankunft in der Region ein kleines Fenster der Möglichkeiten, und wir sollten dies wahrnehmen.

Bevor sie sich auf den Weg in die Schweiz  nach Davos zum außergewöhnlichen  Ökonomischen Forum aufmachen, wo sie an einer Konferenz mit palästinensischen Geschäftsleuten teilnehmen, werden sich einige Mitglieder der Gruppe mit Netanjahu treffen, um ihm klar zu machen, wie ernst die Situation ist. Smadar Barber Tsadik, CEO der ersten Internationalen Bank Israels, wies in der Konferenz darauf hin, dass der größte Investment Fond in den Niederlanden alle Geschäfte mit Israels Banken abgebrochen hat, weil diese Banken in die Siedlungen investieren. Dies überschreitet tatsächlich die Linie zwischen einem Boykott der Siedlung und einem Boykott der israelischen Wirtschaft als Ganzes, ein ominöser Präzedenzfall.

Netanjahu  selbst flog nach Davos, wo er u.a, ein neues Treffen mit  Außenminister Kerry vereinbart hat. In seiner Rede versuchte er, Vertrauen und Optimismus zu zeigen, in dem er feststellte, dass es für Israel keinen Boykott gebe – und selbst wenn es einen gäbe, dann wird Israel es überstehen“. „ Es wird nur unseren Erfindungs- und Unternehmergeist  ermutigen.“ Reporter Gideon Katz, der über das Ereignis berichtete, schrieb  „Netanjahu hielt nicht seine beste Rede. Seine Erscheinung war nicht wie  die erfolgreiche Vorstellung bei der AIPAC. Dort sprach er zu einer König Bibi Zuhörerschaft. In Davos  ist er argwöhnisch und fürchtet eine feindselige Reaktion.

Der seit langem erfahrene Nahum Barnea bemerkte zwei Denkströmungen im israelisch politischen Establishment. Die Optimisten sagen, dass Boykottaufrufe von ein paar radikalen Gruppen ausgehen, die eine intensive Propaganda-Kampagne durchführen, aber der israelischen Wirtschaft keinen besonderen Schaden zufügen. Die Pessimisten denken, dass  schon ein  nicht wiedergut zu machender Prozess im Gange sei, dass das Image Israels als Apartheidstaat sich in Westeuropa schon festgesetzt habe und nun „überquert der Virus den Atlantik zu den US. Wenn die Reden  scheitern, macht es wirklich  nichts aus, wem Kerry die Schuld geben wird. Als Folge davon, werden wir uns Sanktionen gegenüber sehen, wie denen von Südafrika, Serbien, Nordkorea und dem Iran.

Auf der andern Seite des politischen Spektrums wird der Kolumnist Hagai Segal, ein früheres Mitglied des „Jüdischen Untergrundes“, der Bomben in palästinensische Autos legte und plante , die Moscheen in Jerusalem in die Luft zu jagen, mit einem interessanten Vorschlag: Der Staat Israel solle umgehend eine geheime Agentur bilden ähnlich dem Mossad, dessen Aufgabe es sein sollte, gewalttätig gegen jeden in der Welt zu sein, der wagt, zum Boykott gegen Israel aufzurufen; eine Agentur, deren Name allein schon Furcht und Schrecken bei den antisemitischen Boykottern einjagt. Segals Artikel in der „Makor Rishon“-Zeitung war mit einer Zeichnung illustriert: mit einem  muskulären bärtigen Juden, der einem fetten Europäer ins Gesicht schlägt.

Die Europäer sind wenigstens nicht eingeschüchtert.  Bei einer Pressebesprechung in dieser Woche machte der EU-Botschafter für Israel, Lars Faaborg-Andersen, es klar, dass die EU lange Zeit als Sponsor angesehen wurde (A payer not a player), nun aber nicht länger selbstverständlich diese Rolle als größter Handelspartner spielen wird und der größte Spender für die Palästinenser. „Wenn Israel weiter mit fortgesetzter Siedlungserweiterung abwärts triftet, und es keine Ergebnisse bei den augenblicklichen Gesprächen gibt, dann fürchte ich, dass es zu einer Situation kommt, in der Israel sich zunehmend isoliert vorfindet. Während die EU-Staaten keiner Firma  rät, die Investments in Israel zu beschneiden, mögen Gesellschaften einseitig handeln, um jegliche Gegenaktionen von Kunden zu vermeiden, die zunehmend  desillusioniert von Israels Präsenz in der Westbank sind.“

Und die Worte unseres Wirtschafts- und Handelsminister Naftali Bennett gossen nur noch mehr Öl ins Feuer. Bennett schlug vor, die Regierung möge ihre Verbindungen  mit  neuen Märkten verstärken, um das Problem mit Europa wett zu machen. Der EU-Botschafter bemerkte trocken, dass die EU Israels größter Wirtschaftspartner sei; nach der Buchführung fast ein Drittel von Israels Ex- und Importen und dass es  für Israel gar nicht leicht sei, in Eile das Zentrum zu verändern.“ Auch die Palästinenser wurden gewarnt: „ Wir machen es den Palästinensern klar, dass sie nichts gewinnen werden, wenn sie nur zurück gelehnt sitzen und auf das Scheitern der Verhandlungen warten. Wir betonten ihnen gegenüber auch, dass die Geberländer müde werden, wenn der Friedensprozess nicht endlich weitergeht. Wenn sie denken, dass wir  unendlich die Rechnung bezahlen, so ist das nicht realistisch. Wenn die Verhandlungen scheitern, gibt es keinen Plan B.“

Wenn  die Verhandlungen scheitern, gibt es keinen Plan B ….Wir könnten wirklich nur gerade noch fünf Minuten vor einer Menge Problemen und Ärger entfernt sein.

(Dt. Ellen Rohlfs)