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Crazy Country:
Irren ist menschlich
Adam Keller, 11.1.11
Am ersten Tag des Neuen
Jahres, am 1. Januar ist die Bewohnerin Bilins Jawaher Abu Rahmah gestorben,
nachdem sie während einer Demonstration gegen die Mauer am Tag zuvor große
Mengen Tränengas eingeatmet hatte.
Die Armee drückte zuerst ihr Bedauern aus und sagte, die Soldaten hätten nicht
beabsichtigt, sie zu töten. Dann entdeckte die Armee,
die Palästinenser und israelische Linke hätten gelogen: sie sei gar nicht
dort gewesen. Und dann entdeckt die Armee, dass sie auch einen Fehler gemacht
haben könnte und dass sie doch vom Einatmen des Gases gestorben ist. Und dann
verschwand dieses Thema von den Schlagzeilen zum großen Bedauern des
IDF-Sprechers, der bald ersetzt werden wird.
Am 2. Tag des Jahres machte
Mahmoud Muhammed Daraghma aus Tubas einen fatalen Fehler. Er ging in der Nähe
eines Checkpoints der Armee im Jordantal und hielt eine Flasche mit
Mineralwasser in Händen. Und die Soldaten dachten, es sei eine Flasche mit
Benzin. Es wurde ihnen der Befehl gegeben, die Chance nicht zu verpassen und
zuerst zu schießen und danach zu fragen – und sie
schossen acht mal auf ihn. Dann gab es niemanden mehr zu fragen.
Was können wir tun? Fehler passieren im Leben, nur die die nicht handeln,
machen keine Fehler.
Und am selben Tag starb in
Gaza der Student Anas Salah, der schwer krank war und der ins Mukassed
–Krankenhaus in Ost-Jerusalem gebracht werden sollte, weil es die für ihn nötige
Behandlung in Gaza nicht gab. Er
wartete viele Stunden am Checkpoint an der Gazagrenze – und erreichte vielleicht
die andere Welt, anstelle des Krankenhauses. Auch hier lag ein unglücklicher
Fehler vor. Er war schon sehr krank und wäre vielleicht auch im Krankenhaus
gestorben. Also kann keine Anklage gegenüber dem Staat Israel und seiner Armee
erhoben werden . ( Wirklich?)
Ein paar Tage später, am
Morgen des 7. Januar kam eine Militäreinheit im Raum Hebron an, um
gesuchte Mitglieder von Hamas zu verhaften und in ihr Gefängnis zu
stecken. Sie waren ziemlich genau unterrichtet. Nur ein kleiner Fehler wurde
gemacht, als den Soldaten gesagt wurde, der gesuchte Mann wäre in der 2. Etage –
doch tatsächlich war er in der unteren Etage. Die Soldaten gingen in die 2.
Etage, brachen die Schlafzimmertür auf und sahen,
wie sich jemand im Bett aufrichtet. Und wie wir wissen, geht die Polizei
kein Risiko ein und schießt zuerst und fragt später. Die Soldaten gaben ein paar
Schüsse auf Amr Qawasme ab, bevor er richtig aufwachte. Und dann war wieder
keiner mehr da, um ihn zu fragen. Es blieb nur ein völlig blutdurchtränktes Bett
im Schlafzimmer der Qawasmehfamilie zurück. Dies war sicherlich ein
bedauerlicher Fehler, und General Avi Mizrahi der IDF-Gruppe Mitte befahl sogar
eine Untersuchung der Umstände des Falles, und vielleicht werden versehentlich
sogar einmal einige Ergebnisse veröffentlicht.
Später am Abend dieses
Tages erhielt die Armee eine Warnung, dass
sich gefährliche Terroristen
an der Grenze des Gazastreifens befänden. Sofort wurde ein Sonderkommando von
Soldaten dorthin geschickt und das raffinierte neue PC gesteuerte System wurde
aktiviert: man muss nur die Koordinaten des Zieles eingeben, dann feuert der PC
eine tödliche Rakete genau ins Ziel. Und jetzt geschah mit dem raffinierten
PC-System ein kleiner Irrtum und
die Rakete flog über das beabsichtigte Ziel hinaus und traf den Oberfeldwebel
Nadav Rotenberg und tötete ihn durch einen Schuss der eigenen Armee . Er hatte
sich der Armee hochmotiviert angeschlossen. Ein Fehler, sicher ein tragischer
Fehler. Selbst ein raffiniertes PC-System kann gelegentlich Fehler machen.
Vor wenig mehr als 17
Jahren unterzeichnete Israel mit der PLO ein Abkommen unter der Schirmherrschaft
der USA, das Oslo-Abkommen. Nach der Zeittafel dieses Abkommens sollte die
Besatzung im Mai 1999 beendet sein und
jetzt hätte der Staat Palästina sich seinem 11. Unabhängigkeitstag nähern
sollen, und israelische Soldaten würden in Bilin kein Tränengas abgeschossen
haben oder an Checkpoints im Jordantal stehen
oder den Zugang von Patienten zum Mukassad Krankenhaus kontrolliert haben
oder gesuchte Leute bei Hebron
verhaftet oder Schießunfälle an der Grenze des Gazastreifens verursacht haben.
Wenn dieses Abkommen zur geplanten Zeit erfüllt worden wäre, würden Jawaher Abu
Rahmah und Mahmoud Dharaghma und Anas Chalach und Amr Qawasme und Nadav
Rotenberg alle noch unter den Lebenden weilen, wie mehrere Tausend andere,
Palästinenser und Israelis.
Aber der Staat Israel hat
einen großen Fehler gemacht – er erfüllte nicht das Abkommen und beendete nicht
die Besatzung. Stattdessen baute es Siedlungen und Straßen, Zäune und Mauern
- und Hass. Eine große Menge Hass wurde gesät und hat sich aufgestaut.
(dt. Ellen Rohlfs)