Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Adam
Keller, Crazy Country 25. Juli 2015-
Gush Shalom
Das
Treffen war für 11 Uhr 30
festgesetzt am Bahnhof in der
Arlozorov-Str. Ich kam um 11 Uhr 35 an. Drei Busse waren schon besetzt – „aber
keine Sorge, ein vierter wird bald kommen“, sagte der Vertreter der
Organisation. „Es wird für jeden, der in Susiya
protestieren will, einen Platz geben.“
Es ist
lange her, dass es eine so große Reaktion auf einen Aufruf zur Demo im Wilden
Westen, in der West Bank gab. Unter den Passagieren konnten ein paar
Langzeit-Aktivisten gesehen werden, die seit Jahren nicht gesehen wurden. Warum
hat der Fall Susiya in Israel und
der ganzen Welt solch große Aufmerksamkeit hervorgerufen? Dieses winzige
bedrohte Dorf ist es in jeder Weise wert, Unterstützung und Solidarität zu
bekommen…
Wenig
mehr als eine Stunde Fahrt trennt das große Tel Aviv von dem gott-verlassenen
Nest von Susiya inmitten der Wüste. Zunächst geht die Fahrt auf der
verkehrsreichen Schnellstraße-
dann über Landstraßen, die immer schmaler und schlechter wurden. Irgendwo
wurde die Grüne Linie in das „Gebiet“ überquert, in dem es keinen Schein von
Demokratie gibt und wo die Landschaft
vor allem braun ist – abgesehen von gelegentlich grünen Flecken einer
Siedlung, die das Privileg hat, mit dem israelischen Wassernetz verbunden zu
sein.
Am Ende
der Fahrt gabelt sich die schmale Straße: ein Straßenschild
macht auf Susiya – nach rechts - aufmerksam. Trotzdem fahren wir nach
links. Das Straßenschild , das von den Militärbehörden aufgestellt wurde, weist
auf das andere Susiya – die israelische Siedlung
Susiya hin, das behauptet, die Fortsetzung eines jüdischen Ortes zu sein,
der schon während der römischen und byzantinischen Zeit existiert hätte. „Kommt
und seht euch Susiya – eine alte
jüdische Stadt“ an, steht auf dem Straßenschild an der Straße, die wir nicht
genommen haben.
Die
Juden, die hier vor 1500 Jahren
lebten, wohnten in Höhlen. Im 20.Jahrhundert
lebten Palästinenser in diesen Höhlen – bis 1986, als sie die Armee von
dort vertrieb und die Höhlen in einen archäologischen Ort verwandelte, der von
den isr. Siedlern beaufsichtigt
wird. Die Palästinenser mussten in
elende Hütten umziehen, die auf ihrem übrig gebliebenen
Land errichtet wurden. Es ist nicht unmöglich, dass sie die Nachkommen
jener Leute waren, die im 5. Jahrhundert
dort lebten. Zu Beginn der zionistischen Bewegung sagte David Ben Gurion,
dass wenigstens ein Teil der Araber dieses Landes Nachkommen der Juden sind, die
in der Vergangenheit hier lebten, und die irgendwann zum Islam konvertierten und
anfingen, arabisch zu sprechen. 1918 veröffentlichte Ben Gurion
sogar ein ganzes Buch über dieses Thema
- und zwar in Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Präsident von Israel,
Yitzhak Ben-Zwi.
Es war eine detaillierte historische Dokumentation, die diese Theorie
unterstützte. Aber seit langem
wurde es klar, selbst wenn einige der palästinensischen Vorfahren jüdisch
gewesen sein sollten, haben die gegenwärtigen kein Interesse, jüdisch zu sein
oder das zionistische Projekt zu unterstützen. So haben denn Ben-Gurion und
seine Kollegen das Interesse
verloren, dieses Problem weiter zu verfolgen.
In
Richtung des palästinensischen Susyia gab es kein Straßenschild. Für die
israelischen Behörden existiert es einfach nicht. „Die kompetenten militärischen
Behörden nahmen die Position ein, dass dort nie ein arabisches Dorf mit Namen
Susiya bestanden hätte“ stellt der vertretende Verteidigungsminister Eli
Ben-Dahan von der Jewish Home-Partei fest. „Die palästinensischen Strukturen
waren ohne Genehmigung dort
gebaut worden und wurden während
1995- 2001 zerstört. Illegaler Aufbau
setzte sich fort, auch gegen die
Befehle der Zerstörung. Im Mai 2015
wies der Oberste Gerichtshof eine Petition der Palästinenser zurück
…
Es gibt
kein Straßenschild, aber es ist nicht schwierig, das palästinensische Susiya
zu finden: entlang des Weges sind palästinensische
Flaggen auf die Felsen
gemalt. Vier Busse kamen aus Tel
Aviv und drei aus Jerusalem plus einige private
PKWs. Ein kleines Verkehrschaos wurde so mitten der Wüste geschaffen.
„Passt auf, jetzt ist die heißeste Stunde des Tages und es ist einer der
heißesten Orte im Land und es gibt keinen Schatten“, warnt die junge Frau, die
in meinem Bus verantwortlich ist. Bitte setzt etwas auf den Kopf und nehmt
Wasser mit. Für diejenigen, die keines dabei haben, haben wir Wasser in Flaschen
dabei“. Auf einem schmalen
Bergrücken oberhalb des Busses konnte schon ein menschlicher Strom gesehen
werden, der sich zur Rally hin bewegt.
Der
Deckel einer Regenwasserzisterne wurde zum Rednerpult mit mehreren Lautsprechern
und einer palästinensischen flatternden Flagge. Als die Gruppe aus unserm Bus
ankam, hatten die Reden schon begonnen auf Arabisch, Englisch und Hebräisch. „67
Jahre nach der palästinensischen Nakba geht diese weiter. Sie wollen die
Bewohner von Susiya von ihrem Land vertreiben. Wollen wir das zulassen?“ rief
der frühere palästinensische Minister Mustafa Barghouti. Ein lauter Chor rief
„Nein, nein!“ „Nachdem das Apartheidregime in Süd-Afrika fiel, sagte Nelson
Mandela, dass der Kampf noch nicht vorbei sei, der nächste Teil ist der
palästinensische Kampf. Wir sind hier und wir kämpfen. Wir werden weiter
kämpfen, bis Palästina frei ist!“
(Auf Arabisch und Englisch wurde gesungen: „ Befreit Palästina! befreit, befreit
Palästina!“)
Der
Susiya-Bewohner Nasser Nawajah, ein führender Aktivist im Kampf, sprach auf
Hebräisch für die, die aus Tel Aviv und Jerusalem kamen: „Willkommen in Susiya ,
das kämpfende Susiya wird nicht nachgeben!
Unser Kampf dauert nun schon Jahrzehnte. 1982
errichteten sie die Siedlung Susiya auf unserm Land. 1986
vertrieben sie uns aus den Wohnhöhlen und machten sie zu einem
archäologischen Gebiet für die
Siedler. Wir zogen um auf den Rest
unseres sonst landwirtschaftlich genützten Landes. 2001 zerstörten sie alles
und vertrieben uns; aber wir kamen zurück und bauten unser Dorf wieder
auf. Wir danken euch für eure Solidarität und Unterstützung. Ihr seid das
sehr andere Israel als das, was wir
täglich von Soldaten und Siedlern sehen.
Ihr gebt uns Hoffnung, dass wir zusammen leben können, Palästinenser als Israels
Nachbarn in Frieden.“
Ihm
folgte Professor Yigal Bronner, der an der Hebräischen Universität indische
Geschichte lehrt. Er ist ein prominenter Aktivist
der Ta’ayush-Bewegung, die
schon seit vielen Jahren die Bewohner in den südlichen Hebroner Bergen
unterstützt. „Wir sind hier in Susiya. Was ist Susiya? Nicht viel. Einige
Zisternen, die die Armee nicht mit Dreck gefüllt hat, ein paar Schafe, die die
Siedler noch nicht gestohlen haben, einige Olivenbäume, die noch nicht zerstört
wurden. Susiya ist ein kleines Dorf mit 350 Bewohnern, die an ihrem Land
festhalten, die sich daran festklammern und nicht aufgeben, weil es ihre Heimat
ist. Ganz einfach – es ist ihr Zuhause. Gegenüber von uns liegt das andere
Susiya, das bewaffnet ist, von einem Zaun umgeben und an die Wasser- und
Stromleitung und an die Wasserentsorgung angeschlossen ist. Es hat auch in allen
Korridoren der Macht Vertreter. Es will auch noch das wenige, das diesem Susiya
gehört und auf dem wir stehen. Susiya gegen Susiya – das ist die ganze
Geschichte. Das palästinensische Susiya hat keine Soldaten und keine Polizei und
keine Vertreter in der Knesset und hat tatsächlich keine Stimme. Aber es hat
uns. Wir stehen hier mit Susiya und wir wollen es nicht verlassen. Wir wollen
alles tun, was wir können, um hier zu sein und seine Zerstörung verhindern. Und
wenn es stattfindet, werden wir am nächsten Morgen kommen, um es zusammen mit
seinen Bewohnern wieder aufzubauen … (Es wurde auf Hebräisch gesungen: „Susiya
verzweifle nicht, wir beenden die Besatzung“ und auf Arabisch: „Schluss mit der
Besatzung!“) Am nächsten Samstag wird hier wieder eine Demo sein und am 3.
August wird im Obersten Gericht
eine Anhörung der Beschwerde
von Susiya sein. Es ist sehr wichtig, dort zu sein Susiya ist nicht
allein. ..
Zusammen
mit den Palästinensern, den Dorfbewohnern und die extra kamen,
bewegten wir uns nach vorne
auf den Berggrat – nach dem rhythmischen Schlagen der „Trommler gegen die
Besatzung“…Über der Menge wurden die Plakate der „Kämpfer
für den Frieden“ ( eine der Organisatoren der Demo) gesehen, mit dem Text
„Es gibt einen andern Weg“ auf Hebräisch, Arabisch und Englisch . „Du sollst
nicht stehlen!“ konnte auf einem
großen Schild gelesen werden, das von Rabbi
Arik Asherman (Rabbiner für
Menschenrechte) getragen wurde und der schon seit vielen Jahren keine Demo
versäumt. Auch andere biblische Slogans konnte man lesen z.B. „Zion soll in
Gerechtigkeit aufgebaut werden“ …
Ein
fünfjähriges palästinensisches Mädchen hielt weiter unten ein großes Schild, auf
dem auf Hebräisch zu lesen war: „Kein weiterer Landraub!“ Einer der Israelis
lenkte die Aufmerksamkeit auf eine Frau im traditionellen bestickten Gewand,
anscheinend die Großmutter. Die Enkelin drehte lachend das Schild
genau in die Richtung der Presse-Fotografen. Ein strammer junger Mann
trug ein T-Shirt mit der Aufschrift
„FC St.Pauli, dem Hamburger Fußball-Club, dessen Fans
für ihren Kampf gegen Rassismus bekannt sind… Der Text auf der Tasche
eines Jerusalemer Aktivisten bezog
sich auf die letzten Wahlen „Es gelang uns nicht, Netanjahu rauszuwerfen …er
soll seine Pfoten von Susiya nehmen!“
Am Ende
des Marsches hoben Dutzende mit
großer Mühe ein 30m langes Poster, auf dem stand „Susiya ist palästinensisch und
palästinensisch wird es bleiben!“ Als die Busse auf dem Rückweg das offizielle
Straßenschild (Die alte jüdische Stadt) passierten, konnten wir es
auf der Hügelkuppe oberhalb
der Straße liegen sehen.
(dt. und
geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)