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Wer ist krank genug, um Amos Oz zu zensieren?
Gideon Levy, 27.3.11.
Als ich letzte Woche aus
Tokio zurückfuhr, sah ich einen Usbeken oder vielleicht auch einen kasachischen
Passagier, dessen Finger mit dicken Ringen besetzt war, ein Buch auf Deutsch
lesen: „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz.
Ehrlich gesagt, war ich erfreut und stolz darauf. Vor zwei Jahren sah ich
in der wieder hergestellten Bibliothek von Alexandria dasselbe Buch an einen
ägyptischen Leser ausgeliehen. Auch damals freute ich mich und war stolz darauf.
Ich entdeckte auch Oz’s Bücher auf Regalen in der Siedlung Ofra und sogar
Rabbiner Abraham Ravitz (ein
Knessetmitglied von United Thora-Judentum) sagte mir
kurz vor seinem Tod, dass er das Buch heimlich las.
Es ist nicht nötig,
Oz’s weltweiten
literarischen Erfolg weiter auszuführen:
unzählige Übersetzungen und Kopien,
brachten ihm und Israel Preise und
Prestige. Es gibt keinen Israeli in der Welt, auf den wir stolzer sein
könnten. Aber in unserem eigenen Assaf Harofeh-Krankenhaus kam diese
Erfolgsgeschichte zu einem plötzlichen Halt.
Das engstirnige Krankenhaus
der Tzrifin Armee-Basis entschied, eine Preisverleihungszeremonie für
hervorragende Ärzte zu streichen, weil eines seiner Mitglieder gegen Amos Oz’s
Einladung protestierte. Er sollte die Laudatio halten. Und warum protestierte
der Doktor? Weil Oz es gewagt hatte, eine Kopie des Buches an den im Gefängnis
sitzenden Marwan Barghouti mit der folgenden Widmung zu schicken: „ Diese
Geschichte ist unsere Geschichte; ich hoffe, du liest es und verstehst uns dann
besser. Ich hoffe, du wirst bald Frieden und Freiheit sehen.“
Es ist zweifelhaft, ob der
protestierende Arzt das Buch tatsächlich gelesen hat, aber die Geschichte der
abgesagter Einladung von Oz ist tatsächlich unsere Geschichte – eine
Geschichte von Liebe und Finsternis.. Zuerst von Liebe
für Oz, gefolgt von der Finsternis, die auf uns alle fällt, die wir am
Rand eines Abgrundes stehen: eine hässliche Hexenjagd, die
bis zu Oz reicht – ein gemäßigter, zionistischer und patriotischer Autor.
Oz war niemals radikal. Er
war am Anfang sogar für die Operation Cast Lead – peinlich genug – bis er
schnell wieder zu sich kam und zu einer Feuerpause aufrief und zugab, dass der
Schaden im Süden und der brutale Schlag, den Israel gegen den Gazastreifen
ausführte, unverhältnismäßig war. Er schrieb auch in einem op-ed, das in
International Herald Tribune veröffentlicht wurde (Juni 2010): „Die Hamas
ist nicht nur eine Terroristen-Organisation. Die Hamas ist eine Idee, eine
verzweifelte und fanatische Idee … Keine Idee wird je durch Gewalt besiegt.
Er und seine Kollegen A.B.
Yehoshua und David Grossman, unsere eigenen Drei Tenöre, haben immer die
Wahrheit gesprochen, auch wenn sie oft erschreckend spät damit waren.
Noch sollten wir unsere
Köpfe voll Anerkennung vor den
sozialen und politischen Aktivitäten der drei Schriftsteller beugen – die jeder
auf seine Weise tut. Während die meisten unserer Künstler und Intellektuellen
ruhig und gehorsam dasitzen und sich fügen wie
feige Konformisten, die sie sind, Oz
und seine zwei Kollegen verstecken sich nicht in ihren Studierstuben. In
einer selbstgefälligen und schweigsamen Gesellschaft haben sie das Schweigen
gebrochen. Sie lieferten ein Licht,
das zuweilen zwar zu klein war, aber
einen unmissverständlichen Strahl durch die Finsternis schickt.
Oz hätte sich schon seit
langem auf seinen vielen Lorbeeren ausruhen können. Er könnte weiter Bücher
schreiben, weiter Preise einheimsen und die Latte des Erfolgs höher setzen.
Stattdessen sandte er eine seiner Novellen an Barghouti mit einer
ehrenhaften, ergreifenden Widmung. Um Gottes willen: Oz wünscht doch
nicht etwa, dass er uns besser kennen lernt. Aber im Israel von 2011 ist das
schon genug, um Aggressionen und Zensuren zu provozieren. Nun wird also nicht
mehr Barghouti allein als Monster bezeichnet, sondern Oz auch.
Oz
benötigt die Ärzte von Assaf Harofeh nicht, aber die Ärzte benötigen Oz.
Wenn dieses Krankenhaus seine Einladung streicht, dann bedeutet dies, dass die
Einrichtung sehr, sehr krank ist. Es ist nicht mehr nur die aufgehetzte Straße
und der aufgewiegelte Markt, der politisch rechte Flügel, der nicht ganz in
Ordnung ist und die finsteren Rabbiner.
Zhdanovism (*) hat schon die
Räume der Ärzte erreicht. Der absurde MK Danny Dannon (Likud) der dazu
aufgerufen hat, Oz’s Israel –Preis zurückzunehmen, ist nicht allein; nun haben
wir auch Ärzte als Zensoren . Es ist in der Tat eine finstere Geschichte
.
(dt. Ellen Rohlfs)