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Gideon Levy, 4.11.15
haaretz
Die
Szenen geschehen fast täglich: Mit Messern stechen, schießen, manchmal
Lynchmord. ( Es gibt schon
eine öffentliche Debatte in Israel:
Lynchen für oder gegen?) Nachdem
der Körper auf der Straße liegt, zuweilen bedeckt , zuweilen nicht schauen
neugierige Soldaten und Sicherheitskräfte
genauerhin, wie jemand nach einer Jagd-Trophäe, ein paar
machen zur Erinnerung einen
Schnappschuss.
Auf
einem der schockierendsten Bilder, das in den sozialen Medien in den
letzten Tagen verbreitet wurde, sieht man einen bewaffneten Siedler in Hebron,
der natürlich eine Kippa trägt: er steht lächelnd und amüsiert vor dem
Körper eines Palästinensers, dessen Blut aus dem Kopf fließt. Das Blut
breitet sich auf der Straße aus und der glückliche Siedler nimmt Bilder
mit seinem Zell-Phone, um sie seinen Kindern zu Hause zu zeigen.
Die
Erwartung, dass einer der neugierigen Passanten, die auf die leblosen Körper
sehen, lässt nachdenklich über das
werden, was er da sieht und besonders, wen er sieht, ist nicht realistisch. Dies
sind Momente des Zorns und der Lust
nach Rache. Und dies sind Tage der Aufwiegelung – auch in Israel
und der blutende Körper auf der Straße
ist nicht der Körper einer Person – in den Augen von vielen ist es eine Leiche.
Nur
wenige Minuten vorher war sie noch ein Mensch mit Wünschen, Gefühlen und
Träumen, einige unannehmbare und verrückte. Aber wie ist es möglich, nicht
darüber nachzudenken und sie einen Moment lang nicht zu verstehen? Wie ist es
möglich, nicht über ihre letzte Nacht nachzudenken, über ihren letzten Tag?
Bevor sie auf ihre Todesreise ginge – schließlich kannte sie ihre Chance, mit
dem Leben davon zu kommen. Was motivierte sie? Was dachte sie, was sie damit
erreicht. Was wollte sie erreichen? Wer war sie und was geschah
ihr in ihrem Leben?
Man muss
kein Unterstützer des palästinensischen Kampfes
oder ein Israelhasser
sein? Man muss ihn auch nicht als Helden sehen.
Nur als menschliches Wesen
wie alle andern, die durch etwas in ein extremes Verhalten
geführt werden, in kriminelle, unnötige Aktionen, die seinem Volk keinen
Vorteil bringen.
Wie
viele Israelis mögen darüber nachdenken? Und gibt es einen andern Weg als einen
Krieg gegen Terror zu führen, zu versuchen,
ihn zu verstehen und sich mit dem Motiv zu befassen und nicht nur
mit dem verzweifelten
Resultat. Aber es ist so, als gäbe es keine Motive. Und die
israelische Agenda ignoriert
sie lieber. Dies nur zu erwähnen, könnte
möglicher Weise, uns daran erinnern, dass diese Körper menschliche Wesen
sind/waren. In dieser Art zu
denken, ist verboten worden und gefährlich. Hier
liegen nun ihre Körper. Einige
von ihnen wurden aus
Verzweiflung getötet, über das schon alles geschrieben wurde, einige wegen des
Hasses. Nicht ein einziger von ihnen wurde geboren, um zu töten, jeder von ihnen
hat eine Mutter und einen Vater, die für ihre Kinder etwas anderes wünschen.
Sie sterben sehr jung, viel zu jung, um zu verstehen, dass
ihr Tod überhaupt nichts Gutes zur Folge hat, auch keine Gerechtigkeit,
wenn man eine alte jüdische Frau, eine Passantin,
mit dem Messer ersticht.
Nur
wenige Minuten früher waren sie noch menschliche Wesen. Allein die Anerkennung
desselben wird in Israel
als umstürzlerisch,
skandalös und äußerst ärgerlich angesehen. Dieser Ärger ist suspekt: er ist ein
Teil des Leugnungsprozesses der Besatzung. Man muss ihre Aktionen nicht
bewundern, noch sie rechtfertigen, nur zugeben, dass dies Menschen sind, die in
keiner Weise anders sind als die Soldaten und der Mob ihnen gegenüber , die mur
Lust an Rache haben .
Es
könnte sogar möglich sein, diese (wesentliche) Diskussion, falls alle von ihnen
den Tod verdienen – sicher tun sie es nicht – wenn man sie zu menschlichen Wesen
in Beziehung setzt. Die Debatte in Israel ist natürlich
anders. Der lange systematische Prozess der Entmenschlichung hat jetzt
seinen Höhepunkt erreicht, wenn
Palästinenser tot auf der Straße liegen - und auch die Lebenden - als
unmenschlich betrachtet werden. Deshalb ist es möglich, sein eigenes Lächeln im
Bild neben einem blutenden Körper
aufzunehmen und sich dabei wohl zu fühlen. Hier liegt der Schlüssel zu allem.
Solange wie sie nicht als
menschliche Wesen angesehen werden, selbst, wenn sie „Terroristen“ sein sollen,
wird es keine Gerechtigkeit geben und natürlich auch keinen Frieden.
(dt.
Ellen Rohlfs)