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Wir sind alle Gaydamak

 

Gideon Levy, Haaretz, 29.10.09    

 

Wirf einen Blick auf Arkadi Gaydamak, und du wirst uns selbst sehen. Dieser rätselhafte Immigrant, der nie unsere Sprache sprach und nie unsere Sitten und Gewohnheiten verstand, schien so ausländisch und fehl am Platze zu sein. Nur wenige Jahre erschien er auf unserer Bühne. Tatsächlich war er aber eine  aktuelle Version eines typischen Israeli. Gaydamak trug keinen Kibbuzhut, Shorts und Sandalen wie der Cartoon Srukik, aber sein schicker  Anzug ist der Inbegriff der neuen israelischen Szene, auch wenn Israel nie seine Heimat war. Man kann sich kaum einen besseren  als den Flüchtling aus Moskau denken, der die verborgenen Hoffnungen und Wünsche der Israelis vertritt und den Weg unseres Landes und  seiner Gesellschaft beschritten hat.

Gaydamak wurde in Paris in Abwesenheit  wegen  illegalem Waffenhandel zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er „verdiente“ sein Geld vor allem durch die brutalen Bürgerkriege in Angola und Kongo, wo er frühere Leiter des Mossad und im Ruhestand befindliche Offiziere der IDF rekrutierte. Aber es ist nicht nur diese dubiose israelische Partnerschaft, die Gaydamak blau-weiß werden ließ. Das ehrbare Israel ist auch ein großer Waffenexporteur, und zwar der viertgrößte der Welt und es verkauft seine Waren an jeden, der es sich leisten kann ohne irgendeine Diskriminierung, die sich auf Moral oder Regierungsform gründet.

 

Gaydamak dachte, er könne jeden jederzeit zum Narren halten. Israel denkt genau so. Wir ziehen die Besatzung hinaus, verschleiern, was im Gazastreifen und im 2. Libanonkrieg  geschah, bauen mehr und mehr Siedlungen, und täuschen so jeden für immer. Aber genau wie mit Gaydamak geht das nicht auf Dauer, man kann nicht jeden zum Narren halten. Wir sind schon längst in Abwesenheit verurteilt worden.

 

Wir haben uns sofort in ihn verliebt. Warum? Weil er das ausführt, wovon wir nur träumen. Er macht eine Menge Geld, egal wie und zeigt es jedem. Eine Jacht von angolischem Blutgeld, eine Villa in Caesarea aus seinen zweifelhaften russischen Geschäften.

 

Wer träumt nicht davon? In einem Land, in dem nur über Macht und Geld gesprochen wird, ist Gaydamak ein willkommener  und viel bewunderter Gast. Wir lieben auch seine Zur-Schau-Stellung seines Reichtums;  das Anbeten des Reichtums ist schon lange zu einem Ritual geworden. Öffne nur die vielen Geschäftszeitungen und  sieh, wer die wirklichen kulturellen Helden sind, unsere reichen Lords. Gaydamak war einer von ihnen.

 

Er erfüllte einen weiteren geheimen Traum von vielen: er hatte doppelte Staatsanghörigkeit. Unter uns gesagt: wer will nicht einen 2. Pass? Er gewann auch unsere Herzen mit seinen auffälligen Demonstrationen der Nächstenliebe. Eine Zeltstadt am Ufer des Yarkonflusses, eine ständige Stadt für Flüchtlinge in Nitzanim. Unsere  „Gib mir“-Kultur liebt dies. Sie liebt es auch, wenn große Summen in Sport und dessen Eitelkeiten gesteckt werden. Das tat Gaidamak. Er kaufte Beitar Jerusalem und war einen Augenblick lang König.

 

So lieben wir unsere Könige – nur einen Augenblick lang. Moni Fanan z.B.  war nach seinem Selbstmord für kurze Zeit ein König, 24 Stunden lang Medienverehrung, als ob  ein Heiliger, ein angesehener Staatsmann oder einflussreicher Denker dahin geschieden sei – bis die Wahrheit herauskam.

Gaydmak war nicht nur aus Fleisch und Blut, er beschäftigte sich auch mit geistlichen Dingen und bewegte jüdische Tradition vor unseren Augen und wir schmolzen dahin. Unsere israelische Tradition ist zuweilen hohl und seicht. Der Tod eines Piloten bei einem Unfall oder die Entführung eines Soldaten, Yitzhak Rabins Mord oder die Bedrohung durch einen iranischen Angriff – dies sind tatsächlich all unsere Werte, die versuchen, uns Zusammenhalt zu geben. Sie sind nicht weniger oberflächlich als jene des Lord, der mit einem offenen Wagen durch Jerusalems Straßen fährt und hofft, sein Bürgermeister zu werden. Gaydamaks  Prahlerei ist uns auch nicht fremd. Wir mögen sie. „Rede nicht, handle“ war der Slogan seiner Sozialen Gerechtigkeitspartei  - eine  Partei ohne Gerechtigkeit  geschweige denn sozialer Gerechtigkeit. Wie er ziehen wir das Tun dem Reden vor. Darstellung, Sicherheit und Geheimnistuerei das ist es , was wichtig ist.  Hauptsache sie tun etwas, dann ist es egal, was sie tun.

 

Der französische Gerichtshof hat dem allem ein Ende gesetzt. Der Traum ist zerstoben und der Held, der vor noch nicht langer Zeit bei Umfragen als Ministerpräsident  im Spiel war, hat sich als ein vor dem Gericht Flüchtender  gewandelt.  Es scheint, dass auch Israel solch eine äußere Intervention nötig hat, um geheilt und befreit zu werden. Bis dahin Tschüß Arkadi, und auf bald Gaydamak! Wir werden uns auf den nächsten Nationalhelden vorbereiten.

 

(dt. Ellen Rohlfs)