Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Warum können wir
mit Hamas über Shalit reden, aber nicht über Frieden?
Gideon Levy, Haaretz, 26.11.09
Warum
ist es gestattet, über das Schicksal eines gefangenen
Soldaten und mehrere Hundert andere Gefangene mit der Hamas zu reden, aber verboten, mit ihnen über das Schicksal von
zwei Völkern zu reden? Nie war Israels
Logik so verzerrt. Jetzt, wo unsere Herzen
mit Freude dem positiven Ausgang des Deals entgegenfiebern, wenn jedes
menschliche Herz der Entlassung Gilads entgegensieht
– und auch der Entlassung von Hunderten von palästinensischen Gefangenen,
einige von ihnen politische Gefangene, und nicht „Terroristen mit Blut an ihren
Händen“ – jetzt wird es endlich Zeit, uns von einigen törichten Verboten zu
befreien, die wir uns und der ganzen internationalen Gemeinschaft auferlegt
haben.
Nun
ist klar, dass es da jemanden gibt, mit dem man reden kann. In Gaza und
Damaskus sitzen zähe aber vernünftige
Politiker. Auch sie sind besorgt – auf ihre Weise – über das Schicksal ihres
Volkes, dem sie Freiheit und Gerechtigkeit bringen wollen. Wenn der Deal
abgeschlossen ist, werden wir entdecken, dass man sie beim Wort nehmen
kann. Ginge es nicht um die Tatsache,
dass Israel Zehntausende Gefangene festhält, von denen einige begründete Mittel benützen, um gerechte Ziele
zu erreichen – die aber anders verurteilt werden als jüdische Mörder und
Kriminelle - dann hätte die Hamas vielleicht nicht die
Waffe des Kidnapping benützt.
Wenn
es nicht die israelische Belagerung des Gazastreifens und den internationalen
Boykott gegen alles, was nach Hamas riecht, gegeben hätte, vielleicht hätte die
Organisation gar keine Qassams angewendet. Aber Israel
besteht darauf, seinen eigenen Weg zu gehen: es hat mit der ‚Operation
Sommerregen’ begonnen, um Shalit zu befreien, was
aber misslang; Es wurde eine Belagerung über den Gazastreifen verhängt, Druck
für seine Befreiung auszuüben. Auch das misslang. Als Israel seine Fehler
erkannte, für die 1,5 Millionen Menschen
mit Leib und Seele büßen, schlug Israel den einzig richtigen und
effektiven Weg ein: diplomatische
Verhandlungen. Ja, wir tun das, was wir uns selbst verweigerten: Verhandlungen
mit der Hamas – und der Himmel stürzte nicht ein. Weder direkt noch indirekt.
Es gibt Gespräche – ob wir die Hamas anerkennen oder nicht, es gibt
Verhandlungen. Für uns wie gewöhnlich,
kommt die Methode, die zuerst kommen sollte, zu allerletzt. Erst wenn
wir alles andere versucht haben: töten, zerstören, verhungern lassen, gehen wir
den direkten Weg: Verhandlungen. So war es mit Ägypten und so war es mit der PLO.
Wenn
der Deal zu ende
gebracht ist, wenn Shalit und der gefangene
palästinensische Führer Marwan Barghouti
zurückkehren, muss Israel ein neues Kapitel mit der geächteten Organisation
eröffnen. Es wird nicht einfach für uns sein. Es ist eine fundamentalistische
Organisation, die über eine Hudna/ vorläufige
Waffenpause spricht, nicht über Frieden. Vielleicht ist dies der Preis für die
törichte Zerstörung, die Israel
gegenüber den Institutionen der
Palästinensischen Behörde und der PLO verübte, die natürlich viel bessere
Gesprächspartner hatte. Aber das ist passiert und Hamas lebt und stößt um sich
– ein Grund für Israels harte Hand. Glaubt noch einer ernsthaft, dass Israel
die Hamas-Herrschaft mit Gewalt besiegt? Wir waren doch nicht einmal in der
Lage, sie zu schwächen – im Gegenteil.
Israel
mit seinem hochmütigen „Ohne Bedingungen“ muss sich nun mit einem Aufruf an die
Hamas wenden, mit Verhandlungen zu
beginnen, am besten mit einer palästinensischen Einheitsregierung, unter dem
Vorsitz eines befreiten Barghouti. Es ist möglich . Da muss man nicht nach Anerkennung des
Verhandlungspartners fragen – wir haben die Hamas schon längst anerkannt, und
sie hat uns anerkannt. Israel muss die kriminelle Belagerung gegen den
Gazastreifen aufheben und die
internationale Gemeinschaft aufrufen, auch den von Israels Führung auferlegten
Boykott gegen die Hamas aufzuheben. Die Sorge und Angst der Diplomaten,
mit Vertretern der Hamasorganisation
zu reden, weil Israel sonst gegen sie handeln könnte, reicht auch. Wir
verbieten dem französischen Außenminister und allen Staatsmännern der Welt, mit
der Hamas zu reden, aber lechzen nach
den Diensten des deutschen Vermittlers, der mit der Gruppe spricht. Warum wohl?
Nach
der Gefangenenentlassung wird nichts die Hamas auf den konstruktiven Weg
bringen als die Rehabilitierung – den Weg der Zerstörung und der Verzweiflung
hat sie hinter sich. Die $
4.4Milliarden, die die internationale Gemeinschaft vor acht Monaten bei der Geberkonferenz in Sharm al-Sheik mit Pomp und
Pathos zur Rehabilitierung des Gazastreifens
versprochen hat, liegen noch in den Banktresoren, als ob es kein Versprechen
gegeben hätte. Nun ist es an der Zeit, dies weiterzugeben.
Ein
freier Gazastreifen, der rehabilitiert wird, ist viel weniger explosiv. Eine
Hamas, die eifrig damit beschäftigt ist, wieder aufzubauen, wird sich anders
benehmen, besonders wenn ihr politisch
eine Perspektive angeboten wird. Sie hat viel mehr zu verlieren, was man über
das heutige Gaza kaum sagen kann. Nachdem wir die Daumen für Shalits Entlassung gedrückt haben, müssen wir genau diese
Hände öffnen und der Hamas die Hände zum Frieden reichen.
(dt.
Ellen Rohlfs)