Israel
Palästina Nahost Konflikt Infos
Unter
Hassenden
Gideon Levy, Haaretz, August
Die
Haredim hassen die Lesben, die Lesben die Haredim; die Siedler die Linken, die Linken die Siedler;
die Ashkenazim hassen die Mizrahim;
die Mizrahim hassen die Ashkenazim;
die Säkularen hassen die Haredim; die Haredim hassen die
Säkularen; die Reichen hassen die Armen; die Armen hassen die Reichen; die Jekkes hassen die Ostjuden; die Ostjuden hassen die Jekkes; Hapoel-Fans hassen die Maccabi-Fans; Maccabi-Fans hassen
die Hapoel-Fans und alle zusammen hassen die Araber.
Und alle sind sich sicher, dass die ganze Welt sie grundlos hasst.
Nichts
motiviert, definiert und vereinigt die Lager in der israelischen
Gesellschaft so sehr wir der Hass, und
es gibt nichts, wie der Hass gegen die Araber, der das ganze Lager eint,
besonders in Zeiten der Krisen, ob sie nun real sind oder nur in der Phantasie,
wie es meistens der Fall ist. Manchmal teilt er, manchmal eint er, aber nur der
Hass bringt die Leute hier in Aktion mitten in einem größeren Koma, wie es uns
zu einem gewissen Zeitpunkt 2000 traf.
Zuweilen
schläft er, zuweilen tritt er offen zutage, oft gibt er sich – zu unserer Ehre
- mit Worten zufrieden, gelegentlich bricht er in Gewalt aus.
Bei
den Untersuchungen des Mordes im Tel Aviver
Lesben/Schwulen-Jugendklub gibt es noch keine genauen Hinweise, und wir haben
schon eine ganze Gemeinschaft zu potentiellen Verdächtigen gemacht. Sogar noch
bevor das Motiv bestimmt worden ist, ist ein neues Konzept in unser Leben
getreten: der Hassangriff, der sich auf den hebräischen Ausdruck gründet, und
der für Terrorakte benützt wird – als ob es irgendeinen Angriff gibt, der nicht
im Hass seinen Ursprung hat . Aber der Angriff auf den
lesbischen Jugendklub war von einem Einzeltäter ausgeführt, dessen Identität
und Motive noch unbekannt sind – und schon gibt es Zorn, um nicht Hass zu
sagen, gegen alle Ultra-Orthodoxen und die Shas-Unterstützer,
der nicht weniger ernsthaft ist als der Zorn dieser Gemeinschaften gegen die
Lesben und Schwulen
Es
stimmt, dass einige Leute mit ihrer Sprache und ihrer politischen Korrektheit ; sorgfältiger umgehen. Man wird von Shlomo Benizri oder Nissim Zeev von Shas solche Bemerkungen nicht hören. Wörter können
verletzen, aber sie töten nicht, und deshalb sind sogar die beschämendsten
verbalen Attacken gegen Schwule und Lesben nicht verantwortlich für den
abscheulichen – ganz sicher abscheulichen – wie auch grausamen und
willkürlichen Mord, genau wie die Bomben, die unsere exzellenten und
moralischen Piloten über Wohngebieten im Gazastreifen fallen lassen, Bomben,
die keinen emotionalen und moralischen Aufschrei verursachen. Auch dies ist ein Teil der israelischen
politischen Korrektheit.
In
Israel, das sich seiner vielen Gesetze, seiner Schwulen-Lesben-Parade, seiner
Fülle von Liberalismus und Aufklärung gegenüber Schwulen und Lesben rühmt, gibt
es noch ein großes, stilles und dunkles Element, das niemals sagen wird, was es
wirklich über Schwule denkt. Es sind nicht nur Schwule, die sich noch nicht
geoutet haben – Dasselbe gilt auch für den größeren Teil der „Homosexuellen,
die sich gar nicht outen. Homo ist das zornigste und schmutzigste Schimpfwort,
das in Fußballstadien geschrieen wird, gleich hinter
„Tod den Arabern!“.
Also
glaubt nicht an den künstlich, selektiven Liberalismus. Da gab es immerhin eine
Reihe Israelis, die von dem Angriff
geschockt sein könnten, die aber seine Motive „verstanden“. Andrerseits gibt es innerhalb der Schwulengemeinschaft
nicht wenige, die darauf bestehen, durch das Haredi-Stadtviertel
in Jerusalem zu marschieren, nur um gegen sie zu protestieren und sie wütend zu
machen – ähnlich Itamar Gvir vom rechten Flügel, der
unbedingt durch die israelisch-arabische Stadt von Umm
Al-Fahm marschieren wollte.
Israel,
das entsetzt ist über den Mord im Jugendklub und tsk-tsks
(??) den Vater, der seine kleine
Tochter zu Tode erwürgte, hüllte sich
selbst in kranke Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit angesichts der
gewalttätigen und nicht weniger schockierenden Akte, die in seinem Namen
gegenüber Kindern und Jugendlichen ausgeübt werden. Israel, das geschockt ist
über den Jungen, den seine Mutter in Jerusalem angeblich verhungern ließ, regt
sich viel weniger über die Kinder von Gastarbeitern auf, die deportiert werden
– auch sie sind Kinder und die Maßnahmen gegen sie ist von beispielloser Gewalt
– und regt sich überhaupt nicht auf beim Anblick unterernährter Kinder im
Gazastreifen. Wenn eine Haredi-Mutter verdächtigt
wird, ihr Kind Hungers sterben zu lassen, verunglimpfen wir die ganze
Gemeinschaft; wenn ein säkularer Vater seine Tochter zu Tode würgt, wagt keiner
zu verallgemeinern. Die Mutter ist Vertreterin einer Gruppe, der andere ist ein
privater Fall. So sind wir mit - wir
messen mit zwei oder gar mit dreierlei Maßstäben.
Ein
Lob auf den Hass: der Hass hat sogar
auch eine positive Seite: solange er gerechtfertigt ist und nicht in
Gewalt ausartet. Solange wie die Linken
denken, die Siedler hätten den Friedenschancen einen tödlichen Schlag versetzt,
also eine Tragödie historischen Ausmaßes verursacht, dann ist es erlaubt, sie
zu hassen. Solange die Mizrahim denken, die Ashkenazin hätten sie übers Ohr gehauen und jahrelang
gedemütigt, sie herablassend behandelt, ihnen ihre Kultur genommen, dann ist es
erlaubt, sie zu hassen. Solange die Palästinenser denken, die Besatzung
zerstört ihr Leben, demütigt sie zutiefst und verweigert ihnen die
grundsätzlichen Freiheiten, dann ist es ihnen erlaubt, die Besatzung und die
Besetzer zu hassen.
Echter
Hass ist gerechtfertigt. Er kommt aus einer Gesellschaft und nicht von einer
Einzelperson. Er verallgemeinert nicht unfair. Er verleumdet nicht grundlos
eine ganze Gemeinschaft. Gelegentlich wird eine ganze Gesellschaft schuldig
durch Ungerechtigkeit. Über solchen Hass können wir uns nicht beschweren; er
regt zu Aktionen, zu Protesten an und um unterschiedliche Lager zu bestimmen.
Wenn
andrerseits jemand aus dem hauptsächlich säkularen Tel Aviver
Stadtteil Ramat Aviv
sich
selbst als aufgeklärt ansieht und aus einer Mücke einen Elefanten macht, indem
er eine Bude als Brückenkopf ansieht, einen Kindergarten als militärische
Stellung, einen Bart und einen Borsalinohut als ausländisches Element - dann ist das verachtenswerter Hass. Alle
Siedler haben mit ihren kriminellen
Handlungen des Siedelns eine Katastrophe über uns gebracht und deshalb liegt in
der Feindseligkeit ihnen gegenüber kein Rassismus …die Ultra-Orthodoxen als
Gruppe andrerseits haben keine Katastrophe über die schwulen oder säkularen
Gemeinschaften gebracht und deshalb ist ein Hass ihrerseits grundlos.
Jetzt
ist es an der Zeit, die Toten zu betrauern und auf das Ende der polizeilichen
Untersuchungen unserer schweren
Anschuldigungen zu warten. Egal was er ist, ein Haredi
oder ein Säkularer, ein Homosexueller oder ein verschmähter Liebhaber, der
Mörder ist ein Mörder, gemein und abscheulich, aber nur ein Einzelner – denken
wir daran.
(dt.
Ellen Rohlfs)