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Israel ist erleichtert,  nicht der einzige Kriegsverbrecher zu sein

 

Gideon Levy, 26. 10.10, Haaretz

 

In Israel hört man im Augenblick Freudenrufe: Die Amerikaner und die Briten haben auch Kriegsverbrechen begangen, nicht nur wir. Wikileaks Enthüllungen haben  alle unsere lauten Propagandisten auf den Plan gerufen: Wo ist Goldstone, fragen sie erfreut, und was würde er sagen?. Sie sind alle erleichtert. Wenn es den Amerikanern erlaubt ist, dann ist es auch uns erlaubt.

Tatsächlich  ist es weder den Amerikanern  erlaubt noch uns. Wenn der Verkehrspolizist einen Fahrer wegen zu schnellen Fahrens anhält, wird ihm das Argument nicht helfen, dass es die andern auch tun. Wenn Richard Goldstone Kriegsverbrechen  in Gaza aufdeckt, wird uns die Behauptung, dass jeder andere es tut, nicht helfen. Nicht jeder tut es, und wenn sie es tun, dann sollten sie verurteilt und bestraft werden.

Nach der Logik israelischer Propagandisten  - einige von ihnen  tun so  als wären sie Journalisten -  sollte Israel stolz auf den Rest der Welt sehen: Sie töteten dort mehr Menschen.  Die Situation der Gefängnisse zu verbessern, ist nicht nötig. In China ist die Situation viel schlimmer. Es ist auch nicht nötig, die Gesundheitsdienste zu verbessern – in Amerika haben 50 Millionen Menschen gar keine Versicherung; es ist auch nicht nötig, die Kluft zwischen arm und reich zu reduzieren – in Mexiko ist sie viel größer; wir können  weiter morden – ohne Gerichtsverhandlung – die Briten machen es auch; die Menschenrechte sind hier geschützt – die Iraner sind viel schlimmer; Israel hat keine Korruption – sieh, was in Afrika geschieht; die USA haben die Todesstrafe – führen auch wir sie ein; es ist sogar erlaubt,regimekritische Journalisten zu töten – schau nach Russland!

 

Ja, Krieg ist grausam , die Welt ist voller Verbrechen und Ungerechtigkeit – aber keiner entlastet Israel, selbst wenn Israels Sünden weiß wie Schnee sind, verglichen mit denen der großen  USA. Jetzt ist es an der Zeit, Amerika scharf zu zensieren, nicht Israel zu vergeben.

 

Es ist die Aufgabe aller Patrioten und Menschen mit Gewissen, ihre Wut über jede solcher Enthüllungen auszudrücken, besonders natürlich im eigenen Land. Israel muss nach einem gerechteren und gesetzestreuerem Land streben – ohne Rücksicht auf das, was in anderen Ländern  vor sich geht. Stimmt, wir sind nicht die schlimmsten; weit davon entfernt. Die Zahl der im Irak Getöteten ist – wie  jetzt enthüllt wurde –tausend mal größer, als die im Gazastreifen Getöteten. Na und?  Selbst wenn die Welt uns nach einem strengeren Maßstab misst, werden unsere Hände  nicht sauberer. Die Welt ist  aus verschiedenen ( zum Teil gerechtfertigten) Gründen  strenger und gleichzeitig behandelt sie uns  freundlicher und  sieht bei vielen anderen Dingen weg. Auf jeden Fall sollte der entscheidende Faktor  der sein, was wir im Spiegel sehen, wenn wir hineinblicken.

 

Unsre erfreuten Propagandisten haben jetzt ihre Taktik verändert: nicht länger mehr „die moralischste Armee der Welt“, eine Behauptung, die jede vernünftige Person für lächerlich hält. Jetzt sagen sie: „Wir sind schrecklich wie alle anderen.“ Eine nicht wasserdichte Behauptung, weil Israel nicht nur nach einer  oder der anderen militärischen Operation beurteilt wird, sondern nach seiner jahrzehntelangen Besatzung, von der noch kein Ende in abzusehen ist. Solch eine lange Besetzung ist ohne Parallele in der modernen Welt und eine Schande für Israel – egal was Amerika im Irak oder in Afghanistan tut.

 

Wikileaks hat bewiesen, dass letzten Endes die Wahrheit ans Licht kommt. Es ist schwer, in dieser Gegend etwas zu verbergen. Goldstone hat es schon aufgezeigt, wenn auch viel weniger dramatisch. Gut zwei Jahre nach der Operation Cast Lead befassen sich die IDF noch immer damit , untersuchen und stellen Offiziere und Soldaten vor Gericht, die das taten, was der Goldstone-Bericht sagt, und was Israel so wütend machte.

Israel sollte Goldstone danken und Amerika sollte Julian Assnage danken. Ihre Enthüllungen beweisen die  Sinnlosigkeit des Krieges und seiner Verbrechen. Man stelle sich nur vor, wie viel Hass Amerika  bei den Tausenden von trauernden Familien im Irak gesät hat und wie viel Hass Israel im Gazastreifen mit seinen Tausenden von trauernden Familien und seinen Ruinen gesät hat.

Wie sinnlos sind all die Morde und die Folter, die Misshandlugen und falschen Verhaftungen,

wenn man den Irak und den Gazastreifen heute ansieht.

 

Worüber schwenken wir fröhlich die Fahne?  Mehr als 100 000 Tote in einem schrecklichen, sinnlosen Krieg, die Laune eines demokratischen Führers?  George Bush sollte längst nach den Den Haag geschickt werden. Doch die Tatsache, dass andere es tun, wie Assanges Enthüllungen es aufzeigen, ist allein der Toren Trost.

 

(dt. Ellen Rohlfs)