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Israel, eine scheinbare Demokratie

Die Besatzung  und das Verteidigungsbudget sind die Elefanten im Raum, die kein Kandidat, nicht einmal Livni und Herzog berühren werden

 

Gideon Levy

 

Haaretz, 14. 12 14   

 

Auf einmal gibt es eine Möglichkeit, die Regierung Israels zu ändern, und die Aufregung ist groß. In der Tat, allein der Gedanke einer von Isaak Herzog und Zipi Livni geführten Regierung lässt die  Phantasie  aufblühen: Das Ende der anti-demokratischen Gesetzgebung, eine kurze Pause im fortlaufenden Prozess, die israelischen Araber beiseite zu stoßen, eine Brandung für die Wellen des Rassismus und des Ultranationalismus, der Verfolgung, der Hetze und Teilung; der Erneuerung des Obersten Gerichtshofes auf seinen richtigen Platz; die Wiederaufnahme  der Friedensgespräche; die Schwächung der Ganoven vom rechten Flügel in der Knesset; vielleicht sogar die Schließung des Holot-Immigranten-Haftzentrums.

Es scheint etwas Gutes in der Luft zu liegen, der Geist  einer anderen Zeit, der Hoffnung verbreitet. Die ganze Welt  wird sich freuen und das neue Israel bei diesem Ereignis umarmen. Jeder Befürworter der Demokratie sollte sich bei ihrem Näherkommen freuen.

Aber genau diese (zu frühe) Freude hat ihre Grenzen, die Grenzen der „israelischen Demokratie“. Es ist die Zeit gekommen, um zu erkennen, dass das israelische Demokratiespiel  streng auf das begrenzt ist, was sich im Kindezimmer abspielt. Selbst die „Unheil verkündendsten“ Wahlen, die für den nächsten März angesagt werden, sind tatsächlich wie Kinderspiele, scheinbare Wahlen. Die Menschen geben ihre Stimmen ab, die Regierung verändert sich (oder auch nicht): da gibt es die „Linke“ und die „Rechte“ und die Kluft der Unterschiede, die sie trennt – aber keiner spricht über zwei  Schrecken erregende  „Elefanten“  mitten im Raum. Keiner wagt es, weder die Rechte noch die Linke, weder Benjamin Netanjahu noch Isaak „Bougie“ Herzog, sie zu berühren. Es ist alles gleich.

Die israelische Besatzung und das Verteidigungs-Budget, dass Verteidigungs-Budget und die israelische Besatzung, diese beiden riesigen Elefanten, die das Schicksal des Staates  auf fast jedem Gebiet entscheiden, sind „off limits“. Sie sind außerhalb der wirklichen öffentlichen Debatte; sie stehen nicht einmal auf der Agenda. Sie wurden schon vor langer Zeit zur geschlossenen militärischen Zone erklärt, eine Schießzone, die zu betreten, verboten ist. Kein ernster Politiker redet über sie, keiner wagt es - der Himmel bewahre!

Diese beiden eng mit einander  verbundenen Un-Kräuter, natürlich  zusammen  mit ihrem  illegitimen Kind, dem Siedlungsunternehmen, haben unter jeder Regierung geblüht – unter jeder Regierung, unterschiedslos. Selbst während Wahlzeiten hat ihnen  keiner Aufmerksamkeit geschenkt, als ob die Order ein Witz wäre, über den zu reden verboten ist. Nicht einmal bei den sozialen Protesten im Sommer 2011 wagte jemand  darüber zu sprechen. Bitte, stört uns nicht, wir diskutieren über  die Mehrwertsteuer auf frischen Produkten oder vielleicht auch bei Wohnungen, wir diskutieren über die Hüttenkäse-Proteste oder die Milchprodukt-Proteste.  Ausländische Beobachter, die zufällig  da waren, waren unter Schock.  Worüber reden die Leute hier eigentlich, über was?

Da ist tatsächlich etwas Ehrenwertes  an der Tatsache, dass diese zwei wichtigen Themen  nicht Teil der Wahlkampagne  sind. Jeder weise israelische Staatsmann weiß, dass er keine Chance hat, sie zu verändern. Jeder israelische Ministerpräsident kann leicht alle zwei Jahre einen Krieg  beginnen, und  alle zwei Stunden   eine Krise in den Beziehungen mit den USA verursachen,  aber sie können unter keinen Umständen das Verteidigungsbudget kürzen oder die Besatzung und die Siedlungen erwähnen. Abgesehen von diesen beiden Monstern ist alles andere mit eingeschlossen.  Und diese beiden  dehnen sich mit rasender Geschwindigkeit aus, um das ganze Land zu bedecken.

Es hat einmal zwei oder drei Ministerpräsidenten gegeben, die  sich mit dem brennenden Thema näher befassten, aber nicht mit dem nötigen Umfang und Mut. Menachem Begin zog sich von der Sinai-Halbinsel zurück und baute 100 Elon Morehs (Siedlungen). Jitzhak Rabin wagte nicht, eine einzige Siedlung zu evakuieren. Ariel Sharon evakuierte die Siedlungen im Gazastreifen, um die Siedlungen in der Westbank zu festigen. Die andern wagten nicht einmal einen Versuch in dieser Richtung. Und keiner der anderen veränderte die Prioritäten des nationalen Budgets, um die Schaffung eines anderen Israel zu erlauben.

Herzog und Livni werden dies auch nicht tun. Keine Chance: sagt „Ministerpräsident Isaak Herzog“ ein paarmal  und es fängt an, normal zu klingen. Man sagt „Ministerpräsident Isaak Herzog will die Siedler aus der Westbank evakuieren und das Verteidigungsbudget kürzen“ Man wird  schon jetzt laut lachen. Es ist kein Zufall, dass die beiden Führer, die die Hoffnung für  Mitte-Links sind, nicht einmal diese Themen in ihrer gemeinsamen Pressekonferenz erwähnt haben. Sie wissen,  dass dies außerhalb ihres Vermögens liegt, dass man dazu mehr Mut braucht, als sie haben. Sie wissen, was erlaubt ist und was nicht, und sie kennen die Grenzen des Demokratie-Spiels in Israel sehr wohl.

(dt. Ellen Rohlfs)