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In Israel hat sich seit 1948 nichts verändert

 

Gideon Levy, 29.4.12

 

Nachdem wir entsprechend und verständlicherweise von der Ulpana-Nachbarschaftsaffäre, durch die skandalöse Haltung des Kabinetts, die absolute Machtlosigkeit seines Justizminister und die  unbedachte Position eines Staatsanwaltbüros geschockt worden sind, das sich freiwillig dazu hergibt, das Gesetz zu brechen, nachdem wir uns von der Beschreibung der Landschwindler als „maßgebende Leute“ und von der Unterminierung des Obersten Gerichtshofes erholt haben, müssen wir fragen: wie ist dies , was alles andere als  ein Geschäft „as usual“ ist, im Staat Israel möglich?

 

Die Generation von 1948 ist verschwunden, aber ihr Geist ist nicht weniger geworden. 1948 wurden neue Immigranten direkt von den Schiffen in verlassene palästinensische Häuser gebracht, wo der volle Kochtopf noch auf dem Herd stand – und keiner stellte zu viele Fragen. 2012 versucht die israelische Regierung, den Diebstahl palästinensischen Landes „weiß zu waschen“ und immerzu das Gesetz  mit Verachtung zu behandeln. Eine einzige gerade Linie, eine einzige  fortwährende Einstellung – läuft von 1948 bis 2012: der palästinensische Besitz  gehört niemandem, es ist immer verlassener Besitz, selbst wenn dies  demonstrativ nicht der Fall ist, und die israelischen Juden damit machen , was sie wollen. Es war ein „ungezügelter Freistilringkampf“ hinsichtlich des palästinensischen Besitzes 1948 und es ist ein „ungezügelter Freistilringkampf“  auch 2012 in einem nicht endenden Spiel.  Jetzt wie damals ist die Arroganz  autorisiert und sanktioniert. Jetzt wie damals ist ein Verbrechen ein Verbrechen.

 

Doch gibt es einen Unterschied zwischen 1948 und 2012. Die Vertreibung und die Flucht der Palästinenser, die widerrechtliche Übernahme des Besitzes  und die Verhinderung der Rückkehr der Flüchtlinge 1948 waren die Folge des israelischen Unabhängigkeitskrieges. Aber 64 Jahre später ist der Staat fast eine Supermacht, er hat die Souveränität, aber er fährt fort, die Kontrolle mit denselben korrupten Mitteln auszuführen, als ob es immer noch um seine Unabhängigkeit kämpft. Was wohl 1948 unvermeidbar war, ist  jetzt nichts als die Genugtuung von Landgier einer  Gruppe mächtiger Israelis, deren Gier die Rückhalt des Staates haben. Was wohl  damals ein Kriegsverbrechen war, ist jetzt eine Verletzung und Verdrehung des Staatsgesetzes. Was zu jener Zeit von den meisten Staaten akzeptiert wurde, wird heute von keinem akzeptiert.

Damals beanspruchte der Staat verschiedene legale Rechtfertigungen wie z.B.  „Besitz Abwesender“ und sogar die groteske Wortzusammensetzung ( den Besitz von) „anwesend Abwesenden“, heute spricht man von „Staatsland“ und „begutachtetes Land“ – grotesk, wenn das Subjekt besetztes Land ist. Dem können wir  das Rauben von privatem Land und seine Übergabe an Siedler hinzufügen, nur weil sie es klug fertig bringen, es zu kontrollieren: Im israelischen Wilden Osten genau wie  in Amerikas Wildem Westen.

 

Zwischendurch enteignet der Staat Tausende von Dunum arabischen Landes – immer arabisches Land – während all der Jahre unter verschiedenen Vorwänden: im Israel von  etwa 2012, wenn Juden in den Negev gehen, um dort zu leben, ist es „Pionierarbeit“, „die Wüste zum Blühen bringen“,  handelt es sich um Beduinensiedlungen auf ihrem eigenen Land, wird es als „Enteignung“ angesehen,  „eine nationale Bedrohung“. Was hat sich verändert?

 

Nichts hat sich seit 1948 verändert. Die Vertreibungen und ethnischen Säuberungen von 1948 würden vergeben und vergessen sein, wären sie 1948 beendet gewesen. Aber 1948 ist hier zwischen den Gebäuden von Ulpano in Bet El und dem Jordantal, was Israel zu säubern versucht, langsam und nach und nach. Das kann nicht vergeben und vergessen werden: die Sünden von 1948.

Würde Israel heute erklären: es war ungerecht, es war die Folge von einem von den Arabern  geführter Krieg; aber seitdem hat der Staat alles nur Mögliche getan, um die Ungerechtigkeit zu beenden und vielleicht auch dafür gesühnt, weil damals nur ein paar Leute daran dachten , nach der Legitimität zu fragen.  Aber wenn ständige Enteignung , ein Dunum nach dem anderen ( von privatem Land) nicht aufhört, wenn messianischer Glauben diktiert, dass Juden das exklusive Recht auf dieses Land haben, dann ist die internationale Delegitimations-kampagne gegen Israel verständlich.

Die Häuser von Ulpana selbst sind mehr als alle  feindseligen Editorials , Flotillas und „Flytillas“ das Treibhaus von Israels Delegitimation  . Dies Haltung des Staates und seiner Institutionen gegenüber dem Diebstahl in Samaria sendet eine einzige Botschaft an Israel und die Welt. Wir werden nie mit dieser vernichtenden, ultranationalistischen Melodie aufhören – damals wie heute  im Jahr 1948 genau wie im Jahr 2012.

 

(dt. Ellen Rohlfs)