Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Gideon Levy,
4.7.14
Die Idee
der Ablehnung liegt in Israels
ursprünglichstem Glauben. Zutiefst liegt das Konzept, dass dies Land
allein für die Juden bestimmt ist.
Israel
wünscht keinen Frieden. Ich habe noch nie etwas geschrieben, über das ich
glücklicher wäre, wenn mir bewiesen würde, dass ich unrecht hätte. Aber die
Beweise häufen sich. In der Tat kann gesagt werden, dass Israel niemals Frieden
wünschte – einen gerechten Frieden, d.h. einen Frieden, der sich auf einen
gerechten Kompromiss für beide Seiten gründet. Es stimmt, dass der Routine-Gruß
auf Hebräisch „Shalom“ ist – „Shalom“ wenn man geht und Shalom,
wenn man ankommt. Und fast
jeder Israeli wird sagen, er wünsche Frieden, natürlich will er das. Aber
er erwähnt nicht, welche Art von Frieden: der Gerechtigkeit mit sich bringt,
ohne die es keinen Frieden gibt und so gibt es also auch keinen Frieden.
Israelis wünsche Frieden, doch keine Gerechtigkeit, gewiss nicht solche, die
sich auf universale Werte gründet. Also, „Frieden, Frieden, wenn es keinen
Frieden gibt. Es gibt nicht nur keinen Frieden: in den letzten Jahren entfernte
sich Israel sogar von der Hoffnung, Frieden zu machen; es hat total alle
Hoffnung aufgegeben. Frieden ist von der israelischen Agenda verschwunden –
seinen Platz übernahm die kollektive Angst, die systematisch eingepflanzt wird
durch Persönliches, Privates, das jetzt vor allem den Vorrang hat.
Das
israelische Verlangen nach Frieden scheint vor etwa zehn Jahren gestorben zu
sein, nach dem Scheitern des
Camp-David- Gipfels 2000: die Verbreitung der Lüge, dass es keinen
palästinensischen Partner für Frieden gibt, und natürlich die entsetzlich
blutige Periode der zweiten Intifada. Aber die Wahrheit ist, dass
Israel sogar vorher nie wirklich Frieden wünschte. Israel hat niemals,
nicht eine Minute, die Palästinenser wie Menschen mit gleichen Rechten
behandelt. Es hat nie ihr Leiden als verständlich menschliches und nationales
Leid gesehen.
Auch das
israelische Friedenslager – falls es je so etwas gegeben hat – starb einen
langsamen Tod mitten in den gequälten Szenen der zweiten Intifada und der
„Keinen-Partner“-Lüge. Alles was übrig geblieben ist, sind eine Handvoll
Organisationen, die so entschlossen und bestimmt waren, wie sie unwirksam
angesichts der Delegitimierungskampagnen waren, die gegen sie organisiert
wurden. Deshalb wurde Israel mit
seiner zurückweisenden Haltung
allein gelassen.
Der
einzige und erschütterndste Punkt des
Beweises für Israels Zurückweisung
von Frieden ist natürlich das Siedungsprojekt.
Von Anfang an hat es nie einen
zuverlässigeren oder genaueren Litmus-Test für Israels wahre Absichten
gegeben als dieses besondere Unternehmen. In klaren Worten: die Siedlungsbauer
wünschen, die Besatzung zu festigen und diejenigen, die die Besatzung festigen
wollen, wollen keinen Frieden. Das ist die ganze
Geschichte: kurz und bündig.
Von der
Voraussetzung ausgehend, dass Israels Entscheidungen rational sind, ist es
unmöglich, den Bau in den (besetzten) Gebieten zu akzeptieren, und dass die
Hoffnung auf Frieden bestehen
bleibt. Jeder Akt des Bauens in den Siedlungen, jeder Wohnwagen und jeder
neue Balkon vermittelt die
Zurückweisung. Falls Israel wirklich Frieden durch die Oslo-Verträge zu erlangen
gewünscht hätte, hätte es mindestens
mit dem Bau der Siedlungen auf eigene Initiative aufhören müssen. Dass
dies nicht geschah, beweist, Oslo war ein Betrug oder bestenfalls
die Chronik eines vorausgesagten Scheitern. Falls Israel
in Taba, in Camp David, in Sharm el-Sheikh, in Washington oder in
Jerusalem hätte Frieden machen wollen, dann hätte der erste Schritt
das Ende allen Bauens in den Gebieten gewesen sein sollen.
Bedingungslos. Die Tatsache, dass Israel
dies nicht tat, ist der Beweis, dass es keinen gerechten Frieden wünscht.
Doch
sind die Siedlungen nur ein Prüfstein
der israelischen Absichten. Seine Zurückweisung
hat viel tiefere Gründe in seinen DNA, seinem Blutstrom seinem
raison d’etre, seinem ursprünglichen
Glauben. Dort, auf der tiefsten Ebene liegt das Konzept, dass dieses Land allein
für Juden bestimmt ist. Dort, auf dem tiefsten Grund ist der Wert von „am sgula“
– Gottes „kostbares Volk“ und „Gott wählte uns aus“.
In der Praxis wird dies übersetzt und meint, dass in diesem Land Juden
alles erlaubt ist, was andern verboten ist. Das ist der Punkt, von dem alles
ausgeht und von da gibt es keinen Weg, um von hier zu einem gerechten Frieden zu
kommen. Da gibt es keinen Weg zu einem gerechten Frieden, wenn der Name des
Spiels die Entmenschlichung der Palästinenser ist. Kein Weg, um Frieden zu
erreichen, wenn die Dämonisierung der Palästinenser täglich in die Köpfe der
(isr.) Köpfe gehämmert wird. Jene, die davon überzeugt sind, dass jeder
Palästinenser eine verdächtige Person ist und dass jeder Palästinenser „Die
Israelis ins Meer werfen will“ werden nie mit den Palästinensern Frieden machen.
Die meisten Israelis sind von der Wahrheit beider Darstellungen überzeugt.
Im
letzten Jahrzehnt sind die beiden Völker voneinander getrennt worden. Der
durchschnittliche junge Israeli wird nie seinen palästinensischen Altersgenossen
treffen, es sei denn während seines Armeedienstes (und nur dann, wenn er seinen
Dienst in den besetzten Gebieten macht). Noch wird der durchschnittliche junge
Palästinenser je einen Israeli seines Alters treffen.
Es sei denn den Soldaten, der ihn am Checkpoint stößt und pufft oder
seine Wohnung mitten in der Nacht überfällt
oder in der Person eines Siedlers, der sich widerrechtlich sein Land
aneignet oder seine Ölbäume anzündet.
Folglich
gibt es nur Begegnungen zwischen den beiden Völkern zwischen dem Besetzer, der
bewaffnet und gewalttätig ist und dem Besetzten, der verzweifelt ist und dann
auch zur Gewalt Zuflucht nimmt. Vergangen sind die Tage, als Palästinenser in
Israel arbeiteten und Israelis in Palästina einkauften. Vergangen sind die
Zeiten, wo es ein paar Jahrzehnte halbnormale Beziehungen zwischen den beiden
Völkern gab, die dasselbe Stück Land teilten. Es ist sehr leicht, unter diesen
Umständen die beiden Völker gegeneinander aufzuhetzen und anzustacheln, Furcht
zu verbreiten und zu neuem Hass aufzuwiegeln, zusätzlich zu dem, der schon
besteht. Auch dies ist ein sicheres Rezept für Nicht-Frieden.
So kam
es, dass ein neues israelisches Sehnen hochkam: der Wunsch nach Trennung: „Sie
werden dort sein und wir werden hier (und auch dort) sein.“ Zu einer Zeit, in
der die Mehrheit der Palästinenser
noch Koexistenz wünschten, doch immer weniger – eine Beurteilung, die ich mir
erlaube, nachdem ich Jahrzehnte über die Gebiete berichtete -
die meisten Israelis wünschen Loslösung und Trennung, aber ohne den Preis
dafür zu zahlen. Die Vision der Zweistaatenlösung
hat weit verbreitete Beachtung gefunden, aber ohne jede Absicht, sie in die
Praxis umzusetzen. Die meisten Israelis sind dafür, aber nicht jetzt und
vielleicht nicht einmal hier. Sie sind trainiert worden zu glauben, dass es
keinen Partner für Frieden gibt – einen palästinensischen Partner;
dass es aber einen israelischen Partner
gibt.
Leider
ist die Wahrheit fast umgekehrt. Die palästinensischen Nicht-Partner haben nicht
mehr die Chance zu beweisen, dass sie Partner sind; die israelischen
Nicht-Partner sind davon überzeugt, dass sie selbst Gesprächspartner sind. So
begann der Prozess, indem Israel Bedingungen, Hindernisse und Schwierigkeiten
aufhäufte – einen weiteren Meilenstein in Israels Zurückweisung. Zuerst kam die
Forderung eines Endes des
Terrorismus; dann die Forderung nach einem Wechsel in der Führung (Yasser Arafat
als Hindernis) und danach wurde die
Hamas die Hürde. Jetzt ist es die
palästinensische Weigerung, Israel als „jüdischen Staat“ anzuerkennen. Israel
betrachtet jeden Schritt, den es nimmt – vom Massenarrest politischer Gefangener
bis zum Bauen in den Siedlungen – als legitim, wobei jeder palästinensischer
Schritt aber einseitig sei.
Das
einzige Land ohne Grenzen auf dem Planet ist
nicht bereit, wenigstens Kompromissgrenzen zu ziehen, mit denen es zufrieden
ist. Israel hat nicht die Tatsache verinnerlicht, dass für die Palästinenser die
Grenzen von 1967 die Mutter aller Kompromisse, die rote Linie der Gerechtigkeit
(oder relativer Gerechtigkeit ist). Für die Israelis sind es
„Selbstmord-Grenzen“. Deshalb ist die Aufrechterhaltung der Status quo, das
wahre israelische Ziel der israelischen Politik, fast sein Ein und Alles. Das
Problem ist, dass die bestehende Situation nicht immer dauern kann. Historisch
waren nur wenige Nationen damit einverstanden, ohne Widerstand unter Besatzung
zu leben. Und auch die
internationale Gemeinschaft wird eines Tages geneigt sein, eine klare Aussprache
über diesen Zustand zu äußern, begleitet von Strafmaßnahmen. Das
israelische Ziel ist unrealistisch.
Von der
Realität abgeschnitten, verfolgt die Mehrheit der Israelis ihren regelmäßigen
Lebensweg. In ihren Augen ist die Welt immer gegen sie, und die
Besatzungsgebiete vor ihrer Tür
sind jenseits ihres Interesses. Jeder, der es wagt, die Besatzungspolitik zu
kritisieren, wird als Antisemit gebranntmarkt. Jeder Akt des Widerstandes wird
als existentielle Bedrohung angesehen. Die ganze internationale Opposition
gegenüber der Besatzung wird als Delegitimität Israels angesehen und als eine
Provokation für die bloße Existenz des
Landes. Die sieben Milliarden Menschen
der Welt – von denen die meisten gegen die Besatzung sind – haben unrecht
und die sechs Millionen israelischen Juden, von denen die meisten die Besatzung
unterstützen, haben recht. Das ist die Realität in den Augen des
durchschnittlichen Israeli.
Füge dem
die Unterdrückung, die Unterschlagung und die Verworrenheit hinzu, und du hast
eine andere Erklärung für die Zurückweisung. Warum sollte jemand für Frieden
kämpfen, solange das Leben in Israel gut ist, Ruhe vorherrscht und die Realität
verborgen bleibt. Der einzige Weg, die Leute an den belagerten Gazastreifen zu
erinnern, sind die von dort abgefeuerten Raketen, und die Westbank kommt nur –
wie in diesen Tagen – wenn Blut fließt, auf die Agenda. Der Gesichtspunkt der
internationalen Gemeinschaft ist ähnlich: wenn sie versucht, die Boykotts und
Sanktionen in Betracht zu ziehen …
Dies ist
dann das trübe Bild. Es enthält keinen einzigen Hoffnungsstrahl.
Der Wandel wird nicht von alleine kommen, nicht mitten aus der
israelischen Gesellschaft, solange
sich diese Gesellschaft weiter so benimmt.
Die Palästinenser haben auch mehr als einen Fehler gemacht, aber ihre
Fehler sind marginal.
Grundsätzliche Gerechtigkeit ist auf ihrer Seite und grundsätzliche Ablehnung
ist Israels Ressort. Die Israelis wollen die Besatzung – das Land
- nicht Frieden.
Ich
hoffe nur, dass ich nicht Recht habe.
(dt.
und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)