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Gideon Levy, Haaretz 6.3.11
Dies geschah vor langer Zeit: ich wollte in den Diplomaten-Kurs für das Auswärtige Amt aufgenommen werden. Israel war damals ein anderes Land, meine Ansichten über den Staat waren nicht dieselben wie heute und Israels Gesandte im Ausland waren tatsächlich Botschafter. Seitdem ist viel Champagner geflossen; und glücklicherweise bin ich nicht angenommen worden. Natürlich würde es für mich unmöglich, immer die Politik meines Landes zu erklären.
Irgendwie verspätet wurde es Ilan Baruch einem älteren israelischen Diplomaten klar, dass er nicht mehr in der Lage ist, diese Politik zu vertreten oder zu erklären. In der letzten Woche gab er sein Kündigungsschreiben ab, ein widerhallendes und eindrucksvolles Dokument, das im nächsten Diplomatenkurs studiert werden sollte.
Seine Vision mag beeinträchtigt sein – Baruch wurde an einem Auge während des Krieges verletzt – aber es gelang ihm, etwas zu sehen, das seinen Kollegen noch immer unklar ist: Israels „bösartige Dynamik“ wie er es selbst benannte. Als Folge dieser Dynamik, sammelte er all seinen Mut, um zu kündigen – eine Entscheidung, die gelobt werden muss. Baruchs Kündigung und das feige Schweigen seiner Kollegen zeigen den heruntergekommenen Zustand von Israels Botschafterchor.
Unser diplomatisches Corps ist heute vor allem von rückgratlosen Propagandisten zusammengesetzt ohne Werte oder Gewissen. Sicherlich sind einige Diplomaten unter ihnen, die sich mit der augenblicklichen Regierungspolitik identifizieren und vielleicht sogar mit dem skandalösen Verhalten des Außenministers. Aber die Wahrheit ist viel erbärmlicher: ein großer Teil von ihnen ist nicht mit der Einstellung des Staates, den sie vertreten, einverstanden. Sie sind nichts anderes als Schaufensterpuppen in einem hässlichen Schaufenster, Unterstützer des Außenministers.
Wahrscheinlich besser als jeder andere Israeli wissen die Diplomaten, was die Welt von Israel denkt und warum. Sie wissen, dass unter Liebermans Überwachung das Außenministerium eine „Schale des Zornes“ gegen die ganze Welt geworden ist . Sie wissen, dass kein Botschafter gewandt genug ist, um die Brutalität der Operation Cast Lead zu erklären oder das sinnlose Töten auf dem Mavi Marmara-Schiff. Sie wissen, dass kein Land auf dem Planeten tatsächlich die Besatzung, die Siedlungen oder die Anzeichen der Apartheid akzeptiert. Sie wissen, dass kein Diplomat im Ausland irgend jemanden überzeugen kann, dass Israel wirklich auf einen Frieden hin arbeitet. Sie wissen , dass es eine neue Weltorientierung gibt – eine ohne Geduld für Tyrannei oder eine Art, wie sie Israels Besatzung durchführt.
All dies wissen sie und schweigen. Wir haben schon Piloten, die sich weigern, Befehle auszuführen, und Soldaten, die sich weigern, gegen ihr Gewissen Militärdienst zu tun: Doch bis der Patriot Ilan Baruch aussprach, gab es keinen einzigen Diplomaten, der sich weigerte, Taktiken durchzuführen, die gegen sein oder ihr Gewissen ging.
Es stimmt, in dieser neuen Ära hat die Rolle eines Botschafters viel von seiner (ursprünglichen) Substanz verloren. Die Verbindung zwischen dem aufgeblähten Gefühl von Selbstbewusstsein eines Diplomaten und seiner tatsächlichen Aufgabe ist schwach geworden. Tatsächlich ist vieles geblieben , das Prestige, tolle Autos, stattliche Residenzen und andere Relikte aus den Tagen der großen Empire, wenn Botschafter weitentfernt von ihrem Heimatland dienten. Die meisten Diplomaten, die heute rund um die Welt stationiert sind, sind einfache Anwälte der Politik. Aber im Gegensatz zu Anwälten, die Verbrecher vor Gericht vertreten, müssen sich Botschafter zum großen Teil mit denen identifizieren, die sie auf ihre diplomatischen Botengänge geschickt haben.
Es kann vermutet werden, dass es einem gewissen Teil von Israels diplomatischem Corps an solch einem ideologischen und emotionalen Gefühl der Identifizierung fehlt, aber einfach darüber still sind. Viele wollen einfach ihrem Land treu dienen und versuchen so, das Produkt des „wunderbaren Israel“ zu verkaufen – trotz allem. Das Ergebnis kann mitleiderregend sein.
Vor kurzem konnte ich einem Interview beiwohnen, das in einem unserer Konsulate in den USA mit einem Israeli geführt wurde, der den „Zenga Zenga-clip geschaffen hatte, der Muammar Gadhafi verhöhnte ( die letzte YouTube-Sensation). Danach stellte man ein einnehmendes israelisches Rezept mit Auberginen vor. Exzellent! Solche Botschafter rechtfertigen die abschätzige „cocktail-Schmocktail-Beschreibung David Ben Gurions, die er ihnen zugewiesen hat.
Es stimmt, es ist nicht einfach, heutzutage ein israelischer Botschafter zu sein – nicht weil die Welt uns gegenüber feindlich gesinnt ist, sondern wegen der Politik dieses Landes. Was soll ein Botschafter über die „Friedensbemühungen“ seines Landes sagen , wenn sein Außen -minister vor der UN aussagt, dass solche Bemühungen keine Chance haben? Und was soll ein Diplomat über den demokratischen Charakter seines Staates sagen, wenn die Palästinenser ohne Rechte leben?
Es ist nicht leicht, dem Urteil anderer stand zu halten und zu verlangen, dass sie ihre Karriere und ihren flüchtigen Ruhm aufgeben. Aber ist es übertrieben, zu erwarten, dass sie ihre Stimme erheben und etwas Stärke zeigen? Etwas Integrität? Sie sollten ihren Kollegen Baruch, den Gesegneten, zum Vorbild nehmen.
(dt. Ellen Rohlfs)