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Die israelische Presse zensiert die Wahrheit weg

 

Gideon Levy, Haaretz,  21.11.2010

 

 

Wir trafen uns in dieser Woche in Eilat zu unserer Jahreskonferenz; nehmen wir sie auch als Gewissensprüfung. Es gibt viele Gründe stolz  zu sein über das, was wir schreiben, über das, was im Radio verbreitet, aufdeckt und zum Ausdruck gebracht wird. Nicht überall kannst du solch eine dynamische Presse oder eine solch freie Presse finden. Aber, Freunde, diese Freiheit ist in großer Gefahr,  es ist eine Freiheit, deren Vorteile wir nicht ausnützen. Rund um uns brennt ein gefährliches Feuer und selbst, wenn es uns noch nicht erreicht hat, ist es auf dem Weg - doch wir sind selbstzufrieden . Das Monster kommt, und es ist niemand da, der es aufhält.

 

Journalisten sind hier – in Israel - noch nicht ermordet worden, aber einige Leute deuten an, dass dies geschehen  könnte; wir sind noch nicht mundtot gemacht worden, aber einige Leute predigen offen, dass dies geschehen wird. Erschreckend ist, dass einige  Journalisten dazu aufrufen, uns einzuschränken, und uns zu hindern, eine Meinung leise zu äußern, oder eine zu erwähnen, die subversiv sei oder die Ansicht einer Minderheit. Zu viele unserer Kollegen verstehen ihre Funktion nicht;  sie verwechseln Öffentlichkeitsarbeit (PR) mit Journalismus, Propaganda mit der Wahrheit, wahren Patriotismus, der bedeutet, unsern Job zu machen, mit falschem Patriotismus, was  soviel heißt, wie der Propaganda zu dienen.

 

Freunde, das Haus brennt, und Leute, die drinnen sind, fügen ihm noch Brennstoff hinzu. Außerhalb werden gefährliche Gesetze gegen  gemeinnützige Organisationen, Araber und andere Minderheiten erlassen, aber sie werden schließlich auch uns treffen, der anerkannte Lebensatem der Demokratie, die zu wenige wirklich verstehen.

Da gibt es kaum irgendwelche Zensur oder Druck von Seiten der Regierung, der Armee oder anderer mächtiger Gruppen in Israel, der wir nicht standhalten könnten. Das Problem ist, dass viele von uns ihren Kopf beugen und Selbstzensur üben, die unermesslich schlimmer ist als die Zäsur der Regierung. Zu viele haben sich dem israelischen Propagandadienst angeschlossen, eine Presse, die nicht einberufen wurde, aber zum Militär ging (?).

Offensichtlich herrscht keine Ideologie vor: die redaktionellen Seiten sind voll verschiedener Meinungen, aber eine Linie herrscht vor:  unsere Leser sollen uns lieben, sie sollen nicht unnötig ärgerlich gemacht werden, man erzählt ihnen nicht, was sie nicht wissen wollen, sie werden dahin gebracht, sich zu bewegen und soviel als möglich zu unternehmen; zu verkaufen.

Wir haben Präsidenten, Minister und Ministerpräsidenten mit unsern Nachforschungen und Berichten abgesetzt, trotzdem fehlt es uns an Mut. Wenn die Leute nichts über die Besatzung wissen wollen, erzählen wir ihnen nichts davon. Wenn die Leute nicht die Wahrheit über die Operation Cast Lead ( im Gazastreifen) wissen wollen, werden wir ihnen nicht ( mit Nachrichten darüber)  den Schlaf rauben. Wir brauchen kein Büro des IDF-Sprechers – dieses ist in uns.

Die meisten Geister, die aus dem schrecklichen Angriff auf den Gazastreifen auftauchten, und eine einige verspäteter  Untersuchungen und  Gerichtsverfahren sind nicht die Folge unserer Artikel, die einiges aufdeckten. Wir wurden  während der Operation Cast Lead wie unter Betäubung gehalten und getäuscht. Einigen von uns  wurde etwas mitgeteilt, dann aber eigenwillig verschleiert, was dort ( wirklich) geschieht.

 

Die Regierung hat den Gazastreifen seit November 2006 für uns verschlossen, und skandalöser Weise  widersetzt sich keiner. Es ist kaum zu glauben, dass nur eine mutige Reporterin, Amira Hass, es irgendwie schaffte, dorthin zu kommen, um von dort zu berichten, ohne Teil einer Armeeeinheit zu sein, während der Rest der Presse es aufgegeben hat. Die Aktivisten der türkischen Flotilla für Gaza wurden in den Medien „Terroristen“ genannt, obwohl das gar  nicht stimmt, nur weil die Regierung sie so nennt und unsere Leser das so wollen. So kann auch das Töten der neun Aktivisten gerechtfertigt werden.

Eine Presse, die sich in mancherlei Weise hervortut, sich aber vor der Aufgabe drückt,  über die Besatzung zu berichten, ist die größte Kollaborateurin der Besatzung. Sie hilft mit, dass die Israelis das Gefühl haben, es gäbe keine Besatzung. Ohne die Entmenschlichungs-kampagne in der Presse würden sich die Israelis weniger selbstgerecht fühlen und vielleicht würden mehr moralische Zweifel kommen – über das, was wir tun.

 

Solange die Presse (wichtige) Dinge ignoriert, aber der Propaganda dient, erfüllt sie nicht ihre Pflicht, erlaubt aber, dass diese Grausamkeiten  gar nicht weit  von unsern Häusern  weitergehen – aber von unserm Bewusstsein  Lichtjahre entfernt sind. Darüber sollten wir in Eilat zwischen dem Empfang und  blumigen Reden gesprochen haben. Über einem  Schnaps sollten wir uns  fragen, ob wir die Wahrheit berichten, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

 

(dt. Ellen Rohlfs)