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Nichts hat sich verändert

 

Gideon Levy, Haaretz, 7.10.10

http://www.Haaretz.com/print-edition/opinion/let-s-party-like-it-s-1973-1.317617

 

Der Akt der Buße, mit dem wir gerade beschäftigt sind, nachdem  kürzlich Dokumente über den Yom Kippur-Krieg frei gegeben wurden, ist nichts andres als ein hohler heidnischer Ritus. Auf einmal  erfahren wir, dass Golda Meir eine Operation  gegen Syrien für unvernünftig hielt und die Welt für  „verachtenswert“ ; der Verteidigungsminister Moshe Dayan rief dazu auf, verletzte Soldaten auf dem Schlachtfeld zu lassen und war  zutiefst deprimiert; und Israels Stabschef der IDF David Elazar log die Öffentlichkeit an.

 

Wir geben beim Diskutieren über die Fehler von 1973 nach, da wir uns einbilden, sie gehören längst der Vergangenheit an. All die verantwortlichen Parteien leben nicht mehr, aber die Themen leben noch und schlagen um sich. Die Winde von 1973 blasen noch heute heftig, und nichts hat sich verändert. Tatsache ist, dass heute  Goldas Erklärungen und Dayans Vorschläge wieder Schlagzeilen machen. Keiner erinnert sich an weitere Irrtümer aus jener Zeit, ein großer Fehler von derselben Gang, die eine weitere Gelegenheit verpasste, in den frühen 70ern ein Abkommen mit Ägypten zu erreichen. Wäre vom Yom Kippur-Krieg wirklich eine Lektion gelernt worden, dann würde der Skandal zu dieser verpassten Verhandlungschance beigetragen haben – und heute  wird derselbe Fehler  gemacht.

 

In den frühen 70ern gab es einen echten  Friedensvorschlag von Ägypten. Präsident Gamal  Abdel Nasser  stimmte Rogers Plan zu, dem alle folgenden Friedensvorschläge ähneln. Sogar der Chef des jüdischen Weltkongresses Nahum Goldman war eingeladen, um mit ihm zu verhandeln. Golda blockierte das Treffen und machte die Idee lächerlich. Und Dayan erklärte: „Es ist besser, Sharm el-Sheich ohne Frieden zu haben“ – der Rest ist Geschichte: Israel zieht immer den Krieg dem Frieden vor, und wenn es keine Wahl gibt, dann machen wir Frieden nach einem Krieg, nie vorher. Frieden mit Ägypten, der Rückzug aus dem Süd-Libanon und die Anerkennung der PLO – das fand alles  erst statt, nachdem Blut geflossen ist, nie vorher.

 

Nichts hat sich in den 37 Jahren verändert. Es ist dieselbe arrogante Anmaßung, derselbe hartnäckige Widerstand gegenüber jeder Aussicht auf ein Abkommen, dasselbe Versäumnis, anzuerkennen, dass uns nur Frieden vor einem Verteidigungsminister bewahrt, der in eine existentielle Depression versinkt und vor einem bevorstehenden Holocaust warnt. Worum geht es bei diesen Festival der 1973er-Kriegsdokumente und diesen  rückwirkenden Todestanz ? Warum zurückschauen, wenn an dem Tag, an dem der Siedlungsbaustop endet, die Siedler einen ziemlich ähnlichen Tanz der Arroganz  aufführen, der dem 1973er-Krieg vorausgegangen ist?

Es gibt keinen Unterschied zwischen den Plymouth Tapferen (?), die in jenen Tagen von den Lords aus Israel angetrieben wurden, den Generälen, die in die Restaurants von Tel Aviv gingen, wo ihre Photographien die Wände schmückten und der heutigen Trägheit. Dieselbe trunkene Verblendung  ist im Spiele, auch wenn der Kult der Generäle seitdem in Schranken gehalten wird. Nasser suchte in den frühen 70er-Jahren Frieden und Bashar Assad, Mahmoud Abbas und die Arabische Liga klopfen vergeblich an Israels geschlossene Tür  von 2010. Wir machten uns damals über sie lustig und  hatten nur taube Ohren für sie. Wir machen uns  jetzt über sie lustig und tun so, als wären wir taub. Wir haben Photos von Partys  aus jenen machttrunkenen Tagen und fanden keine Spur von Nüchternheit…Sehen wir uns von damals an und von heute. Der Spaß und die Spiele gehen weiter und der Staat schreit vor Freude – jetzt genau  so wie damals.

 

Brot und Spiele: Der nationale Infrastrukturminister Uzi Landau verspricht Elektrizitätswerke auf den besetzten Golanhöhen, der Transportminister Yisrael Katz verspricht eine  Straßenbahn in der besetzten Westbank, genau wie Dayan und Shimon Peres einen Tiefseehafen in Yamit versprachen. Es ist dieselbe Geschichte – das Jubilieren über die  Entdeckung von Erdgas, das Freudengeschrei über die Bulldozer in den Siedlungen, die stumpfe Gleichgültigkeit  der Weltmeinung, die Apathie gegenüber den Missständen der Besatzung, die Obsession mit Trivialitäten,  die Geschwätz-Kolumnen in den Printmedien, die sich vor den Reichen und Mächtigen beugen, der kleine Bildschirm, der uns davon abhält, zu erfahren, was wirklich geschieht und  die Nebelwand von Selbstzufriedenheit, die alles einhüllt. Schneide es aus und bewahre es und wenn der nächste Skandal über ein  Versagen unserer Führung in weniger als 37 Jahren erscheint, werden wir noch einmal nicht in der Lage sein zu behaupten, dass wir geschockt und überrascht sind.  ….

 

(dt. und etwas gekürzt: Ellen Rohlfs)