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Israel ist besatzungs- süchtig, sagt Gideon Levy

Ben Norton, 21.3.16

 

„Israel ist besatzungs-süchtig“, sagte der renommierte israelische Journalist Gideon Levy, ein Kolumnist der führenden israelischen Zeitung Haaretz.

„Der Drogenabhängige, der dein Freund ist, wenn du ihm Geld gibst, wird er sich um dich kümmern. Aber kümmerst du dich wirklich um ihn?“ fragte Levy, der Israels fast  50 Jahre lange illegale militärische Besatzung von palästinensischem Land „kriminell“, „brutal“ und „hundsgemein“ nennt.

Er sprach vor dem Nationalen Presse Club in Washington D.C,  für die jährliche Israels Einfluss-Konferenz. Die Veranstaltung am 18. März untersuchte die enge Beziehung zwischen der amerikanischen und israelischen Regierung und den Einfluss auf den Rest des Nahen Ostens.

Die US gibt jedes Jahr mehr als $3,1Milliarden an bedingungsloser militärischer Hilfe  der israelischen Regierung. Israel ist bei Weitem der größte Empfänger von US-Hilfe. (Ägypten erhält als zweiter $ 1,5 Milliarden jährlich)  Und jetzt aus Protest zum US-Nuclear-Deal mit Iran wünscht die israelische Regierung sogar noch mehr - bis zu $4,5Milliarden pro Jahr.

„Jede einzelne Sache, die Israel heute tut, geschieht mit dem totalen Einverständnis und totaler Finanzierung der US“, erklärt Levy.

Er kritisiert die US-Politiker und besonders die Abgeordneten wegen ihrer Ignoranz von grundlegenden Fakten des Israel-Palästina-Konflikts.

„Die meisten amerikanischen Gesetzgeber wissen nichts, und was sie wissen, ist ein Produkt der Propaganda“, sagt Levy.

Er schlägt vor, den US-Politikern eine Fahrt durch die besetzten palästinensischen Gebiete zu geben. Levy empfiehlt, dass jeder, der daran zweifelt, dass Israel die einheimische arabische Bevölkerung unterdrückt, der sollte „nur ein paar Stunden in Hebron verbringen“, eine palästinensische Stadt, (die auf Arabisch Al-Khalil heißt) in der besetzten Westbank.

Ich habe nie einen anständigen Menschen getroffen, der nach Hebron ging und nicht geschockt zurückkam,“ fügte er hinzu.

In Hebron leben israelische Siedler illegal mitten in der Stadt. Palästinenser müssen auf getrennten Straßen fahren oder gehen, die von israelischen Soldaten patrolliert werden. Sie gehen oft unter großen Netzen. die wie Käfige aussehen. Siedler werfen Abfälle nach unten, ja sie urinieren sogar von ihren Fenstern aus auf die Straße.

Levy beschreibt Israels Besatzung einfach als eine Art von Apartheid.

„Es sieht aus wie Apartheid, …sie benimmt sich wie Apartheid, es ist Apartheid“ sagt er. Er stellt die Bedingungen der Palästinenser, die unter illegaler militärischer Besatzung in Hebron leben, neben jene der Israelis – nur eine Stunde entfernt -  in der großen israelischen Stadt Tel Aviv…

„Es gibt keinen einzigen amerikanischen Abgeordneten, der sich vorstellen kann, was es bedeutet, als Palästinenser unter Besatzung zu leben“, fährt Levy fort. „Er kann sich nicht einen Tag der Demütigung, der Gefahren  und dem Mangel  von Hoffnung vorstellen.

„Solang wie dies der Fall ist, sind die Chancen für Hoffnung so klein.“

Eskalierende Gewalt

Die Israelische Einfluss-Konferenz wird von der gemeinnützigen Stiftung der amerikanischen Bildungseinrichtung und dem Institut für Forschung der Nahost-Politik organisiert.

Medea Benjamin, die Mitbegründerin der Friedensgruppe Code Pink, erzählte Salon, dass die Konferenz sich auf Begegnungen ihrer Organisation gründet, die sie in der Vergangenheit organisiert hatte. Anfang März hielt Code Pink eine ähnliche Veranstaltung (den 2016-Gipfel über Saudi Arabien) die den Saudi-Einfluss auf die US-Politik erforschte, und stellte die US-Beziehung mit der theokratischen absoluten Monarchie in Frage. Sie fördert und exportiert in alle Welt Extremismus.

Salon berichtete auch über diese Gipfelkonferenz.

Levy beschrieb mit seiner lockeren Art die düstere Bewertung der Situation in Israel-Palästina: „Das Leben in Palästina ist jetzt das minderwertigste, nie war es so wertlos wie heute, nie war es so leicht, Palästinenser zu töten.“

Für Palästinenser in der Westbank, die Israel seit 1967 illegal besetzte, ist die Gewalt unter israelischer Besatzung ein Teil des täglichen Lebens geworden. In den letzten Monaten hat diese Gewalt sehr zugenommen. Seit Oktober 2015 sind nahezu 180  Palästinenser getötet worden  und rund 30 Israelis. Fast jeden Tag  gibt es eine neue Geschichte über einen Tod.

Alle paar Jahre beginnt Israel einen Krieg mit der palästinensischen militanten Gruppe Hamas im Gazastreifen, über den Israel seit fast zehn Jahren eine Blockade verhängt hat. Die israelische Regierung kontrolliert alles, was nach Gaza kommt und kontrolliert sein Wasser, den Luftraum, das elektromagnetische Feld und sogar die Registratur, inoffiziell besetzt es den dicht bevölkerten Streifen, der offiziell nur bis 2005 besetzt war, als die jüdischen Siedlungen dort aufgelöst wurden.

Israel teilte seine größte Gewaltwelle im Sommerkrieg 2014 aus. Das israelische Militär, das von Menschenrechtsgruppen wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde, tötete mehr als 2250 Palästinenser, zwei Drittel davon waren Zivilisten, einschließlich 550 Kinder (nach UN-Zahlen). Auf der anderen Seite wurden 66 israelische Soldaten getötet und sechs Zivilisten.

Levy behauptete, dass wenn die US aufhören würde, Milliarden Dollar an Hilfe zu geben und die Straflosigkeit Israels bei der UN nicht mehr garantieren würde, dann würde innerhalb weniger Monate die Besatzung aufhören.

Wenn ein Präsident sich verpflichten würde, wirkliche Strafmaßnahmen anzuwenden, um Israel dahin zu bringen, die Besatzung aufzugeben, dann würde sie enden. „Israel würde niemals in der Lage sein, einem entschlossenen Präsidenten  gegenüber Nein zu sagen.“

„Der Schlüssel zur Beendigung der Besatzung liegt nun in eurer (der US)-Hand“, sagte Levy.

Der Faschismus nimmt zu

„Die Chancen, die Gesellschaft innerhalb Israels zu verändern, sind begrenzt“,  klagte Levy. Er ist sehr kritisch gegenüber der Likud Partei, ihrem Rechten Flügel und der israelischen Labor Partei. „Ein Linker zu sein, ist in Israel ein Fluch. Linke werden in Israel häufig „Verräter“ genannt.

In einigen seiner Zeitungsartikel warnte Levy Israel, dass er Zeuge sei, wie der Faschismus zunimmt – und er benützt dieses Wort nicht leichtsinnig. Andere Politiker sind nicht so vorsichtig gewesen. 2012 hat der israelische Abgeordnete vom rechten Flügel, Miri Regev bei einem TV- Interview stolz erklärt, dass er „glücklich sei, ein Faschist zu sein“. Regev ist nun Minister für Kultur in der extrem rechten Regierung von Ministerpräsident Netanjahu.

Während Israels Sommerkrieg 2014 hat Levy täglich für seine Kritik an Israels Militäraktionen Todesdrohungen bekommen und hatte sich sogar einen Leibwächter mieten müssen, der ihn schützt. Israels Veteranen haben zugegeben, dass ihnen befohlen wurde, im Krieg palästinensische Zivilisten zu töten – und sie töteten Gazaner, weil sie Langeweile hatten.

In jener Zeit sah er die ersten Anzeichen von Faschismus in Israel. „Seitdem,“ sagte er, „sind die Dinge noch schlimmer geworden, schrieb er in einer Kolumne „Im Jahr 2015 kündete sich offensichtlich und dreist der israelische Faschismus an“.

Wenn auch die gewalttätige, offen rassistische extreme Rechte in Israel mit faschistischen Gruppen wie Lehava wächst und auf den Straßen „Tod den Arabern“ brüllt und Gruppen gegen Rassenmischung organisiert, behauptet Levy, dass  dieser Extremismus die Gewalt verbirgt, die in der Politik der Mitte normal ist. Sie beschönigt die Besatzung und Verbrechen der israelischen Regierung gegen die Palästinenser.

Die Hauptströmung „entscheidet, die Augen vor dem, was in ihren eigenen  Hinterhof geschieht, zu schließen“, sagte er. „Und dann können die vom rechten Flügel tun, was ihnen gefällt.“

„Ihr habt euren rechten Flügel und wir haben unsern rechten Flügel,“ sagte Levy zur amerikanischen Zuhörerschaft, indem er auf das Anwachsen der radikalen Rechten in den USA hinwies, wie dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Ted Cruz.

„Ich weiß nicht, wer schlimmer ist“, witzelte er.

……..

Drei Regime

„Israels Einfluss-Konferenz“  fand nur wenige Tage vor  der jährlichen Strategie –Konferenz der einflussreichsten Pro-Israel-Gruppe statt, dem Amerikanischen Israel Public Affairs Commitee oder AIPAC. Alle Präsidentschaftskandidaten außer Bernie Sanders sprachen auf dieser Konferenz. Sanders lehnte die Einladung ab.

Levy charakterisierte AIPAC als einen Feind des Friedens in der Region. Er kritisierte die US-Politik in Israel-Palästina und dem sogenannten Friedensprozess.

„Die Chancen für eine Zweistaaten-Lösung sind völlig vorbei,“ sagte Levy und erwähnte dabei den Jahrzehnte langen Vorschlag , dass die Palästinenser einen unabhängigen Staat haben sollten.

„Ich glaube, dass weder Amerika noch Israel jemals die Zweistaaten-Lösung gewollt  haben,“ fährt Levy fort und behauptet, dass „die Zwei-Staaten-Lösung von Anfang an eine Falle war.“

Was ferner die US mit Israel verbindet, ist die weitverbreitete anti-muslimische Bigotterie und Diskriminierung in beiden Ländern.

„Es gibt sehr wenige Israelis, die die Palästinenser als gleichwertige Menschen anerkennen. Sehr, sehr wenige,“  sagt Levy. „Die meisten Israelis erkennen die Palästinenser nicht als gleichwertige Menschen an.“

Er sagte, er lese die israelischen und US-Medien und „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Lügen so leicht verbreitet werden“. Der prominente Kolumnist verreißt die Medien, die er „ der größte Kollaborateur der Besatzung“ nennt.

Dank dieser falschen Berichterstattung „wissen die Abgeordneten nichts; die israelischen jungen Leute haben keine Ahnung“, behauptete er.

Die Journalisten werden in Israel und den USA „so sehr gehasst, wenn sie die palästinensischen Kinder als Menschen ansehen. Das ist ein Verbrechen in unserm Land“, erklärte er. „Die israelische Regierung behandelt sie nicht wie normale Menschen.“

Levy sprach deutlich von drei verschiedenen Arten von Regierung in Israel: eine Demokratie für die jüdischen Bürger; eine halbe Demokratie für  die palästinensischen Bürger in Israel, „die in jeder möglichen Art diskriminiert werden“ und ein „Apartheid-Regime“ in den besetzen Gebieten.

Israel mag das einzige Land in der Welt sein, das nicht nur keine Grenzen hat, sondern auch drei Regime.“

……

Die Gerechtigkeit ist schwarz-weiß

Levy behauptet, dass Israels „Süchtigkeit“ zur Besatzung nicht nur für die Palästinenser gefährlich ist; sie ist auch für Israels eigene Zukunft gefährlich.

„Die ersten Opfer sind offensichtlich die Palästinenser und  auf viele Art und Weisen der ganze Nahe Osten,“ sagte er.„Aber der Besatzer sieht nur, was dem Besatzer geschieht,“  fährt Levy fort, und weist auf Beispiele  von Radikalisierung der israelischen Gesellschaft hin. Im Dezember verbot die israelische Regierung den Schulen ein Buch, das inter-rassistische Beziehungen beschrieb, erinnerte sich Levy.

Er machte auch auf Netanjahus infame Bemerkungen am Tag der Wahl im März 2015 aufmerksam, in der der kompromisslose Ministerpräsident die jüdischen Bürger Israels anflehte, herauszukommen und zu wählen, weil die Linke vermutlich die Araber in hellen Scharen per Bus zur Wahl holen würde.

Levy behauptete, dass häufig wiederholte Gesprächspunkte über Israel, es sei „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ Israel  das Recht gäbe, zu tun, was immer es zu tun wünscht. (Die Türkei und der Libanon seien beide Demokratien, wenn auch sehr unvollkommene).

Levy machte sich auch über Israels Behauptungen lustig, dass es die moralischste Armee der Welt habe.

Der prominente Journalist sagte, er könne nicht hoffnungsvoll sein, aber man weiß nie, was geschehen könnte. Die Sowjet Union brach unerwartet innerhalb von Monaten zusammen, und dasselbe könnte auch mit der Besatzung geschehen.

In der Zwischenzeit, betont Levy, ist die Gewalt in Israel-Palästina „kein komplizierter Konflikt“. Es ist Israel, das die Palästinenser unterdrückt.

„Diejenigen, die es als sehr komplizierte Situation beschreiben, wollen keine Lösung finden.“

Levy fügte hinzu, „Gerechtigkeit ist heute in Israel-Palästina sehr schwarz und weiß“.

(dt.und gekürzt: Ellen Rohlfs)