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Es ist illegal, in Palästina ein Kind zu sein

27 palästinensische Kinder kamen diese Woche nicht zur Schule;

 

 IDF-Soldaten lagen wegen ihnen in Hebron im Hinterhalt.

 

Gideon Levy und Alex Levac,

 

30.3.2013 

 

Wir konnten uns nicht helfen: beim Anblick des jungen, eben entlassenen Verhafteten hatten wir einen Lachanfall. Aber das Gelächter verwandelte sich schnell in traurige Verlegenheit. Der Verhaftete war ein Junge von 8 Jahren, der in der 2. Klasse ist. Als wir ihn diese Woche auf der Straße in Hebron trafen, war er auf dem Weg zu seinem Großvater. Er trug einen roten Pullover mit dem Bild einer Mickeymaus. Er lächelte scheu. Seine Mutter hatte ihn gebeten, dem Opa etwas zu bringen. Der achtjährige Ahmed Abu Rimaileh war nicht das Jüngste der Kinder mit einem Schulranzen auf dem Rücken, die die IDF-Soldaten am frühen Mittwoch letzter Woche verhafteten: Sein Freund Abdel Rahim, der mit ihm verhaftet wurde, ist erst 7 und in der ersten Klasse.  27 palästinensische Kinder kamen an diesem besonderen Tag nicht in die Schule. IDF-Soldaten lagen wegen ihnen ab dem frühen Morgen in den Straßen des Hebroner Stadtteils, der unter Armeekontrolle ist, auf Lauer und verhafteten sie willkürlich. Erst nachdem sie alle in Haft waren, prüften die israelischen Sicherheitskräfte die Videoaufnahmen, die in ihrem Besitz waren, wer von den Jüngsten Steine gegen den Checkpoint N. 160, der ihren Stadtteil vom jüdischen Viertel trennt, geworfen hat. Es war vor ein paar Wochen hier, wo IDF-Soldaten einen Teenager, Mohamed Suleima, töteten. Er hielt in der Hand ein Feuerzeug, das wie eine Pistole aussah.

Die meisten jungen Kinder wurden innerhalb von Stunden entlassen. Die Älteren wurden ein paar Tage in Haft gehalten, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurden. Ein Erwachsener, der versuchte,  die Verhaftung eines Kollegensohns zu verhindern, wurde diese Woche vor Gericht gebracht.

Die Tatsache, dass 18 der Kinder unter 12 Jahre alt waren, also nach dem israelischen Jugendgesetz unter dem Alter für kriminelle Verantwortlichkeit (Urteil, Strafe und Methoden der Behandlung) war offensichtlich für die IDF, die israelische Polizei oder die Grenzpolizei von keinem Interesse. Auch nicht der schwerwiegende Bericht, der nur zwei Wochen zuvor vom UN-Kinderfond veröffentlicht wurde und der Israel verurteilte, weil es in den letzten zehn Jahren 7000 palästinensische Kinder verhaftet hatte.

„Schlechte Behandlung der palästinensischen Kinder im israelischen Militär-Gefängnissystem  scheint weit verbreitet, systematisch und institutionalisiert zu sein,“ stellte der UNICEF-Bericht fest und fügte hinzu, „in keinem anderen Land werden Kinder systematisch von  Militär-Jugendgerichten verurteilt“.

Eine Freiwillige der ISM, einer propalästinensischen Aktivistengruppe, die mit einer Video-Kamera die Operation, in der die Kinder verhaftet wurden, dokumentierte, gab dies an B’Tselem weiter. Das Israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten und B’Tselem gaben uns diese Dokumentation.  Ein Soldat wird gesehen, wie er ordinärauf den Boden spuckt, ein anderer trägt den Schulranzen seines kleinen Verhafteten – als ob er ein Babysitter wäre , der kam, um das Kind nach Hause zu begleiten. Die Amateurfotografin von ISM wurde noch am selben Tag von Israel deportiert, nachdem sie die Frechheit besaß, in Hebron n einer Demonstration gegen den Besuch von Präsident Obama teilzunehmen.

Tatsächlich fand der Massenarrest der Kinder am 20. März statt, an dem Tag, an dem Obama in Israel ankam und einen Tag bevor er seine Bemerkungen über palästinensische Kinder in Jerusalem machte. „ Geht in den Schuhen der Palästinenser, versetzt euch in die Lage der Palästinenser,“ sagte der Präsident den Israelis.

Früh am selben Morgen bemerkten die palästinensischen Bewohner von Hebron Dutzende israelischer Soldaten, wie sie Positionen auf den Straßen und Dächern in ihrer Nachbarschaft einnahmen. Ein ängstlicher Bewohner rief die B’Tselem-Mitarbeiterin Manal al-Jaabari an und fragte, was denn vor sich ginge.

Was Ahmed Abu Rimallah betrifft, so wachte er um 7Uhr  an diesem Morgen auf, bekam von seiner Mutter 2NIS als Taschengeld, und machte sich auf den Schulweg. Er besucht die Hadija-Grundschule weiter unten an dieser Straße. Noch drei andere Schulen liegen in der Nähe, die zu einem Schulkomplex gehören, der nur wenige 100 m vom Checkpoint entfernt liegt.

Sein Vater Yakub ist Bauarbeiter, seine Mutter, Hala sitzt nun mit uns in ihrem Wohnzimmer. Auf dem Schulweg hielt er am Eckladen und kaufte ein Päckchen Keks für 1NIS  und hielt den andern Schekel für die Pause zurück. Als er den Laden verlassen wollte, kamen sieben oder acht Kinder plötzlich hereingerannt – einige in seinem Alter, einige älter. Hinter ihnen waren Soldaten, die die Kinder im Laden verhafteten.

Ein Soldat befahl Ahmed, die Kekse in seinen Schulranzen zu tun, bevor er ihn an der Schulter packte und ihn zum Checkpoint zog. Ahmed sagt, er habe große Angst gehabt und gab auch zu, geweint zu haben, wenn auch nur ein bisschen. Am Checkpoint wurden er und alle anderen verhafteten Kinder in einen Armeewagen gestoßen – 27 Kinder in einem Wagen. Einige saßen, einige standen..

Es waren drei Soldaten mit ihnen im Fahrzeug. Einige der Kinder weinten und die Soldaten sagten, sie sollen ruhig sein, Ein Kind wurde geschlagen. Sie wurden alle zur nächsten israelischen Polizeistation, nahe dem Patriarchengrab (Abrahamsmoschee), gebracht. Man sagte ihnen, sie sollen sich auf den Boden eines geschlossenen Hofes setzen. Die Kinder über 12 Jahre wurden von den jüngeren getrennt und zur Polizeistation in Kiryat Arba und später ins Ofer-Gefängnis, nördlich von Jerusalem, gebracht.

Ahmed Burkan, 13, wurde nicht vor dem Abend entlassen. Malik Srahana, auch 13, wurde drei Tage lang im Ofer-Gefängnis gehalten, bevor er gegen 2000 NIS Kaution entlassen wurde. B’Tselem-Mitarbeiter Musa Abu Hashhash, der ihn kurz nach der Entlassung traf, sagte, er habe Anzeichen von Traumata gehabt.

Nach einem Bericht des Internationalen Roten Kreuzes für B’Tselem seien 18 der verhafteten Kinder unter 12 Jahren gewesen. Sie wurden in dem Hof mit einem Polizisten fest gehalten, der sie fast zwei Stunden bewachte. Keiner bot ihnen etwas zu essen oder zu trinken an.

Die Kinder baten darum, auf die Toilette zu gehen, was ihnen verboten wurde, erinnert sich Ahmed. Der Polizist fragte, wer unter ihnen Steine geworfen hätte, aber keiner meldete sich.  Er fragte dann, ob sie wüssten, welche Kinder Steine geworfen hätten und sie nannten zwei der älteren, die  von ihnen getrennt und verhaftet worden sind.

Nach einiger Zeit kamen drei Jeeps und brachte die jüngere Gruppe zum Checkpoint 56, nahe der Siedlung von Tel Rumeida. Dort trafen die Kinder drei palästinensische Polizisten, die sie zu ihrer Polizeistation mitnahmen. Sie bekamen dort etwas zu essen. Sie wurden gefragt, wer Steine geworfen hatte. Alle hoben ihre Hand.

Die Eltern wurden gerufen, zur Polizeistation zu kommen und ihre Kinder abzuholen. Ahmed Eltern und  die von vier andern kamen nicht. Diese fünf Kinder wurden mit dem Auto des palästinensischen Kultusministerium nach Hause gefahren. Ihre besorgten Eltern warteten auf sie.

Hala sagt, sie sei nicht böse auf ihren Sohn. Sie bat ihn nur, das nächste Mal, wenn er von Soldaten verhaftet werde, nicht zu weinen. „Wir haben uns daran gewöhnt“, sagt sie und fügt hinzu, dass ihr Sohn in der letzten Nacht von der Verhaftung geträumt habe.

Am Tag nach dem Vorfall wollte Ahmed nicht zur Schule gehen, wurde aber von seinen Eltern überredet, doch zu gehen. Einen Tag lang war er unter den Kindern ein Held: „Ahmed, der entlassene Verhaftete.  Er ging an diesem Tag nicht ins Klassenzimmer, sondern blieb stattdessen im Büro des Schulleiters. Er will einmal Arzt werden, wenn er erwachsen ist, wie ein paar Verwandte, erzählt er uns. Seine Mutter sagt, er sei ein guter Schüler und ein guter Junge.

Ahmed hat sieben Geschwister. Die fünf Jungen schlafen in einem Raum in zwei  Betten und auf Matratzen auf dem Boden. Dann ist da noch ein alter Computer, der abgeschaltet ist. Sie haben keine Internetverbindung. Auf der Straße ist ein junger Hausierer – im selben Alter wie Ahmed. Man hört ihn, wie er seine Waren feil bietet. Nach der Schule verkauft der Junge Halabi, eine süße hausgemachte Paste von Öl triefend, für einen halben Schekel,

(dt. und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)