Äthiopische Schüler-Affäre zeigt weit verbreiteten Rassismus in Israel

 

Gideon Levy,  Haaretz, 3.9.09

 

Auf einmal können wir “Rassismus” sagen. Eine Schockwelle hat die selbstzufriedene israelische Gesellschaft getroffen. Ein paar Dutzend äthiopischer Kinder wurden von der religiösen Schule in Petah Tikva nicht aufgenommen. Das ist wirklich schrecklich, jeder  zeigt seine Missbilligung bei dem herzzerreißenden Anblick von Aschalo Sama, einem Jungen ohne Schule. Jeder darf geschockt sein. Es ist politisch korrekt.

Wie toll sind wir, wie fortschrittlich erscheinen wir vor uns selbst. Schau, wie wir Rassismus bekämpfen, unerschrocken und  kompromisslos. Und doch -  nach einem Augenblick wird diese Schande vergessen sein. Und wir werden mit vielen anderen Anzeichen von Rassismus unserer Gesellschaft zurückbleiben. Wir bleiben ihr gegenüber verschlafen gleichgültig.

So sind wir nun mal. Von Zeit zu Zeit, wenn die Abwässer überfließen und der Gestank sich überall hin verbreitet und wir unsere Nasen nicht mehr zuhalten können, schreien wir gegen die Ungerechtigkeit, bis der Deckel wieder alles verschließt.  Das Wasser unter uns  schäumt und stinkt weiter, aber es ist zugedeckt und unterdrückt.

Man weiß es nicht so genau,  wie viele selbstgerechte und missbilligende Eltern damit einverstanden gewesen wären, ihre Kinder in einer Klasse mit einer Mehrheit äthiopischer Kinder zusammen anzumelden. Und wie viele  für einen arabischen Studenten ein Zimmer vermieten würden. Aber das nennt man natürlich nicht Rassismus. Und wie viele Eltern sind geschockt von den nächtlichen Selektionen  vor den Clubs, wo ihre heranwachsenden Kinder eine angenehme Zeit verbringen wollen? Routinemäßig werden junge „Andere“ ausgeschlossen – Äthiopier, Araber, Drusen und zuweilen auch Mizrahim. Ausländer werden ausgeschlossen, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben – und kein Protest erhebt sich.

 

Täglich kontrollieren Sicherheitsleute Passagiere, die über den Internationalen  Ben-Gurion-Flughafen ankommen, ob ihr Akzent arabisch klingt – und keiner beklagt sich. Das ist kein Rassismus. So haben wir  einen Ethikkodex  für uns organisiert – mit doppeltem und dreifachem moralischen Standard. Wir kämpfen gegen ein paar Anzeichen und schließen unsere Augen gegenüber anderen viel schlimmeren Beispielen.

 

Der Fall mit Petah Tikvas Schülern ist nur die Spitze des Rassismus-Eisberges. Kinder erzeugen besondere Gefühle. Peinliche Enthüllungen über das Schulsystem wird immer einen Skandal hervorrufen. Genau in der Woche, in der das Land wegen der Äthiopier gekränkt war, berichtet Nir Hasson in Haaretz, dass Jerusalem für einen Schüler Ost-Jerusalems 577 Schekel im Jahr investiert und 2372 Schekel pro Jahr für einen Schüler in West-Jerusalem. Also vier mal weniger – nur wegen der anderen Volkszugehörigkeit. Das zählt hier nicht als Rassismus. Auch nicht die Tatsache, dass es in Ost-Jerusalem an 1000 Klassenräumen fehlt nur weil seine Bewohner Palästinenser sind. Keiner  schreit gegen diese Enthüllungen, keiner regt sich darüber auf – einschließlich des Präsidenten, der ( angeblich) gegen Rassismus kämpft.

 

Nun, da wir den Terminus „Rassismus“ verwenden können, ist der Zeitpunkt gekommen, um zuzugeben, dass unsere Gesellschaft absolut rassistisch ist, dass all seine Bestandteile rassistisch sind. Z.B. das Rechtssystem hat nicht weniger  den Ruf, rassistisch zu sein, wie die Morasha-Schule in Petah Tikwa. In vielen Fällen gibt es ein Gesetz für  Juden und ein anderes für Araber. Die Bank von Israel, eine staatliche Einrichtung mit 900 Angesellten ist immer „araberrein“ gewesen, wenn man von ein oder zwei Angestellten absieht. Etwa 70 000 israelische Bürger  - natürlich  alle Araber -  leben in nicht anerkannten Dörfern ohne Strom und fließendes Wasser, ohne Zufahrtstraße und manchmal auch ohne Schule. Warum?

Weil sie Araber sind. Jede Woche hören wir bei Fußballspielen rassistische Schimpfnamen und Lieder, für die Fußballteams in Europa streng bestraft werden. Hier machen sich die Schiedsrichter nicht  einmal die Mühe, dies zu berichten.

Der letzte Vorfall ereignete sich letzte Woche im Doha-Stadium in Sakhnin bei einem Spiel zwischen Bnei Sakhnin und Beitar Jerusalem.

 

Und wir haben noch gar nichts über  die Einstellung gegenüber Fremdarbeitern, die Besatzung (der größte rassistische Fluch) gesagt, noch über die Haltung gegenüber den Mizrahim seit der Gründung des Staates. Die Liste ist lang und schändlich.

Wenn die Kinder von Petah Tikwa alle Schulen gefunden haben, die sie aufgenommen haben, obwohl ihre Haut dunkel ist, wird die Gesellschaft nicht aufhören rassistisch zu sein. Sie wird sehr schnell  wieder selbstzufrieden  beim business as usual sein . Ja, hier gab es Rassismus – wir kämpften dagegen. Er ist, ohne Spuren zu hinterlassen, verschwunden.

 

(dt. Ellen Rohlfs)