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Wie Schulausflüge nach Hebron Besuchen in Auschwitz ähneln

 

Gideon Levy, Haaretz, 17.2.11

http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/how-School-trips-to-hebron-resemble-visits-to-auschwitz

 

Mehr als die Hälfte jüdischer Schulkinder in Israel haben Auschwitz besucht; jedes Jahr machen mehr als 10 000 eine Fahrt nach Polen oder nehmen an dem Marsch der Lebenden teil, eine Pilgerreise zu den Todeslagern. Sie kommen geschockt und als Nationalisten zurück. Diese Touren führen die weinenden Schüler für einen Moment in die Irre, während sie sich in die Nationalflagge einhüllen, bevor sie  in ihren Zimmern einen Wodka  Red Bull schlucken.

 

Diese Programme bringen Tausende von Teenagern zurück, die  nichts über die Gefahr des  Faschismus’ gelernt haben und nichts über Moral, Humanität und den schlüpfrigen Hang gehört haben, auf dem ein gefährliches Regime eine selbstzufriedene  Gesellschaft hinunterzuziehen  vermag.  Immer mehr blinder Glaube an Stärke, Fremdenfeindlichkeit, Angst vor dem anderen und angeheizte Leidenschaften. Diese Touren sind in ihrer augenblicklichen Art versäumte Gelegenheiten, deren Schaden größer als ihr Nutzen ist.

 

Jetzt wünscht der Minister für Erziehung und Bildung Gideon Sa’ar noch eine Tour: zu den Patriarchengräbern nach Hebron. Tausende von Teenagern werden in gepanzerten Bussen in die Gefahrenzone gebracht, von Soldaten und bewaffneten Leibwächtern bewacht. Eine Safari nach Hebron. Während des Besuches wird eine Ausgangssperre über die letzten Palästinenser, die noch dort in der Nachbarschaft wohnen,  verhängt. Die Schüler werden schnell an die uralte Örtlichkeit gebracht, von der  man glaubt, dass es die Höhle Machpela ist mit den Gräbern der Patriarchen und deren Frauen , die wahrscheinlich nicht dort begraben liegen. Niemand wird ihnen zeigen, was rund herum ist. niemand wird ihnen sagen, was mit den Tausenden von Leuten, die in der Nähe der Gräber lebten, geschehen ist.

 

Ihre Guides, die gewalttätigsten und grauenhaftesten der Siedler in den (besetzten) Gebieten, werden ihnen nicht erzählen, was sie getan haben. Sie werden die Ortsgeschichte nach zionistischer Auswahl erzählen. Sie werden ihnen vom Massaker in Hebron 1929 erzählen, aber nichts über das Massaker  von Baruch Goldstein 1994. Die Schüler werden eine Geisterstadt rund herum sehen, und sie werden nicht fragen, warum sie verlassen ist und vor wem die Bewohner Angst hatten, als sie flohen.

 

Auch hier wird ihnen  - wie in Auschwitz - nur noch mehr Angst und Schrecken eingejagt. In Auschwitz macht man ihnen Angst vor den Polen und in Hebron vor den Arabern.  Alle wollen uns  nur immer vernichten. Sie werden aufgeregt von Hebron zurückkehren, da sie dort die alten Steine berührt haben und noch blinder sind, weil sie keinerlei Kontakt mit den Menschen hatten, die dort neben diesen Steinen leben. Sie werden nichts sehen und nichts lernen. Wie aus Auschwitz  werden sie nur noch  nationalistischer nach Hause kommen: Hebron für immer! …

 

Was wird ihnen denn erzählt?  Welches sind die verborgenen Botschaften?  Dass die Heiligkeit des Ortes Souveränität  bedeutet. Dass der Ort für uns heilig ist, aber nur für uns. Dass es dort wohl einen Abraham gibt aber keinen Ibrahim. Dass die Tatsache, dass dies jüdische Geschichte ist, die „geheiligt“ werden muss auch in den Augen säkularer Schüler, von denen man annehmen würde, dass sie nichts mit „Heiligem“ zu tun haben. Ein großes Gemisch von Lügengeschichten, Propaganda und unpädagogischen Botschaften.

Wenn der Bildungsminister seinen Job ernst nehmen würde und sein Image  ein relativ fortschrittliches wäre, dann würde er  eine wirkliche Tour durch Hebron organisieren.

Ein „Lasst-uns-nach-Hebron-gehen“-Programm?  Aber unter der Bedingung, dass alles  eingeschlossen ist: die jüdische Tradition und die jüdische Ungerechtigkeit.

 

Das wird natürlich nicht passieren. Wenn Sa’ar  redlich wäre, dann  würde er auch zu Schulausflügen für die arabischen Schulkinder in diesem Land ermutigen, damit sie ihre Geschichte lernen.

Lasst die  jüdischen Kinder nach Auschwitz und Hebron gehen und die arabischen Kinder nach Deir Yasin und Sheikh Munis. Sie haben auch ein Recht, die Geschichte ihres Volkes zu erfahren. Es wäre besser, wenn alle israelischen Schulkinder, Juden und Araber, zu all diesen historischen Stätten  gemeinsam gingen, um die Geschichte der anderen Seite zu lernen.

Das wird natürlich auch nicht geschehen.

Stattdessen haben wir einen Bildungsminister, der versucht, alles zu sein: er sitzt wie ein Liberaler im Tel Aviver Cafe Tamar mit dem Labor-Knessetmitglied Shelly Yachimovich und als Nationalist schickt er Schüler auf Schulausflüge zum besetzten Grab der Patriarchen.

 

Aber das Problem liegt nicht darin, wer der Bildungsminister ist. Das Problem liegt in dem, was wir unsern Schülern beibringen;  wohin wir sie mit uns mitnehmen und was wir ihnen dort erzählen. Die Schüler die vom jährlichen Schulausflug nach Hebron zurückkommen, werden schlechtere Schüler sein. Man wird sie mit der Geschichte in Berührung bringen, aber die Realität vor ihnen verbergen. Sie werden glauben, dass Abraham der Patriarch dort vor Tausenden von Jahren in Hebron beerdigt wurde, aber sie werden nichts über Gerechtigkeit und Menschlichkeit erfahren, die dort tausend mal tiefer beerdigt wurde.

 

(dt. Ellen Rohlfs)