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Gideon Levy, Haaretz, 18.12. 11
Wenn ich könnte, würde ich einen bescheidenen Blumenstrauß als Dank an die Aufständler schicken, an die, die letzte Woche in die Ephraim-Brigadebasis eindrangen. Sie erreichten wenigstens für einen Augenblick, was anderen nicht gelang: die öffentliche israelische Meinung gegen die Westbanksiedler aufzubringen, ja vielleicht auch die der Armee und Regierung .
Guten Morgen Israel! Bist du aufgewacht? Jahre des Wandalismus gegen die Palästinenser,
Zerstören der Bäume, Brandstiftung, Zerstörung, Enteignung, Diebstahl, Felsbrocken und Äxte verursachten nicht mal eine kleine Welle ( der Aufregung). Aber ein Stein an den Kopf eines stellvertretenden Brigadekommandeur, Lt. Col.Tzur Harpatz machte etwas aus.
Ein totaler Aufstand. Jüdischer Terrorismus. Da gibt es Milizen in der Westbank, Siedlerterroristen in einem Niemandsland. Und all dies wegen einen Steines, der ein paar Tropfen jüdisches Blut verursachte.
Hier ist es wieder: Arroganz und nationalistische Ideologie. Wie ist es möglich, dass aus dem auserwählten Volk Terrorismus kommt? Wie können ein paar Tropfen Blut einer Person mehr schockieren als Ströme von Blut eines anderen Volkes? Wie kann ein Stein, der Harpatz Stirn verkratzte, unermesslich mehr Echo verbreiten als der Tränengaskanister, der die Stirn des Palästinensers Mustafa Tamini aufriss und vier Tage vorher von Soldaten der Armee, in der Harpatz dient, getötet wurde?
Nein, die Hügeljugend des rechten Flügels hat den Staat Israel nicht gefährdet. Sie haben nicht einmal sein Image beschädigt, wie man jetzt allgemein behauptet. Was will man von ihnen. Sie haben sich daran gewöhnt, dass ihnen alles möglich ist. Schluss mit dem selbstgerechten Schnalzen mit der Zunge. Schluss mit den „Verurteilungen“ und dem Schwindel und dem verspäteten Schock Da gibt es nichts Neues unter der Sonne, was die Siedler betrifft. Es ist keine „neue Ebene“ von Aktivität, und es geht nicht darum, eine „rote Linie“ zu überqueren. Die einzige Linie, die vielleicht überquert wurde, ist die Linie der Apathie.
Seit Jahren berichten wir Woche um Woche über die Untaten der Siedler. Wir haben berichtet, wie sie die Palästinenser bedrohen, ihre Kinder auf dem Weg zur Schule schlagen, wie sie den Abfall auf ihre Mütter werfen, Hunde auf alte Palästinenser jagen, Hirten entführen, Nutztiere stehlen, Tag und Nacht ihnen das Leben zur Hölle machen, Berg und Tal heimsuchen und in Besitz nehmen. Und das hat keine (israelische ) Seele berührt.
Nun auf einmal ist es wie ein Schock. Guten Morgen, Israel. Warum? Was ist geschehen? Man kann diese jungen Leute nicht schelten, nach Jahren nicht nur von Apathie von Seiten ihrer Eltern und deren Untaten, sondern auch wegen der schweigenden Zustimmung von Seiten eines großen Teils der Gesellschaft und der Unterstützung von Seiten der IDF und jeder israelischen Regierung. Man kann über sie nicht als Brüder-Pioniere reden , denen man zuerst ein riesiges Budget zuweist, ihnen verspricht, dass ihnen zugestanden wird, für immer dort zu bleiben, wo sie sind, sie als einen legitimen, um nicht zu sagen prinzipientreuen Teil der Gesellschaft anzusehen und dann ihnen plötzlich den Rücken zuzukehren, sie zu verurteilen und sie anzugreifen. Und all dies wegen eines Steines.
Man kann nicht eines schönen Tages die Regeln plötzlich in dieser Weise verändern. Die Regeln wurden vor langem festgelegt: es ist ihr Land, das Land der Siedler. Sie sind die Herren dort und können dort alles machen. Nur eine verzerrte Doppelmoral erlaubt solch eine Veränderung dank einer kleinen Verletzung bei IDF-Kräften . Nur im Namen einer verzerrten Doppelmoral kann man über die Taten vor kurzem schockiert sein, die keineswegs die schwersten oder grausamsten waren.
Natürlich hat Israel das Recht (und die Pflicht), die Regeln zu verändern, aber solch eine Veränderung müsste revolutionär sein und im ganzen Siedlungsunternehmen ausgeführt werden, es im ganzen zum Stillstand bringen und die illegale, unethische und untolerante Realität, die in unserm Hinterhof existiert, verändern. Die Regierung ist nicht an solch einer Veränderung interessiert. Auch die IDF nicht. Und es ist zweifelhaft, ob die meisten Israelis solch einen Wandel wollen. Aber etwas weniger als dies wäre nur sinnloses Lippenbekenntnis, nichts anderes als eine kleine Welle auf dem Rumpf eines jahrzehntelangen Unternehmens.
Bis das geschieht, lassen wir sie allein. Es hat keinen Zweck, einen Hühnerstall im Mtzpeh Yitzhar-Außenposten zu evakuieren, während die Siedlung von Ephrat an den Rande von Bethlehem herankriecht. Es hat keinen Zweck, gegen die illegalen Außenposten einen Krieg zu führen, während die „legale“ Siedlung von Ofra auf gestohlenem Land gebaut wurde. Und es hat keinen Zweck, einschränkende Order auszugeben, um eine Brut von Aufsässigen draußen zu halten, während Israel nie daran denkt, ähnliche Order gegen alle seine Brüder auszugeben.
Die gewalttätigen Demonstranten bei der Ephraim Brigade sind das Gegenteil von Anarchisten, wie Ministerpräsident Netanjahu sie genannt hat. Sie wollen nur die bestehenden Order erhalten – wie die meisten Israelis, vom Ministerpräsidenten angeführt, tun. Blumen für die Randalierer? Nach reiflicher Überlegung haben sie gar nichts getan.
(dt. Ellen Rohlfs)