Israel Palästina Nahost Konflikt
Infos
Gideon Levy,
4.10.09
Wer
hat denn gesagt, dass die Intellektuellen sich still verhalten? Wer behauptet
denn, dass die Akademiker sich häuslich in einem Elfenbeinturm niederlassen?
Und wer wagt zu denken, dass es Israel an einer moralischen Stimme fehlt? Eines
Tages, wenn Historiker sich die Zeit nehmen, um Israels brutale Offensive im Gazastreifen – unter dem Namen Cast Lead
bekannt - zu untersuchen, werden sie
eine Tabelle aufstellen über die politischen Führer und Offiziere, die für die
begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich sind. Sie werden sich eingehend mit
den Verursachern dieser Nation befassen und sie denunzieren, auch die Augenwischer
und die Apologeten, die die IDF auf
jeden Fall gewinnen lassen, selbst wenn es auf
größtmögliche moralische Kosten geht.
Das
Hauptziel auf ihrer Liste wird Mister Ethik sein, Prof. Asa Kasher,
der Israel-Preis-Gewinner und Philosoph und Autor des IDF-Verhaltenskodex. Kasher beschönigte jede Übertretung dieses Krieges . Er ist der Verantwortliche für den vergifteten
„IDF-Geist“ – wenn es darum ging, die Soldaten zu schützen ….
Dieses
dünne Feigenblatt eines Mannes trägt so viel moralische Verantwortung wie die
politischen Führer, die die Entscheidungen trafen und die Soldaten, die ihre
Befehle ausführten. Er ist der Philosoph, der die Zügel beseitigt hat, der
Intellektuelle, der alles reinwäscht.
Dank ihm und seinesgleichen kann sich Israel so selbstgerecht fühlen. Wenn die
Welt fast unisono „Kriegsverbrechen“ sagte, sagte Kasher:
„wir sind die moralischste Armee der Welt, keiner ist besser als wir.“ Wenn so ein Philosoph der Ethik redet,
brauchen wir dann noch Propagandisten?
Er
war nicht immer so. Das sagt er auf jedem Forum. „Wenn es um die Wahl zwischen einem Nachbarn und einem
IDF-Soldaten geht, dann wird dem Soldaten der Vorzug gegeben. Das Leben unserer
Soldaten ist für mich von viel größerem Interesse, als die Würde und das Wohlbefinden
der Palästinenser.“ Er sagte auch, dass es keine Rechtfertigung gibt, das Leben
unserer Soldaten zu gefährden, um das Töten von Zivilisten, die „neben einem
Terroristennest“ leben, zu verhindern. Aber er hat einmal anders gedacht und
geschrieben.
Als
radikaler Aktivist ist Kasher mitten im ersten Libanonkrieg als einer der Gründer
von Yesh Gvul
(Verweigerungsbewegung der Soldaten)
mutig bei einer Nachrichten-Konferenz mit Nathan Zach, Dan Miron und Yeshayahu Leibowitz erschienen. Kasher, der aus irgendwelchen Gründen Leibowitz
als seinen Förderer und Mentor ansieht, schrieb in einem Brief an Haaretz: „Auf dem Hintergrund der Medienberichte über
Tausende von nichtkämpfenden Libanesen und Palästinensern, denen während
Israels Militäroperationen Leid geschah, und was vom Ministerpräsidenten völlig
gerechtfertigt wurde, ist es die Pflicht eines jeden anständigen Menschen, sich
uneingeschränkt gegen die Meinung des Ministerpräsidenten auszusprechen, durch
dessen Kriegsinitiative unschuldige
Zivilisten sich plötzlich mitten in einem Krieg befinden“.
Was
hat sich seitdem verändert? Kasher hat sich
verändert. Jeder anständige Mensch ist weiter davon überzeugt, dass ein
unnötiges Töten von Zivilisten ein krimineller Akt ist. Der Krieg im
Gazastreifen war nicht weniger grausam als der im Libanon. Universale Ethik ist
heute dieselbe wie damals. Nur Kashers Ethik hat sich radikal verändert. Wenn nur seine
Aussagen nicht so schädlich gewesen wären, könnten wir den verblüffenden
Wechsel seines Standpunktes ignorieren. Doch schon seit Jahren arbeitet er zusammen mit dem
Verteidigungsestablishments und der IDF als ihr Jasager (rubber
stamp), nur weil er sich so sehr gewandelt hatte. Nun
dient er als ihr Rationalisierer.
In
den letzten Tagen ist der UN-Goldstein-Bericht
zur „antisemitische Propaganda“ erklärt worden und die Weißen
Phosphorbomben zur „legitimen Waffe“. Warum? Kasher
hörte von einem IDF-Oberst, dass, als eine Phosphorbombe neben ihn fiel, ihm
nichts geschehen sei. Und was ist mit den 200 Kindern, die getötet wurden? Sie
waren „juristisch im Erwachsenenalter – 15-18 Jahre alt - und sie hätten sich
aktiv am Krieg beteiligt“. Und was ist mit den Töchtern von Dr. Abu al-Aisch?
Er sei für ihren Tod verantwortlich. Das
Bombardieren von Krankenhäusern? Auch dies sei erlaubt. Kasher
weiß, dass Terroristen sich in ihren Kellern versteckt hielten.
Der
IDF-Sprecher hätte es nicht besser sagen können. Die PR-Berater des
Außenministeriums hätten nicht besser lügen können. Das ist es, wie Kasher die Mordanschläge und die daraus folgenden Tötungen
unschuldiger Zivilisten schön gefärbt hat. Er dachte auch, die IDF hätte in Jenin nicht genügend getötet. Die Armee hätte die
Zivilisten vorher warnen sollen, und wer
geblieben ist, dessen Blut komme über seinen Kopf“. In dieser Weise versuchen Generäle ihre kriminellen Aktionen
zu rechtfertigen. Aber ein Intellektueller? Ein Experte von Ethik?
Wie
weit ist die Welt gekommen? Höre Kasher zu und sieh
uns an! Dies ist der Mann, der unsere Moral symbolisiert – und so benehmen wir
uns. Warum sollen wir uns über Verteidigungsminister Ehud Barak beklagen? Warum
sollten wir den Stabschef Gabi Ashkenazi verurteilen?
Was ist so anstößig an einem General, der plante und einem Soldaten, der seinen
Befehl ausführt, wenn über ihnen dieser vergiftete Geist schwebt, der direkt
aus den Hallen des Humanismus, der Philosophie und Ethik kommt und der durch
bloße Worte einen Deckmantel für diesen
furchtbaren Abgrund liefert?
(dt.
Ellen Rohlfs)