Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Sami Michael, Haockets, 28.6.12
Wenn wir nicht zur Vernunft kommen und endlich begreifen, dass Israel nicht im ruhigen Norden Europas liegt, sondern im aufgewühlten Zentrum des geplagten Nahen Ostens, dann erwartet uns eine ernsthafte existentielle Gefahr. Exklusiv Haokets: der ganze Vortrag von Sami Michael bei der internationalen Konferenz der Gesellschaft für israelische Studien an der Uni Haifa.
Teil 1
Ich wurde 1926 in einer Generation geboren, die im Begriff ist zu verschwinden. Nur wenige erinnern sich an den katastrophalen Fall und den Kollaps des zweitgrößten Empire in der Welt. Frankreich, die mächtige Macht, die die Maginotlinie gebaut hatte, die fortschrittlichste Verteidigungslinie der Geschichte, eine mächtige Armee, Luftwaffe und Seeflotte hatte, war im Laufe von drei Wochen vor unsern erschreckten Augen besiegt worden. Das war nicht nur ein Schock: seitdem ist meine Welt schlechter geworden. Begriffe wie Ewigkeit, Selbstverständlichkeit und ein Leben von Dauerhaftigkeit verschwanden aus meinem persönlichen Wörterbuch, doch trotz allem fordern sie eine zentrale Stellung im heiligen Lexikon Israels und sie dienen als virtuelle Maginotlinie.
Die Worte, die ich zu sagen im Begriff bin, mögen hart sein, aber für mich sind sie eine Alarmglocke für die Menschen meines Landes, und deshalb möchte ich sie in der Sprache meiner Kinder und Enkelkinder sagen.
Israel ist der einzige Staat, der nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut wurde, der eine blendende Erfolgsgeschichte während der Morgendämmerung seiner Tage ist. Sie könnte als Modell für Dutzende von Ländern gelten, die aus der kolonialen Unterwerfung auftauchten und ihre Träume noch nicht realisierten . Wie konnte es geschehen, dass dasselbe Israel sich selbst nur ein paar Jahrzehnte später nach außen hin tief in einem ungelösten blutigen Konflikt befindet und nach innen bis zum Punkt der Lähmung geteilt ist? Ich glaube, die Antwort liegt in der Tatsache, dass Israel es nie wagte, drei fundamentale Probleme direkt anzugehen, die es vom Gründungstag an begleitete: Israels Platz in der arabischen Welt, die soziale und rassistische Teilung, der Säkularismus und die Religion.
Die vorherrschende Kultur in Israel hat immer nach Westen geschaut. Aber dieser Westen
hat die Existenz Israels wie die Existenz der anderen Staaten eingeschätzt, nach wirtschaftlichem Nutzen und strategischem Wert. Die westlichen Siedler in Algerien, Zimbabwe und Südafrika hatten eine längere Geschichte als die zionistische Siedlung in Israel. Die Festung der Weißen in SA entwickelte sich in eine eindrucksvolle Macht, aber als sich die internationalen Prioritäten änderten, stellte sich heraus, dass der Westen, der sie unterstützte, nur eine vorübergehende, verräterische und täuschende Illusion war.
Der Staat Israel ist tatsächlich ein Produkt des traditionellen jüdischen Lobbying. Als die Väter des Zionismus in Europa die Sympathie für die Idee, einen jüdischen Staat zu schaffen, mobilisierten, behaupteten sie, dass die Entität, die geschaffen werden würde, die europäische Kultur in den zurückgebliebenen Nahen Osten bringen würde. Dies ging ins israelische Bewusstsein über, und bis zum heutigen Tag ist Europa das spirituelle Mekka für einen großen Teil der israelischen Intelligenz und besonders für mehrere Schriftsteller, die die öffentliche Meinung sehr bestimmen. In meinen Augen ist dies einer der tiefsten internen Konflikte in der zionistischen Idee. Die zionistische Idee wuchs auf dem Hintergrund des Antisemitismus’ in Europa selbst, aber trotz diesem, dienten die Väter des Zionismus freiwillig den Agenten jener Kultur im Nahen Osten, die den Hass gegen Juden nährten.
Es stellte sich heraus, dass die Befürworter dieser Annäherung zu Generationen von Antisemiten gehörten, der Vertreibung aus Spanien und den Brutalitäten von Nazi-Deutschland, als ob alles auf einem anderen Planeten stattgefunden hätte, in einer imaginären Ära. Als Folge der anhaltenden eigenen Gehirnwäsche ragte Europa im Bewusstsein vieler Israelis als kultureller Leuchtturm und als Quelle von Inspiration einer zivilisierten Gesellschaft. Mit Stolz wurden wir von uns selbst und unsern Sympathisanten in Europa als fester Brückenkopf der europäischen Kultur in einer zurückgebliebenen und feindseligen Welt porträtiert. Die Väter des Zionismus erkannten – aus historischer Ignoranz – die Schrecken der europäischen Besatzung der arabischen Welt vom persischen Golf bis zum Atlantik. Ich denke nicht, dass unsere Unterwürfigkeit gegenüber der europäischen Kultur uns die Sympathie Europas schenkte, doch gewannen wir eindeutig einen tiefen Hass der arabischen Welt – als Agenten eines gefährlichen Feindes und als Fortsetzer jener feindseligen Besatzung. Die arabischen Völker bezahlten einen hohen Preis, um die europäische Besatzung loszuwerden. Ihr Kampf kostete viele Opfer, aber sie erhielten eine formelle Unabhängigkeit. Deshalb konnten sie die vergangenen Verbrechen der europäischen Besatzung vergeben; aber solange Israel existiert, können sie ihren endgültigen Sieg über die europäische Besatzung nicht erklären. Vom ersten Tag an hat Israel bewiesen, wie wohlbegründet und logisch der arabische Verdacht uns gegenüber gewesen war: von Israels Identifizierung mit den Verbrechen der Franzosen in Algerien in den 50er-Jahren, bis zu Israels Teilnahme zusammen mit den Armeen Großbritanniens und Frankreichs beim Angriff auf Ägypten, das gerade den Suez-Kanal nationalisierte, bis zu unserem aktiven Enthusiasmus während der Besatzung des Irak, ganz zu schweigen von der direkten Besetzung und Kolonisierung der Westbank und des Gazastreifens. Israel, eine winzige Insel, ist zum Schandmal auf der Stirn der stolzen arabischen Völker geworden. Sie besiegten jede ausländische Macht, die in der Region Fuß fassen wollte; so haben sie die Mongolen, die Kreuzfahrer und die europäische Besatzung besiegt.
Der historische Hintergrund der Region und Israels augenblicklicher Stand als abgelegene Insel macht mir Sorgen und macht mich pessimistisch. Ich will mich mit den brennendsten Problemen befassen, die mir den Schlaf rauben.
Rassismus und tiefe soziale Klüfte sind ernste Probleme, die Israel von Anfang an bis jetzt begleitet haben. Die Vision des Staates wuchs in Österreich und zwar in einem säkularen Mann, Theodor Herzl. Als Journalist kam er mit verschiedenen Kulturen in Kontakt. Diejenigen, die seine Vision realisierten, waren - anders als er – sehr beeinflusst von der Mentalität des jüdischen Ghettos in Osteuropa. Die Juden dort schlossen sich zum größten Teil selbst ab und litten unter Unterdrückung, Isolierung und Pogromen. Vielleicht wurden aus diesem Grund Juden von ihren Nachbarn und von denen, die anders waren als sie selbst als eine Quelle der Gefahr angesehen. Während die Juden in arabischen und islamischen Ländern arabisch sprachen, war die Sprache der Juden in Osteuropa vollkommen anders als die Sprache ihrer Umgebung, in der sie lebten. Jiddisch war das Mittel zur Verständigung zwischen den verschiedenen Diasporagemeinden in Osteuropa. Außerdem wussten die Juden nicht viel über den arabischen Osten und die arabischen Juden. Aber die Juden der arabischen Länder waren offen für die arabische Kultur seit den Tagen ihres Ruhmes als auch in den dunkleren Zeiten, von der blühenden Zeit in Andalusien und dem großartigen Abbasidenreich bis in die dunkle Zeit der ottomanischen Besatzung. Es gab keinen Kontakt zwischen den Juden im Ghetto und denen in der arabischen Welt. In den Augen der Ghettobewohner sprachen die Juden Jiddisch. Die arabischen Juden, die ihre Bewegungsfreiheit ausnützten, erfuhren, dass es in der ganzen Welt Juden gab, die aber anders als sie waren, was die Sprache und die Kultur betrafen. Noch immer wissen sie nichts über die sich selbst eingeschlossenen Juden des Ghetto.
Das Zusammentreffen der Juden aus arabischen Ländern und jenen aus Ost-Europa geschah in Israel; es war traumatisch und voller Verdacht. Die osteuropäischen Juden hatten schon früher in Israel gesiedelt und hatten so ihren spirituellen, kulturellen und politischen Stempel dem neuen Staat aufgedrückt, obwohl ihre Anzahl bei der Gründung des Staates klein war. Ich kam 1949 nach Israel und die Nummer auf meinem Ausweis war 433440, was besagt, dass weniger als eine halbe Million zu jener Zeit in Israel lebte. Man erwartete nach dem Holocaust und nach der Geburt des Staates, dass Israel mit massiven Immigrationswellen überflutete würde, vor allem jene Juden, die unter den schrecklichen Verbrechen Europas gelitten haben.
Die Enttäuschung innerhalb der Yishuf-Veteranen war bitter; denn die Juden Europas klopften nicht an die Tore des jüdischen Staates. Unterdessen schwappte 1948 eine Welle harter Unterdrückung der lokalen Juden über die arabischen Länder als Rache für die Besiegung ihrer Armeen. Bis dahin hatten sich die Juden einer eindrucksvollen und fruchtbaren Präsenz in der arabischen Welt erfreut. Der Vorteil ihrer Kontakte mit der Außenwelt bereicherte ihre arabische Heimat auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Sie lebten konzentriert in den großen Städten und so hatten sie wesentlichen Einfluss auf diese Länder, die vor allem landwirtschaftlich geprägt waren. Z. B. waren mehr als 20% der Einwohner Bagdads Juden. Das ist ein seltenes Vorkommen in der ganzen Welt. Aber nach der Ausrufung des Staates Israel war die jüdische Existenz im Irak wie in andern Ländern unmöglich (Dass der Mossad in den 1950/ 51 im Irak und in Marokko bei der Auswanderung mit raffinierten Mittel nachhalf, scheint S. Michael entgangen zu sein. vgl. Erich Frieds Gedicht „Die Hand“ ER)
Eine große Mehrheit der Juden strömten als Flüchtlinge aus den arabischen Ländern in den neuen Staat. In den Augen der Yishuf-Veteranen waren diese Juden nicht anders als die besiegten arabischen Feinde. Sie sprachen deren Sprache, sie hatten deren Sitten angenommen, ihre Haut war dunkler und sie gaben ihren Kindern sogar arabische Namen.
In den Augen der Yishuf-Veteranen waren sie primitiv und minderwertig, in vielem dem Feind ähnlich, den sie auf dem Schlachtfeld besiegt hatten. Der Schock war groß. Ein Führer der Yishuv-Veteranen drückte sein Gefühl der Frustration so aus: Der Staat war von einem Volk geschaffen und ein anderes Volk kam nun, es zu besiedeln.
Bis zum heutigen Tag, also länger als 60 Jahre nach der Errichtung des Staates Israel hat sich diese Kluft noch nicht geschlossen. Geistig zeigt sich dies in einer Art Rassismus und sozial drückt sich dies in einer Kluft zwischen Klassen aus. Wie seltsam, zwei Ströme, die sich in ihrer Orientierung ad nauseam ( bis zum Überdruss) einander bekämpfen, um diese Kluft sich nicht schließen zu lassen. Die Salon-Linke – und in Israel sollte darauf hingewiesen werden, dass die Linke nie den Salon verließ – wich den orientalischen Juden (Misrachim) aus, als seien sie fehlerhaftes „Rohmaterial“ oder im kommunistischen Jargon der Zeit „Lumpenproletariat“. Das war trotz der Tatsache, dass Immigranten aus Ägypten, dem Libanon und Bulgarien und besonders aus dem Irak mit einer eindrucksvollen kommunistischen Vorgeschichte aus ihrem Ursprungsland kamen. Das kommunistische Establishment in Israel behandelte alle diese Immigranten mit offenkundiger Arroganz. Zu Beginn der 50er Jahre gab es Transitlager für die neuen Immigranten, von denen 20% für die Kommunistische Partei bei den Knessetwahlen stimmten. Keiner von ihnen bekam eine würdige Position innerhalb der Partei. Das Zentralkomitee der kommunistischen Partei war und blieb bis heute „reiner“ von Misrahim-Juden als jede andere Institution im Land.
Verdacht und Arroganz gegenüber den Misrahim-Gemeinden stellt ein massives und unergründliches Hindernis innerhalb der Ränge der Kommunistischen Partei dar.
Der Rassismus dringt bis in viele Bereiche hinein, während die soziale Kluft schändlich größer wird. Bis zum heutigen Tage sind wir Zeugen, wie Juden aus arabischen Ländern in der Mehrheit bedeutender Institutionen des Staates unterrepräsentiert sind, besonders in akademischen und kulturellen Institutionen. Die israelische Linke nahm diese Methode an und führte seine rassistische Methode weiter bis zum Selbstmord und seiner Umwandlung in einen marginalen Elite- Kult in der israelischen Gesellschaft.
Der andere Stützpunkt für Rassismus liegt in einem überraschenden Sektor der jüdischen Bevölkerung in Israel. Während die Linke ihre Politik verdeckt durchführt und mit Taktiken der Leugnung arbeitet, war der Asckenazim-Haredim-Block mit seinem Rassismus lautstark und scharf. In den Augen der Haredim stellen die Misrahim-Juden eine existentielle Gefahr dar. Der religiöse Glauben des Misrahi-Judentums war nicht extrem. Er hat sich mitten in der arabisch islamischen Welt zu einer pragmatischen Religion entwickelt. Er entwickelte ein umfangreiches Netzwerk kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen mit islamisch politischen Einrichtungen. Der grausame Wettbewerb zwischen den kontrollierenden Rabbinern und zwischen konkurrierenden extremistischen Sekten gab es im Osten überhaupt nicht.
Im Irak, in Syrien, Libanon und Ägypten baute die jüdisch religiöse Gemeinde mit Toleranz Kontakte zu den Strömungen auf, die nach Wandel und Fortschritt innerhalb der jüdischen Gemeinde aufriefen. Außerdem stagnierte das Establishment nicht, und auf eigene Initiative überlieferte sie halachische Regeln, die für die Zeit, den Ort und neue Bedingungen passend waren. Die Ashkenazi-Haredim sahen diese Methode als existentielle Gefahr und deshalb hielten sie das pragmatische Misrahi-Judentum für ungültig und unrein…..
Vor zwei Jahren war ich gezwungen, in Tel Aviv eine Ein-Mann-Demo gegen Anzeichen von Rassismus der Haredim in einer Schule in Immanuel anzumelden. Dort war ein Trennungszaun im Schulhof errichtet worden, um den Kontakt zwischen „reinen“ Ashkenazi-Mädchen und den „unreinen“ Misrahi-Mädchen zu verhindern. In derselben Schule wurde auch eine Schuluniform getragen, aber die Farbe der Uniform der Ashkenazi-Mädchen war anders als die der Mizrahi-Mädchen.
Während die Nazis in Deutschland an der Macht waren, sah ich folgende Graffiti an Wänden auf meinem Schulweg in Bagdad: „Juden gehören einer minderwertigen Rasse an“ und „Hitler zerstört diese Bakterien“. Diese Slogans waren direkt von Berlin nach Bagdad gekommen. Jene Worte treffen mich zu tiefst noch heute nach 70 Jahren . Nach der rassistischen Haredi-Doktrin hier in Israel sind meine Kinder und Enkelkinder, die eine Mischung von irakisch-russisch-französisch-polnisch-holländischem Blut haben, gezwungen, hinter dem Zaun zu bleiben, zusammen mit hundert Tausenden anderer Kinder. Ich widmete meine Jugend dem Krieg gegen die Einflüsse des europäischen Rassismus und besonders des Rassismus auf Grund von Religion, Hautfarbe oder Ursprung. Ein Drittel meines Volkes kam deswegen um. Im fernen Bagdad zahlten meine Freunde – Juden und Nicht-Juden – mit ihrem Leben für den Kampf gegen diesen verfluchten Rassismus.
Wie brachten wir den Schädling von Rassismus in unsere Häuser? Wie entsetzlich ist es zu realisieren, dass ein Volk, das im letzten Jahrhundert einen so hohen Blutpreis gezahlt hat, weil Zäune um es gebaut wurden, nun den Bau eines abscheulichen Zaunes in seiner Heimat genehmigt. Wir wissen sehr genau, wann und wo solch eine Scheußlichkeit geschieht. Wir erinnern uns sehr gut, an den Preis, den unser Volk für Zäune zahlte und für die Trennung wegen der Hautfarbe. In meinen Augen ist es ein Frevel, dass dies in einer jüdischen Schule geschieht, die behauptet, die heilige Lehre zu vermitteln. Wenn jemand in einem andern Land solch einen ekelhaften Zaun bauen würde, würden wir Juden Zeter und Mordio schreien. Und hier in Israel schauen die Linken schweigend weg. Das herrschende Establishment hebt keinen Finger; der Oberste Gerichtshof bestimmt, dass der Zaun weg soll, aber die Erbauer des Zaunes erklären ohne zu zögern, dass sie weitermachen würden, selbst wenn sie ins Gefängnis kämen.
Jetzt mit dem Kollaps der falschen Linken in Israel und dem Hochkommen der Rechten im allgemeinen - und besonders der Haredi-Rechten - ist die rassistische Teilung schon fast zu einer allgemein anerkannten Tatsache geworden. Der Rassismus ist mit dem Anwachsen der politischen Macht auf der religiösen Rechten in der israelischen Gesellschaft eingebürgert worden. Rassismus hat viele Objekte: Juden aus arabischen und muslimischen Ländern, Einwanderer aus Äthiopien und Russland, arabische Bürger aus Israel, die Palästinenser in den besetzten Gebieten, Flüchtlinge und ausländische Arbeiter, Homosexuelle – und so weiter ..
Da das Level des Rassismus weiter steigt, ermutigen Mitglieder der Knesset und der Regierung seine Einbürgerung durch öffentliche unannehmbare Statements und durch die Verabschiedung drakonischer Gesetze gegen die Demokratie, gegen jene, die anders sind und ausländisch und gegen Menschenrechtsorganisationen. Auf jeden Fall kann sich Israel einer zweifelhaften Ehre rühmen: es ist der rassistischste Staat in der entwickelten Welt.
( 2.Teil)
Wenn ein Individuum oder
ein Staat einen religiösen Text als geistlichen Führer nimmt und als Dokument,
das Eigentumsrechte überträgt, der kann es nicht lange säkular bleiben. Mit der
Zunahme der Wahlstärke der Haredi-Juden, Ashkenazim und Misrahim, ist die
sozio-politische Situation sehr
kompliziert geworden. Die Macht der Haredim und die der Siedler, kam
ursprünglich aus dem Treibhaus des säkularen Zionismus. Ben Gurion erklärte die
religiösen Parteien für rechtsgültig, während er zwanghaft das jüdische
Bewusstsein predigte. Die Bibel wurde wie ein Vorbereitungskurs selbst für
Lehrer der Literatur. Während der Jahre wurde von Wahl zu Wahl
die Haredisierung des Likud immer stärker, und er war bereit, einen immer
höher werdenden Preis zu zahlen, um an die Macht zu kommen. Die Haredim konnten
der großen Versuchung nicht widerstehen und streckten ihre Hände aus, um einen
Teil des (Regierungs)Kuchens abzubekommen, ohne die säkularen Institutionen des
Staates, wie Gerichtshöfe,
Armee und allgemein die demokratischen Werte zu respektieren.
Israel wurde deshalb ein
internationaler Pionier für die Ermutigung
religiöser Fraktionen, um im Rahmen politischer Parteien zu handeln. Und
dadurch zerstörte es beides: die Religion und das normale demokratisch
politische Leben.
Der religiöse Block ist
dabei, Macht und Einfluss zu vermehren – nicht mit ideologischer Vitalität und
Originalität, sondern mit korrumpierender politischer Bestechung, die er erhält,
da er Teil einer zweifelhaften Koalition ist. Dies hilft der arroganten Linken
sich immer mehr vom Volk zu entfernen.
Der Rückgang der Sicherheitssituation zusammen mit der Erschütterung des
unmöglichen Traumes, Frieden zu erhalten, während man die Besatzung aufrecht
erhält, bringt immer mehr
(Israelis) zu der Überzeugung, dass nur ein Wunder oder himmlische Gunst uns vor
einer Katastrophe retten kann. Wir müssen daran erinnern, dass Israel trotz
seiner Macht in den letzten 45 Jahren keinen entscheidenden Sieg auf dem
Schlachtfeld errungen hat, nicht einmal gegen einfache Milizionäre. Nach jeder
Konfrontation wurde eine Untersuchungskommission berufen, um herauszubekommen,
wo der Fehler lag. Wenn der Panzer und das Kampfflugzeug keine Antwort geben,
dann blühen messianische Tendenzen.
Außerdem ist der
nationalistische Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt immer mehr zu
einem religiösen Konflikt zwischen dem Judentum und dem Islam geworden. Wir
leben während der ruhmreichen Tage der jüdischen Halacha und der islamischen
Sharia.
Jahr um Jahr brechen die
Festungen der Demokratie unter dem ständigen Druck religiösen Nationalismus’ vor
unsern Augen zusammen. Vor Jahren schrieb Salman Rushdie, dass zwei
theokratische Staaten in der Welt bestehen, der Iran und Israel. Unterdessen ist
diese Liste nach dem enttäuschenden arabischen „Frühling“ gewachsen, der voller
Hoffnung für die säkulare Jugend war und sich dann gegen sie gerichtet hat. In
seinem Buch: „Die satanischen Verse“ schreibt Rushdie: „da stimmte mit dem
geistigen Leben des Planeten etwas nicht … zu viele Dämonen in den Leuten
behaupten, an Gott zu glauben.“
Mein Freund A.B. Yehoshua
behauptet, dass ein Jude nur in Israel normal leben könne. Und ich glaube, dass
der säkulare Visionär des Staates
(Theodor Herzl) sich beim Anblick
des heutigen Staates in seinem Grab umdrehen würde; denn der Staat überlässt
sein Schicksal freiwillig anormalen Dämonen. Bibi Netanjahu wurde auf den
Flügeln des Haredim-Slogans auf den
Thron der Macht getragen: Netanjahu ist gut für die Juden – und meinte die
Haredim dh. die Zerstörung der säkularen Demokratie und die Errichtung eines
zerstörenden Halacha-Staates. Der
triumphale Marsch des religiösen Nationalismus ist eindrucksvoll und
erschreckend.
Tausende von jungen Leuten
mit höherer Bildung fliehen jedes Jahr aus Israel und ziehen vor, ein
nach A.B. Yehoshuas Definition
anormales Leben in andern Ländern zu führen, die weit weg, aber normaler
sind. Ich beneide sie. Aber ich bin zu alt, um noch einmal dem Test
des Traumas eines Emigranten zu trotzen. Ich ziehe vor, ein Immigrant in
meinem Land zu sein.
Die Besatzung ist die
Verkörperung der Katastrophe für Israel. Groß-Israel, die Begeisterung zu
erobern, zu herrschen und inmitten einer dichten palästinensischen Bevölkerung
zu kolonisieren, diese ausholende Welle wurde inmitten des Zionismus’ gefördert,
der sich selbst als zivilisiert, säkular und sozialistisch betrachtet. Der
Ausdruck Groß-Israel wurde nicht im Likud oder in den Jeshivas des
national-religiösen Judentums geprägt, sondern im Kibbutz Ein-Harod von
Dichtern, Schriftstellern und Intellektuellen, fast alle aus dem moderaten
säkularen Strom. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist der
Hauptfaktor, der das Image Israels aus verschiedenen Perspektiven bildet:
politisch, kulturell und wirtschaftlich. Mit den Jahren radikalisierten
die Linke und die Rechte ihre Positionen, bis sie zwei gegensätzliche
Wahnvorstellungen hatten, deren Verbindung zur Realität sehr vage sind. die
Linken schufen das Image der Araber als unschuldige Engel, die die Opfer der
brutalen israelischen Aggressoren sind. Die Rechte sprach von einem brennenden
Hass der Araber, als ob sie Monster ohne Hemmungen
wären. Es ist ja bekannt, dass in einem langen Konflikt beide Seiten
brutal werden.
Ein führender
Schriftsteller/Dichter sagte: Ehud Barak ist unbrauchbar. Er sollte seine Panzer
auf ihren Weg schicken und sie mit
den Maschinengewehren niedermähen. Dieser Dichter ist ein Mitglied des moderaten
Lagers, das angeblich eine friedliche Lösung sucht. Er weiß wahrscheinlich, dass
unsere Maschinengewehre schon Milliarden Kugeln aller Typen in den letzten
Jahrzehnten abgefeuert haben –
vergeblich. Dreimal machten wir den Sinai zu einem Friedhof für ägyptische
Soldaten. Wir schleiften Beirut bis zu seinen Grundmauern und besetzten es. Wir
vernichteten die jordanische Armee. Wir warfen in den letzten 45 Jahren fast die
ganze palästinensische kämpfende Intelligenz in israelische Gefängnisse. Für
jeden getöteten Juden der letzten drei Generationen mussten zehn Palästinenser
ihr Leben lassen.
Unsere Munition war 1973
von all dem Töten ägyptischer Soldaten fast zu Ende und ohne
amerikanische Luftbrücke, hätten wir mit leeren Gewehrläufen umkehren müssen.
Ein junger Mann, der in einem Flüchtlingslager in elender Armut lebt, ist
bereit, einen heldenhaften Tod zu sterben. Er hat nichts zu verlieren. Wie viele
unserer Kinder wären bereit, Selbstmord zu begehen und einen heldenhaften Tod zu
sterben?
Mehr als nur ein paar Leute
in und außerhalb Israels verurteilen die schockierenden Erklärungen des
Außenministers Avigdor Lieberman. Aber Lieberman hat Recht, wenn er behauptet,
dass er nur laut sagt, was andere denken. Lassen wir uns nicht täuschen, die
Kultur in Israel ist seit langem vergiftet – nicht weniger als der
extremistische Strom innerhalb des Islam. Vom Kindergarten bis ins
hohe Alter nähren wir die Seelen unserer Kinder mit jeder Menge Hass,
Verdacht und Abscheu gegenüber Fremden und
besonders gegen Araber. Die Stimme einer geistig gesunden Kultur
schwindet dahin. Die Autoren des faschistischen
Buches, das den Mord an Arabern predigt, Torah ha-Melech (Des
Königs Torah) entkamen einer Anklage wegen Aufstachelung zu Rassismus und
Gewalt. Weinstein, der Staatsanwalt, schloss den Fall gegen sie und erlaubte den
Verkauf des abstoßenden Buches sogar während des Prozesses. Im heutigen Israel
schwellen die Knospen des geistigen und kulturellen Faschismus. Ein lautstarker
Autor, der sich in den Dienst des Establishments hat anwerben lassen, verlangt,
dass nur Bücher, die den zionistischen Ethos voranbringen für Literaturklassen
ausgewählt werden sollen. Ein Scherz des Schicksals: ein amüsantes Phänomen
geschieht sogar jetzt, wo wir auf den Abgrund zurasen. In Rekhasim, einer
Gemeinde in der Nähe Haifas, gab
der Chef eines religiösen Rates der öffentlichen Bibliothek die Order, alle
säkularen Bücher in einen
verschlossenen Raum zu packen, der auch nicht für neugierige Leser zugänglich
ist, außer durch vorherige Absprache und für eine begrenzte Zeit.
Die Verse des Poeten, der ein Maschinengewehr wünscht, um Araber
umzubringen, sind in diesem intellektuellen Gefängnis eingesperrt. Und die
Bücher des Establishmentautors sammeln auch Staub auf sich. Auch meine Bücher.
Ich definiere mich noch
immer als israelischer Patriot,
aber eines niedergehenden Israels, das seinen Rücken den Werten des Humanismus
und den Menschenrechten zukehrt, kann für
mich nicht eine geistige Heimat sein.
Fast zwei Drittel des
Gebietes von Israel ist Wüste, wo traditionelle Landwirtschaft unmöglich ist.
Der Staat ist auch arm an Naturschätzen. Trotzdem ist es einer der
wenigen Staaten, die nach dem 2. Weltkrieg gegründet wurden, der
inzwischen den Status eines prosperierenden Staates angenommen hat. Dank dem
Fleiß seiner Bewohner und ihrer Genialität haben sich raffinierte
Landwirtschaft, High-technik und ausgezeichnete Medizin in ihm entwickelt.
Israel hat sich den führenden Staaten in mehr als nur ein paar Gebieten
angeschlossen. Nicht umsonst hat es mehrere Nobelpreise auf
verschiedenen Gebieten erhalten. Trotz all dieser Leistungen stecken wir
in einer düsteren Zeit. Im Laufe
der Geschichte hat es nicht immer dramatische Ereignisse gegeben, wie totale
Niederlage im Krieg oder eine kolossale Naturkatastrophe, die
über die Auslöschung der einen oder anderen Kultur entschied. Banale
Faktoren haben den Untergang und Tod ganzer Entitäten gebracht: wie das alte
Griechenland, die alte ägyptische Zivilisation, das römische Reich, das
Ottomanische Reich, das weiße Regime in Südafrika und die französischen Kolonien
in Algerien. Nur jene, denen es an Phantasie fehlt und an der Fähigkeit zu
tieferem Nachdenken werfen mit
Ausdrücken wie „Ewigkeit“, „für immer“ und „generationenlang“ um sich.
Ich bin davon überzeugt,
dass auch die jüdische Religion
sich in einem Zustand tiefer ideologischer und geistlicher Krise befindet, nach
der Zerstörung aller Ideologien.
Spirituell hat die Religion einen Tiefpunkt erreicht: Götzenverehrung und
grauenhaften Extremismus. Die religiöse Führung scheint Hunderte von Jahren
rückwärts in eine Welt des Aberglaubens und erschreckender Ignoranz zu gehen.
Die Religion, die weiß, wie man mit der Entwicklung des Lebens dank so
leuchtender Gestalten wie Rambam (Maimonides) umgeht, schreit heute nach einer
Führung, die eine fundamentale Reform unternimmt. In derselben Krise steckt auch
die politische Führung. Opportunistische Knirpse kommen an die Spitze. Es tut
einem das Herz weh, wenn man sieht, wie die Menschen diese und dazu eine
korrupte und verlogene Führung angenommen hat, die
für aufgeklärte Führer wie Gestalten wie Abba Eban und Moshe Sharett den
Weg versperren.
Israel steht einer ernsten
existenziellen Gefahr gegenüber, wenn die bestehende Führung nicht vernünftig
wird, um zu begreifen, dass Israel nicht im ruhigen Norden Europas liegt,
sondern im aufgewühlten Zentrum des gequälten Nahen Ostens. Für uns gibt es
lange Zeit keinen Platz im Nahen Osten, nachdem wir uns in ihm so abscheulich
benommen haben, und nachdem wir Tag und Nacht betont haben, dass er uns so
verhasst ist. So verhasst. Falls wir keine andere Lösung finden, außer
mit Maschinengewehr und
Panzer, und falls wir uns selbst mit diesen einem barfüßigen Jungen
gegenüber, der einen Stein in der Hand hat, hilflos fühlen, dann könnten wir
alles verlieren. Es könnte sich herausstellen, dass der Staat Israel ein
vorübergehendes Phänomen ist, wie das Reich des Ersten und Zweiten Tempels.
Es ist eine schreckliche
Tragödie, weil sich auch unsere Nachbarn
in derselben schlimmen Situation befinden – sie haben keinen Gandhi und
wir haben nicht einmal einen Mini-Roosevelt.
(dt. Ellen Rohlfs)