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KOMMENTAR VON IRIS HEFETS
Wer als Laie die deutschen Medien konsumiert, um
mehr über den Nahostkonflikt zu erfahren, könnte den Eindruck gewinnen, Israel
sei ein Land, in dem überwiegend Überlebende des Holocausts leben sowie junge,
mit einer Uzi bewaffnete Soldatinnen, die in ihrer
Tasche ein Buch von Amos Oz tragen und in Orangenhainen nach
"Arabern" suchen. Wer schon einmal in Israel und Palästina war, der
weiß, wie weit dieses Bild von der Realität entfernt ist. Der Kibbuz ist schon
lange tot, die Orangenhaine wurden entwurzelt, und anstelle der Uzi sind modernere und leichtere Waffen getreten. Und Amos
Oz spricht sich auf Hebräisch für den Krieg aus, und wird in Deutschland als
"Friedensaktivist" mit Preisen bedacht.
Iris Hefets, 43, hat
Israel vor sechs Jahren aus politischen Gründen verlassen und lebt in Berlin.
Sie ist Mitglied der "Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden"
und arbeitet für das hebräische Internetportal www.kedma.co.il.
Dass manche Leser, die es besser wissen, hinter
diesem Zerrbild von Israel, das die meisten deutschen Medien zeichnen,
"jüdische Propaganda" am Werk sieht, kann nicht überraschen: Immerhin
leben wir in einer Gesellschaft, die ihre antisemitischen Ressentiments nur
verdrängt, nicht überwunden hat. Der Zentralrat der Juden in Deutschland spielt
diesem Irrglauben noch in die Hände. Während des Gaza-Angriffs betätigte er
sich, wie schon im Libanonkrieg 2006, als Pressesprecher der israelischen
Regierung: mit Aufrufen, an Solidarität-mit-Israel-Demos teilzunehmen, bis hin
zu Zeitungsanzeigen. Andere schickten Mails mit Anti-Hamas-Filmen herum. Dass
die israelische Botschaft so etwas betreibt, ist verständlich: Dafür werden
ihre Mitarbeiter bezahlt. Dass eine Jüdische Gemeinde dabei mitmacht, liegt
jenseits ihrer selbsterklärten Aufgaben.
Die traurige Wahrheit ist, dass es kaum noch Juden
in Deutschland gibt. Zwar wird jede neue oder renovierte Synagoge gefeiert, als
ob tausende der ermordeten deutschen Juden Deutschlands wiederauferstanden
seien. Aber häufig versammeln sich dort zum Gebet nicht einmal jene zehn
Männer, die dafür dem Gebot nach nötig wären. Die meisten der rund
hunderttausend Juden, die heute hierzulande leben, stammen aus der ehemaligen
Sowjetunion. Viele kamen, weil sie sich hier gegen den Nachweis einer jüdischen
Oma ein besseres Leben erhofften.
Das Programm der "Jüdischen Kulturtage",
die die Jüdische Gemeinde in Berlin jedes Jahr veranstaltet, spiegelt diese
Realität: Auf einen Holocaustüberlebenden, der seine Geschichte erzählt, und
eine Musikgruppe, die Mendelssohn spielt, kommen zehn Tanz-, Theater- und
Musikaufführungen aus Israel. So sieht die deutsch-jüdische Gegenwart heute
aus: Die deutschen Juden geben das Geld, die Israelis liefern den Inhalt. Und
dieser Inhalt ist nationalistisch gefärbt.
Die jüdische Gemeinde in Deutschland hat eine große
Tradition. Doch selbst Ignaz Bubis, der sich als Deutscher verstand, wünschte,
in Israel begraben zu werden. Auch Michel Friedman bezeichnet Israel als seine
"geistige Heimat", wobei Deutschland seine körperliche Heimat zu sein
scheint. Auch damit verkörpert er die innere Spaltung, die viele deutsche Juden
empfinden.
Es ist traurig, dass der deutsche Zentralrat der
Juden heute ein Judentum predigt, dass so sehr dem nationalistischen Judentum
gleicht, das in Israel propagiert wird. Dieses nationale Judentum ist an die
Stelle eines geistigen Judentums getreten. In den Synagogen sprechen die
Prediger ihre Gemeinde mit "wir" an, wobei dieses "wir" für
"israelische und deutsche Juden" steht. Kürzlich meinte ein Sprecher
einer Berliner Synagoge am Ende eines Freitagsgebets, er sei froh, der Gemeinde
mitteilen zu können, Israel habe sich nicht zur Kapitulation entschlossen und
die UNO-Resolution zum Waffenstillstand abgelehnt. Was wäre wohl passiert, wenn
ein Prediger in einer Moschee das über die Hamas gesagt hätte?
In den jüdischen Schulen, die mit israelischen
Fahnen und den Porträts israelischer Staatspräsidenten dekoriert sind, werden
die zionistischen Gedenk- und Feiertage gefeiert. Und jeden Freitag wird dort
Geld für Organisationen gesammelt, die palästinensisches Land enteignen. Dabei
können die Juden, die hier leben, eigentlich gar keine Zionisten sein, weil
Zionist per Definition nur der ist, der Israel zu seiner leiblichen Heimat
macht - und zwar zu Lebzeiten.
Auch wenn viele deutsche Juden das anders sehen
dürften: Die meisten Medien in Deutschland verbreiten im Nahost-Konflikt die
israelische Position. Andere Stimmen dagegen werden in den deutschen Medien
ignoriert. Eine Gesprächsrunde zu Gaza mit Daniel Barenboim und Sumaya Farhat-Naser bei Anne Will wurde abgesagt. Ein
TV-Interview, das zwei Mitglieder der "Jüdischen Stimme für einen
gerechten Frieden in Nahost" dem RBB gaben, wurde nie gesendet. Die Liste
ließe sich verlängern.
Dabei wäre es doch ratsam, die Vielfalt jüdischer
Ansichten zu reflektieren, wenn man sich wirksam gegen Antisemitismus einsetzen
will. Die Meinungsunterschiede unter Juden zu ignorieren trägt nur dazu bei,
vorhandene Stereotype zu verfestigen - als ob es "den Juden"
überhaupt gäbe. Sollte die Angst bestehen, durch die Eröffnung einer freien
Debatte antisemitische Geister zu wecken, so wäre es doch besser, ihnen direkt
in die Augen zu sehen und sich mit ihnen zu konfrontieren.
Wenn Juden überhaupt Einfluss auf die deutsche
Öffentlichkeit haben, dann solche, die von deutschen Medien ausgewählt wurden.
Von einem solchen Einfluss wird man erst dann sprechen können, wenn der
Zentralrat der Juden in Deutschland einmal Interessen vertreten sollte, die im
Widerspruch zu denen deutscher Politiker stehen. Bis dahin ist für Juden in
Deutschland Skepsis angebracht - auch wenn viele von ihnen glauben wollen, dass
mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wunderbare Freundschaft mit der
deutschen Mehrheitsgesellschaft begonnen habe.
Das Massaker, das israelische Soldaten in Gaza
verübt haben, wurde von fast allen jüdischen Israelis beklatscht; die meisten
Juden in Deutschland haben eingestimmt. Dabei leitet es nur eine weitere Runde
blutiger Jahre im Nahen Osten ein. Kein Jude hat Grund, sich zu freuen, wenn Israel
vor den Augen der Weltöffentlichkeit Harakiri begeht (während EU und USA ihre
Augen verschließen). Viele Juden betrachten Israel als eine Art
Lebensversicherung, sollten sie wieder mit antisemitischen Ausbrüchen
konfrontiert werden (und da sage man noch, sie seien gute Geschäftsleute …).
Wer
sich als wahrer Freund Israels versteht, der sollte einen Blick auf die langen
Schlangen vor den europäische Konsulaten in Tel Aviv werfen und die steigende
Zahl jüdischer Israelis, die das Land verlassen. Und er sollte mehr auf die
inneren Probleme des Landes achten, in dem alle zwei Jahren gewählt wird und
die politische Klasse ständig in Affären (von Korruption bis Vergewaltigung)
verwickelt ist. Der nächste Angriff ist da schon programmiert.
Die Wiedergeburt des europäischen Judentums in einem militanten Zionismus zu suchen, dieser Weg ist zum Scheitern verurteilt. Es ist Zeit, um das Judentum Europas zu trauern, das weitgehend vernichtet wurde, und etwas Neues zu schaffen.