Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Ein bestürzend aktuelles Buch. Mit Visionen und Forderungen,
die mancher schon für museal und verstaubt abgetan haben mag. Moshe Machover ist
noch ein Sozialist alter Schule, mit marxistischen Überzeugungen, wie sie der
Hälfte der Menschheit einst einleuchteten, aufrichtig und ganz klar. Unbeirrbar
in seinen Zielen. Das Prickelnde: Man liest hier
ganz und gar Unerlaubtes. Das macht den Reiz dieses Buches aus.
Unerlaubte Ansichten zum Konflikt zwischen Israel und Palästina erscheinen eher
selten auf Deutsch.
Der Autor, Jahrgang 1936, geboren in Tel Aviv, variiert immer
wieder die klaren Prinzipien seines sozialistischen Ansatzes, der kein
diskriminierend-zionistischer sein kann. An erster Stelle steht die
Gleichberechtigung. Gerade auch nationale Gleichberechtigung - für die
palästinensischen Araber und die israelischen Hebräer. »Darauf müssen wir als
minimale notwendige Bedingung bestehen, weil Sozialisten niemals irgendein
nationales Privileg oder irgendeine nationale Ungleichheit dulden können.«
Konsequent auch der zweite Grundsatz zur Lösung des
Nahost-Konflikts: Anerkennung des Rückkehrrechts
der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat sowie angemessene
Rehabilitierung und Entschädigung für den Verlust von Eigentum und
Lebensunterhalt. Diese Notwendigkeit sei so offensichtlich, »dass dafür
keine besondere Rechtfertigung erforderlich« sei. Das einzige Argument, das
dagegen eingewandt werden könnte, sei die Tatsache, »dass dadurch der ›jüdische
Charakter‹ oder seine ethnokratische Eigenschaft als Siedlerstaat gefährdet
würde. Dieses Argument zu akzeptieren würde eine Kapitulation vor der
zionistischen Ideologie bedeuten«.
Machover pflegt eine Sprache, welche die Lektüre zu einem
Genuss werden lässt - wie Unerlaubtes oft
Freude und Genuss bereitet. Machovers entlarvende Schilderung der Verhandlungen
zum Oslo-Abkommen ermöglicht dem von Politikern und Medien betrogenen Leser sich
vom Betrug zu befreien, dem er anheimgefallen ist, als er meinte, alsbald würde
es zwei friedlich nebeneinander existierende Staaten geben. Das Abkommen führte
lediglich zur Bildung einer »Autonomiebehörde«. Israel verpflichtete sich zu
einem bedingten Rückzug aus nicht genau beschriebenen Zonen des seit 1967
besetzten Gebiets. Nach wie vor verfügt Israel den Schlüssel für die
lebenswichtigen Wasserressourcen.
Machovers Lösungsvorschlag grenzt an eine Utopie.
Er fordert den Sturz des »von den imperialistischen
Sponsoren des Zionismus beherrschten Regimes« in Tel Aviv. Dann
könnte die Entität der Araber den hebräischen Massen, in erster Linie der
israelischen Arbeiterklasse, eine verlockende Alternative anbieten: Integration
in eine föderale Union. Vorstellbar ist dies, indes Zukunftsmusik. Die
Kräfteverhältnisse in Nahost lassen dies noch nicht zu: »Die hebräische
Bevölkerung ist militarisiert. Und Israel ist eine Atommacht«.
Tel Aviv plagen Alpträume. Die demografische Gefahr wird immer
wieder beschworen. Die Hauptstrategie der israelischen Regierung bestehe darin,
die Palästinenser auf leicht zu kontrollierende, sich selbst verwaltende Nischen
zu beschränken. Diese unterscheiden sich von Lagern insofern, als die Insassen
hier ihr Gefängnis gern verlassen dürfen - um weit weg zu emigrieren. Diese
Strategie sei, so Machover, nicht gleichzusetzen mit den Bantustans des
südafrikanischen Apartheid-Regimes, die als Schlafräume für eine Reservearmee
von Arbeitskräften für die weiße Siedlerökonomie dienten. Eher vergleichbar wäre
sie mit den Indianerreservaten in den USA. Auch die israelischen »Friedenspläne«
mit willigen palästinensischen Führern hätten viel gemeinsammit den berüchtigten
Abkommen der weißen Siedler aus Europa mit den unterworfenen Ureinwohnern
Nordamerikas.
Drei Grundgedanken durchziehen das Buch von Moshe Machover.
Zum einen bezeichnet er die Geopolitik Israel als Kolonialisierung im Sinne des
überlebten und anachronistischen Kolonialismus des Westens. Machover wundert
sich, dass einzig seine Organisation Matzpen diese Tatsache in Israel klar
benennt. Die zweite Grundkonstante: Der
Kolonialismus in Israel ist nicht identisch mit der Apartheid einst in
Südafrika. Denn er baue nicht auf die
Ausbeutung der einheimischen Arbeiter, sondern versuche, diese zu vertreiben.
Machover polemisiert gegen die Behauptung, die weltweit
lebenden Juden wären eine Nation und deren Heimat das von Gott versprochene
Eretz Israel. Gleich dem israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery negiert er
die Existenz einer hebräischen Nation. Machover, studierter Mathematiker und
Philosoph, spricht von einem »zutiefst asymmetrischen Konflikt«, den die
israelische Propaganda als einen »symmetrischen« darzustellen versuche - leider
mit Erfolg. 2008/2009 führte einer der best ausgerüsteten Armeen der Welt Krieg
gegen einen Gegner, der über keine Armee verfügt. Zum damaligen Gaza-Krieg
schreibt Machover: »In Wahrheit war das kein Krieg. Es fanden so gut wie keine
Kriegshandlungen statt. Es war ein Massaker.« Ein weiteres Beispiel
staatspropagandistischer Verblendung sei die von den Regierungen in Tel Aviv
beharrlich gebrauchte Bezeichnung der 1967 besetzten Gebiete als »strittig«
(disputed) Gebiete, statt okkupierte.
Trefflich passt zum Buch das von Moshe Machover zitierte
Gedicht von Erich Fried »Große Bereinigung«, das dieser zum Nahostkonflikt
verfasste.
Moshe Machover: Israelis und Palästinenser. Konflikt und
Lösung. Laika- Verlag, Hamburg 2013. 479 S., geb., 29 €.
Die Ursachen
kämpfen jetzt
gegen ihre Folgen
daß sie keiner mehr
für die Folgen
verantwortlich machen darf
denn auch
das Verantwortlichmachen
gehört zu den Folgen
und Folgen werden verboten
und verfolgt
von den Ursachen selbst
Die wollen
von solchen Folgen
nichts mehr wissen
Wer sieht
wie eifrig sie
hinter den Folgen her sind
und immer noch sagt
sie stehen
in enger Verbindung mit ihnen
der wird nur sich selbst
die Folgen
zuschreiben müssen.
Erich Fried