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Es gibt kein nationales Privileg

Die Visionen des Moshe Machover für Frieden im Nahen Osten

 
 Rupert Neudeck

 November 2013

Ein bestürzend aktuelles Buch. Mit Visionen und Forderungen, die mancher schon für museal und verstaubt abgetan haben mag. Moshe Machover ist noch ein Sozialist alter Schule, mit marxistischen Überzeugungen, wie sie der Hälfte der Menschheit einst einleuchteten, aufrichtig und ganz klar. Unbeirrbar in seinen Zielen. Das Prickelnde: Man liest hier ganz und gar Unerlaubtes. Das macht den Reiz dieses Buches aus. Unerlaubte Ansichten zum Konflikt zwischen Israel und Palästina erscheinen eher selten auf Deutsch.

Der Autor, Jahrgang 1936, geboren in Tel Aviv, variiert immer wieder die klaren Prinzipien seines sozialistischen Ansatzes, der kein diskriminierend-zionistischer sein kann. An erster Stelle steht die Gleichberechtigung. Gerade auch nationale Gleichberechtigung - für die palästinensischen Araber und die israelischen Hebräer. »Darauf müssen wir als minimale notwendige Bedingung bestehen, weil Sozialisten niemals irgendein nationales Privileg oder irgendeine nationale Ungleichheit dulden können.«

Konsequent auch der zweite Grundsatz zur Lösung des Nahost-Konflikts: Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat sowie angemessene Rehabilitierung und Entschädigung für den Verlust von Eigentum und Lebensunterhalt. Diese Notwendigkeit sei so offensichtlich, »dass dafür keine besondere Rechtfertigung erforderlich« sei. Das einzige Argument, das dagegen eingewandt werden könnte, sei die Tatsache, »dass dadurch der ›jüdische Charakter‹ oder seine ethnokratische Eigenschaft als Siedlerstaat gefährdet würde. Dieses Argument zu akzeptieren würde eine Kapitulation vor der zionistischen Ideologie bedeuten«.

Machover pflegt eine Sprache, welche die Lektüre zu einem Genuss werden lässt - wie Unerlaubtes oft Freude und Genuss bereitet. Machovers entlarvende Schilderung der Verhandlungen zum Oslo-Abkommen ermöglicht dem von Politikern und Medien betrogenen Leser sich vom Betrug zu befreien, dem er anheimgefallen ist, als er meinte, alsbald würde es zwei friedlich nebeneinander existierende Staaten geben. Das Abkommen führte lediglich zur Bildung einer »Autonomiebehörde«. Israel verpflichtete sich zu einem bedingten Rückzug aus nicht genau beschriebenen Zonen des seit 1967 besetzten Gebiets. Nach wie vor verfügt Israel den Schlüssel für die lebenswichtigen Wasserressourcen.

Machovers Lösungsvorschlag grenzt an eine Utopie. Er fordert den Sturz des »von den imperialistischen Sponsoren des Zionismus beherrschten Regimes« in Tel Aviv. Dann könnte die Entität der Araber den hebräischen Massen, in erster Linie der israelischen Arbeiterklasse, eine verlockende Alternative anbieten: Integration in eine föderale Union. Vorstellbar ist dies, indes Zukunftsmusik. Die Kräfteverhältnisse in Nahost lassen dies noch nicht zu: »Die hebräische Bevölkerung ist militarisiert. Und Israel ist eine Atommacht«.

Tel Aviv plagen Alpträume. Die demografische Gefahr wird immer wieder beschworen. Die Hauptstrategie der israelischen Regierung bestehe darin, die Palästinenser auf leicht zu kontrollierende, sich selbst verwaltende Nischen zu beschränken. Diese unterscheiden sich von Lagern insofern, als die Insassen hier ihr Gefängnis gern verlassen dürfen - um weit weg zu emigrieren. Diese Strategie sei, so Machover, nicht gleichzusetzen mit den Bantustans des südafrikanischen Apartheid-Regimes, die als Schlafräume für eine Reservearmee von Arbeitskräften für die weiße Siedlerökonomie dienten. Eher vergleichbar wäre sie mit den Indianerreservaten in den USA. Auch die israelischen »Friedenspläne« mit willigen palästinensischen Führern hätten viel gemeinsammit den berüchtigten Abkommen der weißen Siedler aus Europa mit den unterworfenen Ureinwohnern Nordamerikas.

Drei Grundgedanken durchziehen das Buch von Moshe Machover. Zum einen bezeichnet er die Geopolitik Israel als Kolonialisierung im Sinne des überlebten und anachronistischen Kolonialismus des Westens. Machover wundert sich, dass einzig seine Organisation Matzpen diese Tatsache in Israel klar benennt. Die zweite Grundkonstante: Der Kolonialismus in Israel ist nicht identisch mit der Apartheid einst in Südafrika. Denn er baue nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Arbeiter, sondern versuche, diese zu vertreiben.

Machover polemisiert gegen die Behauptung, die weltweit lebenden Juden wären eine Nation und deren Heimat das von Gott versprochene Eretz Israel. Gleich dem israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery negiert er die Existenz einer hebräischen Nation. Machover, studierter Mathematiker und Philosoph, spricht von einem »zutiefst asymmetrischen Konflikt«, den die israelische Propaganda als einen »symmetrischen« darzustellen versuche - leider mit Erfolg. 2008/2009 führte einer der best ausgerüsteten Armeen der Welt Krieg gegen einen Gegner, der über keine Armee verfügt. Zum damaligen Gaza-Krieg schreibt Machover: »In Wahrheit war das kein Krieg. Es fanden so gut wie keine Kriegshandlungen statt. Es war ein Massaker.« Ein weiteres Beispiel staatspropagandistischer Verblendung sei die von den Regierungen in Tel Aviv beharrlich gebrauchte Bezeichnung der 1967 besetzten Gebiete als »strittig« (disputed) Gebiete, statt okkupierte.

Trefflich passt zum Buch das von Moshe Machover zitierte Gedicht von Erich Fried »Große Bereinigung«, das dieser zum Nahostkonflikt verfasste.

Moshe Machover: Israelis und Palästinenser. Konflikt und Lösung. Laika- Verlag, Hamburg 2013. 479 S., geb., 29 €.

Große Bereinigung

Die Ursachen
kämpfen jetzt
gegen ihre Folgen
daß sie keiner mehr
für die Folgen
verantwortlich machen darf
denn auch
das Verantwortlichmachen
gehört zu den Folgen
und Folgen werden verboten
und verfolgt
von den Ursachen selbst
Die wollen
von solchen Folgen
nichts mehr wissen
Wer sieht
wie eifrig sie
hinter den Folgen her sind
und immer noch sagt
sie stehen
in enger Verbindung mit ihnen
der wird nur sich selbst
die Folgen
zuschreiben müssen.
Erich Fried