Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

Sie brauchten 10 Minuten, um es zu zerstören, was ich im Laufe meines Lebens baute

972mag.com

Orly Noy.

 

Seitdem das Haus der Familie Rajbi vor 2 Wochen von israelischen Behörden zerstört war, sind die Kinder bei Verwandten  geblieben, während der Vater in einer Blechhütte neben dem Hausschutt schläft. So sieht es aus, wenn Israel seine Palästinenser in Kriminelle verwandelt.

Der Weg zum Rajbi-Familienhaus in Ostjerusalems Vorort Beit Hanina oder was ihr Haus  bis vor zwei Wochen gewesen ist, ist schwierig zu finden, selbst mit Hilfe von Nagitations-Apps.  Nachdem man von der Hauptstraße abzweigt, kommt man auf Seitenwege  und landet auf Dreckspuren. Drei von ihnen tragen denselben Namen. Nach ein paar Versuchen, das Haus zu finden, kommt uns Samir, Issams Bruder zur Hilfe. Wir suchten auch sein früheres Haus. In Ost-Jerusalem ist dies kein spezieller  Meilenstein: die schmutzigen Wege und Reste von zerstörten Häusern liegen am Rande des Weges alle paar hundert Meter  voneinander entfernt.

Nach der israelischen Organisation Ir Amim, die den Fortschritt in Ost-Jerusalem verfolgt, hat es seit Mitte 2015 in Ost-Jerusalem eine Zunahme an Hauszerstörungen gegeben. 2016  gab es einen  Rekord, der 123 Hauszerstörungen  betrifft . Seit Anfang 2017 wurden 96 Einheiten und 59  andere Einheiten zerstört.  Um vergleichen zu können: der jährliche Durchschnitt beträgt 50 pro Jahr.

Vor zwei Wochen am 22. November war die Familie  Rajbi dran . Sie besteht  aus einer Mutter, einem Vater und acht Kindern im Alter zwischen  6 und 21. Wie viele von Ost-Jerusalems Palästinensern saßen die Rajbis wie in einer Falle . Man gab ihnen keine Gelegenheit, ihr Heim auf ihrem eigenen Land legal zu bauen. Das machte sie – gegen ihren eigenen  Willen zu Kriminellen.

„Seit 2010 bat ich um eine Verzögerung der Zerstörung,“ sagt Issam, „die Zerstörungsorder betraf nur 30 Meter  um das Haus herum. Ich sagte ihnen mehrfach, dass ich selbst  diese 30 m zerstören würde.  Sie sagten mir, ich solle nichts tun. Letzten Mittwoch kamen sie unangemeldet und begannen mit dem Zerstören. Ich sagte zu ihrem Arbeits-Manager, dass sich die Order  nur auf die 30m bezieht. Er antwortete mir: „Rede nicht mit mir – ich weiß, was ich zu tun habe“ und zerstörte das ganze Haus.

Wer will einer Familie mit acht Kindern (eine Wohnung) vermieten?

Issam, ein 43jähriger Bauarbeiter, sagt, bei ihm treten nach der Zerstörung Herz-Probleme auf. Wir sitzen auf Plastikstühlen auf den Steinstufen der Ruine. Niedergeschlagen zeigt er uns ein Dokument nach dem anderen, die  er sorgfältig aufbewahrt hatte.  Antrag auf Antrag, Ablehnung auf Ablehnung, Ankündigungen, Warnungen, Geldstrafen und sogar ein Foto seines Herzens, das im Krankenhaus  aufgenommen wurde, nachdem er mit eigenen Augen die Zerstörung seines Hauses mit angesehen hat.

„Meine Frau stand daneben und schrie und weinte; sie bat darum, wenigsten ein paar Dinge  aus dem Haus zu holen. Sie erlaubten es nicht. Sie zerstörten das Haus mit allem, was drinnen war. Ich will sterben, bevor ich in der Lage sein werde,  alles, was wir hatten, zurück zu bekommen“. Rajbi übertreibt nicht -  unter den Ruinen kann man den Kühlschrank und die Waschmaschine sehen und wo einmal das Kinderzimmer war, die gebrochenen Wandschränke, die zerfetzten Kleider, den Puppenkopf. So fanden die Rajbi-Kinder an diesem Tag  ihr Haus vor, als sie von der Schule kamen.

Ich frage Issam, ob die Kinder wüssten, in welcher Gefahr ihr Haus war. „Ich sagte dem Kindern nichts,“ antwortet er. „ Schließlich war ich jedes Jahr in der Lage, die Zerstörung zu verzögern. Ich dachte, dass ich vielleicht in der Lage bin, das Haus zu retten. Ich wollte nicht, dass sie in ständiger Angst lebten, dass sie eines Tages nach Hause kommen, und es zerstört sehen.

Die Kinder leben im Augenblick bei seinem Bruder in der Nachbarschaft. Issam  schläft weiter  unter einem Blechdach  neben den Trümmern seines  Hauses. „Wenn Sommer wäre, würden wir alle hier schlafen,“ sagt er.  Am Nachmittag, wenn die Kinder aus der Schule kommen, gehen sie mit ihrem Vater durch die Trümmer.  „Ich kann keine Mietwohnung hier irgendwo finden. Keiner ist bereit, einer Familie mit acht Kindern eine Wohnung zu vermieten. Keiner.“  Samir, Issams jüngerer Bruder stimmt dem zu. „ Seitdem sie das Hauszerstört haben, ging ich durch das  ganze Viertel, um eine Wohnung zu finden. In dem Augenblick, in dem man von 8 Kindern hört, schlagen sie die Türe zu.

Ich versuchte zu begreifen, wie  solch kleine Kinder weiterleben würden. „Jeden Tag, an dem ich sie  auf den Spielplatzvon Pisgat Zeev nehme,“ sagt Samir. „ Es gibt nicht genug Betten in unsern Häusern. Also schlafen sie  unterdessen auf dem Fußboden bei mir  und bei den andern Brüdern. Manchmal  weinen sie in ihrem Raum.“

Die einzigen Kleider, die sie haben, waren die, die sie an dem Tag anhatten. Einige Kleidung bekamen sie von meinen Brüdern,“ sagte Issam.  Wir waschen jeden Tag,  damit sie sie am nächsten Tag wieder tragen können. In der Schule fragte ich, ob man ihnen neue Bücher geben könne. Sie haben sie schon bekommen.

Wir haben alles um ein Jahr verschoben.

Issams Kinder – fünf Mädchen und drei Jungs sind glücklich und neugierig. Als ich sie fragte, was sie am meisten vermissen, lächelten sie verlegen: „Ruft Duaa“,  Issam ruft sie. „Sie ist am wenigsten schüchtern“, sagt er lachend. Die Siebenjährige Duaa kommt und beginnt, jedes Ding aufzuzählen, das sie verloren hat: Farbstifte, ihre neuen Kleider, die Puppe. Langsam  schließen sich ihre Brüder und Schwestern an: sie verloren ihr Handy, Schulbücher, Spielzeug, die neuen Schuluniformen. Die Oliven-, Äpfel- und Zitronenbäume, die im Hof standen, wurden im Gewühl auch zerstört. Als wir später  am Tor außerhalb des Hauses standen, kam die sechsjährige Nour zu mir und sagt mir fast flüsternd: „Auch das Fahrrad -  ich hatte  dort ein Fahrrad.“

„Nun  müssen wir dies aufräumen“, sagt Issam während er verzweifelt auf die Trümmer schaut. „Viele gute Leute sagen, sie wollen mir helfen, die  40-50m wieder aufbauen,  damit wir etwas haben, wo sich unsere Kinder hinsetzen können. Aber ich fürchte, sie werden  alles wieder abreißen.“ Es wird langsam Nacht und im Hintergrund kann man klar die Baukräne sehen, wie sie unermüdlich in den nahen Siedlungen bauen. „Dort wird gebaut 1000 Häuser ohne Probleme. Hier  zerstören sie ein Haus wegen seiner 30 Meter.“

Wir sind still, als Issam uns schwarzen Kaffee aus der Thermosflasche eingießt. Was kann man einem sagen, dessen Lebenswerk  in wenigen Augenblicken in Dreck   verwandelt wurde?  Plötzlich steht er auf und geht  zu einem wilden Busch hinüber, der den Abriss überlebt hat und  bittet eines seiner Kinder, ihm einen  Sack zu bringen.  Er füllt ihn mit duftenden Salbeizweigen (??);  zwei von ihnen haben Wurzeln, sodass ich sie zu Hause einpflanzen kann.

„Mein ältester Sohn sollte in einem Monat verheiratet werden, doch haben wir alles um ein Jahr verschoben.“ Sein Kopf neigt sich wieder in Richtung des zerstörten Hauses. „Hier war unser Wohnzimmer. Hier das Schlafzimmer. In zehn Minuten  zerstörten sie alles, was ich im Laufe meines Lebens aufgebaut habe.“

Bevor wir gingen, erfuhr  ich noch, dass einer von Issams Brüdern, der augenblicklich  einige seiner Kinder beherbergt vor einer ähnlichen Bedrohung steht:  eine Abrissorder im nächsten Monat. Was wird geschehen, frage ich fast rhetorisch. „Wer weiß?“ und begleitet uns  zum Tor.   (dt. Ellen Rohlfs)