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Das Drama und die Farce

 

Uri Avnery, 26.9.09

 

ES  HAT keinen Sinn, zu vertuschen: in der ersten Runde des Wettkampfes zwischen Barack Obama und Binyamin Netanyahu ist Obama geschlagen worden.

 

Obama forderte ein Einfrieren der Siedlungstätigkeit, einschließlich  der in Ost-Jerusalem, als Vorbedingung für die Einberufung eines Dreiergipfeltreffens, in dessen Folge  beschleunigte Friedensverhandlungen starten sollten, die zum Frieden zwischen zwei Staaten führen sollten –  Israel und Palästina.

 

In einem alten Sprichwort heißt es: eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt . Netanyahu hat Obama beim ersten Schritt ein Bein gestellt.  Der Präsident der Vereinigten Staaten ist  gestolpert.

 

 

DAS DREIERTREFFEN fand tatsächlich statt. Aber anstelle eines leuchtenden Erfolges der neuen amerikanischen Regierung sind wir Zeugen einer demütigenden Demonstration von Schwäche geworden. Nachdem Obama sich gezwungen  sah, seine Forderung nach dem Einfrierens des Siedlungsbaus aufzugeben, wurde das Treffen leer und inhaltslos.

 

Mahmoud Abbas war schließlich  trotz allem gekommen. Er war aber gegen seinen Willen dorthin gezerrt worden. Der palästinensische Führer konnte die Einladung Obamas, seiner einzigen Stütze,  nicht ausschlagen. Aber er wird  für diesen Flug einen hohen Preis zahlen:  die Palästinenser und die ganze arabische Welt haben seine Schwäche gesehen. Und Obama, der seine Regierungszeit mit einer leidenschaftlichen Rede an die muslimische Welt aus Kairo  begonnen hatte, sah jetzt wie ein gebrochenes Rohr aus.

 

Die israelische Friedensbewegung hat einen weiteren schmerzvollen Schlag einstecken müssen. Sie hatte ihre Hoffnung auf die Standhaftigkeit des amerikanischen Präsidenten gesetzt. Obamas Sieg und das Einfrieren des Siedlungsbaus sollten der israelischen Öffentlichkeit zeigen, dass Netanyahus Verweigerungspolitik in die Katastrophe führe.

 

Aber Netanyahu hat gewonnen und zwar  haushoch.  Er hat nicht nur überlebt, er hat nicht nur gezeigt, dass er kein „Sucker  ist („Grünschnabel“, ein Wort, das er ständig benützt), er hat seinem Volk - und der breiten Öffentlichkeit – bewiesen, dass es da nichts zu fürchten gibt. Obama ist nichts als ein Papiertiger. Der Siedlungsbau kann also ungehindert weitergehen. Die Verhandlungen, die beginnen werden, falls sie überhaupt beginnen, können bis zum Kommen des Messias weitergehen. Es wird nichts dabei herauskommen.

 

Für Netanyahu ist die Friedensgefahr erst einmal gebannt – mindestens für den Augenblick.

 

 

ES IST kaum zu verstehen, wie Obama selbst in diese peinliche Situation geraten ist.

 

Macchiavelli sagte einmal,  man solle einen Löwen nicht reizen , es sei denn, man könne ihn auch töten. Und Netanyahu ist nicht einmal ein Löwe, sondern nur gerade ein Fuchs.

 

Warum bestand Obama auf dem Einfrieren des Siedlungsbaus – an sich eine sehr vernünftige Forderung – wenn er nicht in der Lage ist,  seinen Mann zu stehen?  Oder mit anderen Worten, wenn er nicht in der Lage ist, Netanyahu dazu zu zwingen?

 

Bevor man solch eine Kampagne beginnt, muss ein Staatsmann  das Aufgebot der Kräfte  abschätzen: Welche stehen mir zur Verfügung? Welche Kräfte arbeiten gegen mich? Wie entschlossen ist die andere Seite? Welche Mittel bin ich bereit, anzuwenden? Wie weit bin ich   vorbereitet, meine Macht einzusetzen?

 

Obama hat eine Menge fähiger Berater, denen Ram Emanuel vorsteht, dessen israelischer Ursprung (und Name)  ihm vermutlich spezielle Einsichten geben sollten. George Mitchell, ein abgebrühter und erfahrener Diplomat, hätte eigentlich  ernst zu nehmende Beurteilungen liefern müssen. Wie kommt es, dass sie versagten?

 

Die Logik würde sagen, dass bevor Obama den Kampf beginnen würde,  er  sich entschieden haben sollte, welche Druckmittel er verwenden würde. Das Arsenal ist unerschöpflich: von einer Drohung durch die USA, ihr Vetorecht bei der nächsten Abstimmung des UN-Sicherheitsrats nicht anzuwenden,  bis zur Entscheidung, die nächste Waffenlieferung zu verzögern. James Baker, 1992 der Außenminister von George Bush sen., drohte damit, die amerikanischen Garantien für Israels Anleihen im Ausland zurückzuhalten. Das genügte, um Yitzhak Shamir zur Madrider Konferenz zu bringen.

 

Es scheint, dass Obama  entweder nicht in der Lage  oder nicht willens war, solchen Druck auszuüben, nicht einmal im Geheimen oder hinter den Kulissen. In dieser Woche erlaubte er sogar der amerikanischen Flotte,  mit der israelischen Luftwaffe   größere gemeinsame Kriegsspiele durchzuführen.

 

Einige Leute hofften, dass Obama den Goldstone-Bericht als Druckmittel auf Netanyahu.  verwenden würde. Es hätte schon ein Wink genügt, dass die USA ihr Vetorecht  bei der Abstimmung  im Sicherheitsrat nicht anwenden würde, um in Jerusalem Panik ausbrechen zu lassen. Stattdessen veröffentlichte Washington ein Statement, das Israels Propaganda gegen den Bericht unterstützt.

 

Natürlich ist es für die USA schwierig, Kriegsverbrechen zu verurteilen, die denen ihrer eigenen Soldaten so sehr  gleichen . Wenn Israels Kommandeure vor Gericht in Den Haag gebracht werden sollten,  könnten die amerikanischen Generäle die nächsten sein. Bis jetzt sind nur die Kriegsverlierer angeklagt worden. Wohin würde die Welt wohl kommen, wenn auch die, die weiter im Amt bleiben, angeklagt werden?

 

 

DIE UNVERMEIDLICHE Schlussfolgerung ist, dass Obamas Niederlage die Folge einer falschen Einschätzung  der Situation ist. Seine Berater, die  als erfahrene Politiker angesehen werden, hatten sich in den beteiligten Kräften verschätzt.

 

Das ist schon bei der entscheidenden Gesundheitsdebatte geschehen. Die Opposition ist weit stärker als  von Obamas Leuten vorausgesehen wurde. Um aus diesem Dilemma irgendwie herauszukommen, benötigt Obama die Unterstützung von jedem Senator und Kongressmann, den er kriegen kann.  Dies vergrößert automatisch die Macht der pro-Israel-Lobby, die  sowieso schon einen ungeheuren Einfluss im Kongress hat.

 

Das letzte, was Obama  in diesem Moment benötigt, wäre eine Kriegserklärung der AIPAC & Co. Netanyahu, ein Experte in  amerikanischer Innenpolitik,  spürte Obamas Schwäche und nützte sie prompt aus.

 

Obama konnte nichts anderes tun, als mit den Zähnen knirschen und  klein beigeben

 

Diese Debatte ist  zu diesem Zeitpunkt besonders  schmerzhaft.  Der Eindruck wird schnell immer größer, dass er tatsächlich ein besonders inspirierender  Redner mit einer erhebenden Botschaft ist, aber ein schwacher Politiker, der seine Vision nicht in Realität umsetzen kann. Falls sich dieses Bild bei ihm verfestigt,  kann dies einen Schatten auf seine ganze Regierungszeit werfen.

 

 

ABER IST Netanyahus Politik von Israels Standpunkt aus eine weise Politik?

 

Der Sieg über Obama könnte sich als Pyrrhussieg herausstellen.

 

Obama wird nicht verschwinden. Er hat noch drei und ein halbes Jahr vor sich und danach vielleicht noch einmal vier. Das ist eine Menge Zeit, um sich an jemandem zu rächen, der ihn in einem heiklen Moment  zu Beginn seiner Amtszeit verletzt und gedemütigt hat.

 

Man weiß natürlich nicht, was sich tief in Obamas Herz und in seinen Gedanken abgespielt hat. Er ist introvertiert und lässt sich nicht in die Karten sehen. Die vielen Jahre als junger Schwarzer in den USA haben ihn wahrscheinlich gelehrt, seine Gefühle zurückzuhalten.

 

Er kann die  Schlussfolgerung ziehen und in den Fußstapfen  all seiner Vorgänger  seit Dwight Eisenhower treten ( abgesehen von Vater Bush während Bakers kurzer Zeit, in der er das Kriegsbeil schwang): Leg dich nicht mit Israel an! Mit Hilfe seiner Partner und Dienerschar  in den USA, kann dies  bei einem Präsidenten schwerwiegenden Schaden anrichten.

 

Er kann aber auch die gegenteilige Schlussfolgerung ziehen:  Warte den rechten Augenblick ab, wenn deine Position in der innerpolitischen Arena fest ist, dann zahle Netanyahu mit Zinsen zurück. Wenn dies geschieht, dann wird sich Netanyahus Siegesmiene als verfrüht herausstellen.

 

 

FALLS ICH um Rat gefragt werden würde ( keine Angst, das geschieht nicht !), dann würde ich ihm sagen:

 

Das  Schmieden des israelisch-palästinensischen Friedens würde eine historische Wende bedeuten, die Umkehrung eines 120 Jahre langen Trends. Das ist keine leichte Operation, die man nicht unüberlegt auf sich nehmen sollte. Es ist keine Angelegenheit von Diplomaten und Beamten. Dies fordert einen entschlossenen Führer mit einem festen Herzen und einer ruhigen Hand. Wenn man dafür nicht bereit ist, sollte man nicht anfangen.

 

Ein amerikanischer Präsident, der  solch eine Rolle übernehmen will, muss einen klaren und detaillierten Friedensplan  mit  striktem Zeitplan formulieren  und bereit sein, all seine Ressourcen und all sein politisches Kapital  für diese Realisierung zu investieren. Unter anderem muss er bereit sein, der mächtigen Israel-Lobby  direkt gegenüber zu treten.

 

Dies wird nicht gelingen, wenn die öffentliche Meinung in Israel, Palästina, in der arabischen Welt, den USA und der ganzen Welt nicht im voraus gründlich vorbereitet ist. Es wird ohne eine effektive israelische Friedensbewegung, ohne starke Unterstützung der öffentlichen Meinung der USA, besonders der jüdisch-amerikanischen, ohne eine starke palästinensische Führung und ohne arabische Einheit  nicht gelingen.

 

Im richtigen Augenblick muss der Präsident der USA nach Jerusalem kommen und  sich vom Knessetpodium aus an die israelische Öffentlichkeit wenden, wie es Anwar Sadat  und Präsident Jimmy Carter taten und sich im palästinensischen Parlament an die palästinensische Öffentlichkeit wenden, wie es  Präsident Bill Clinton tat.

 

Ich weiß nicht, ob Obama der Mann sein wird. Einige im Friedenslager haben ihn schon aufgegeben, was tatsächlich heißt, dass sie  am Frieden als solchem schon verzweifelt sind. Ich bin dafür nicht bereit.

 

Eine Schlacht entscheidet selten einen Krieg, und ein Fehler sagt nicht die Zukunft voraus. Eine verlorene Schlacht kann den Verlierer stärken;  ein Fehler kann eine wertvolle Lektion erteilen.

 

 

IN EINEM seiner Aufsätze sagte Karl Marx, dass wenn sich die Geschichte wiederholt, sie beim ersten Mal eine Tragödie sei, beim zweiten Mal  eine Farce.

 

Der Dreier-Gipfel im Jahr 2000 in Camp David war ein großes Drama. Viele Hoffnungen waren daran geknüpft; der Erfolg schien in Reichweite zu sein, und am Ende brach er zusammen. Die Teilnehmer gaben sich gegenseitig die Schuld.

 

Der Gipfel im Jahr 2009 im Walddorf-Astoria-Hotel war eine Farce.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)