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Ilan Pappe, Electronic Intifada, 4.4. 11
http://electronicintifada.net/v2/article11895.shtml
„Wenn ich damals
gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre der Goldstone-Bericht ein anderes
Dokument geworden“. So wird Richter
Richard Goldstones viel diskutierte op-ed in der Washington Post eröffnet. Ich
habe das starke Gefühl, dass der Herausgeber an dem Text herumgepfuscht hat und
dass der ursprüngliche Satz so gelesen werden müsste: „Wenn ich gewusst hätte,
dass der Bericht mich in meinem geliebten Israel und
in meiner eigenen jüdischen Gemeinde in Südafrika in einen
selbsthassenden Juden verwandeln würde, dann hätte ich ihn nie geschrieben.“ Und
wenn dies nicht der ursprüngliche Satz war, dann ist es sicher der eigentlich
gemeinte Text von Goldstones Artikel.
Diese schändliche 180-Grad
Wendung geschah nicht in dieser Woche. Sie kommt nach anderthalb Jahren einer
anhaltenden Kampagne der Einschüchterung und
des Rufmordes gegen den Richter, ein Kampagne, die wie in der
Vergangenheit mächtige Leute wie den US-Senator William Fullbright, der
politisch für seinen tapferen Versuch AIPACS illegale Geschäfte mit dem Staat
Israel aufzudecken, vernichtet wurde.
Schon im Oktober 2009 sagte
Goldstone zu CNN: „Ich habe eine große Liebe
für Israel“ und „Ich habe für viele israelische Dinge gearbeitet und
werde dies auch weiter tun.“ (Video: „Fareed Zakaria GPS“ 4. Oktober 2009)
Nehmen wir an, dass er zu
jener Zeit, als er seine
Liebeserklärung machte, noch keine neuen Beweise hatte, wie er jetzt behauptet,
dann mag man sich fragen, wie diese
Liebe nicht mindestens durch das abgeschwächt werden konnte, was er beim
Schreiben seines ursprünglichen Berichtes mit anderen Mitgliedern der
UN-Kommission entdeckte.
Aber es kam noch schlimmer
und genau vor einem Jahr im April 2010 erreichte die Kampagne gegen ihn einen
neuen Höhe- oder besser Tiefpunkt. Sie wurde vom Vorstand des Südafrikanischen
Zionistischen Bundes, von Avrom Krengel, angeführt, der Goldstone
daran zu hindern versuchte, an der Bar Mitza seines Enkels in
Johannesburg teilzunehmen, da Goldstone nicht wieder gut zu machenden Schaden am
jüdischen Volk als Ganzes verursacht habe.
Der Südafrikanische
Zionistische Bund drohte damit,
während der Feier einen Streikposten vor der Synagoge aufzustellen. Noch
schlimmer war die Einmischung des
südafrikanischen Oberrabbiners
Warren Goldstein, der Goldstone dafür schalt, dass „er dem jüdischen Staat
großen Schaden zugefügt habe.“ Im vergagenen Februar sagte Goldstone, dass „Die
Hamas Kriegsverbrechen begangen habe, aber Israel nicht. Es war in einem
Interview nach einem Bericht vom 3. April auf der Website von Israels Kanal
zwei. Es genügte nicht. Die Israelis forderten mehr.
Die Leser mögen fragen „Na
und?“ und „ warum konnte Goldstone dem nicht widerstehen?“
Das sind gute Fragen. Aber
leider ist die Zionisierung der jüdischen Gemeinden und die falsche
Identifizierung von Judentum mit Zionismus noch eine starke Entmutigung, die
liberale Juden daran hindert, mutig Israel und seinen Verbrechen
gegenüberzutreten.
Immer wieder scheinen
viele liberale Juden sich selbst zu befreien und sich nach ihrem Gewissen
zu richten, statt sich von ihrer Furcht leiten zu lassen. Doch scheinen viele
schon zu lang unfähig an ihren universalistischeren Neigungen
hilflos zu kleben, wenn es Israel betrifft. Das Risiko, als
„selbsthassender Jude“ definiert zu werden mit all den Verästelungen solch einer
Anklage, ist eine wirkliche und erschreckende Aussicht für sie. Man muss in
seiner Haut stecken, um die Kraft dieses Terrors zu verstehen.
Erst vor wenigen Wochen
verkündete der israelische Militärnachrichtendienst er habe eine spezielle
Einheit zur Überwachung geschaffen,
um sich mit Einzelpersonen und
Körperschaften, die verdächtigt werden, Israel im Ausland zu delegitimieren, zu
überwachen, zur Rede zu stellen und
notfalls sie zur Strecke zu bringen. Angesichts dieser Aussicht kommen
ziemlich viel Zaghafte zur Auffassung,
dass Widerstand gegen Israel sich nicht lohnt.
Wir sollten eingesehen
haben, dass Goldstone einer von ihnen war, als er
trotz seines Berichtes erklärte, er bleibe trotzdem Zionist. Dieses
Adjektiv „zionistisch“ hat viel
mehr Bedeutung und ist mehr belastet, als man gewöhnlich annimmt. Man kann nicht
behaupten, man sei ein Zionist, wenn man gegen die Ideologie des
Apartheidstaates Israel ist. Man kann einer bleiben, wenn man den Staat wegen
gewisser krimineller Politik tadelt und versäumt, die Verbindung zwischen der
Ideologie und dieser Politik zu sehen. „Ich bin ein „Zionist“ ist eine Erklärung
der Loyalität in einer Denkhaltung, die den Goldstone-Bericht von 2009 nicht
akzeptieren kann. Entweder kann man ein Zionist sein oder man klagt Israel wegen
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an; wenn man beides
tut, wird man früher oder später
einen Knacks bekommen.
Dass dieses Mea culpa
nichts mit den Fakten zu tun hat, ist klar, wenn man die
von Goldstone gebrachten „Beweise“, die
seinen Rückzieher erklären sollten, prüft. Um ehrlich zu sein, sollte man
sagen, man brauchte kein Weltexperte für Internationales Recht, um zu wissen,
dass Israel 2009 im Gazastreifen
Kriegsverbrechen begangen hat. Die Berichte von Gruppen wie „Das
Schweigen brechen“ und der
UN-Vertreter vor Ort bewiesen es – vor und nach dem Goldstone-Bericht. Es war
also nicht der einzige Beweis.
Die Bilder, die wir auf
unsern Fernsehschirmen sahen und die, die wir vor Ort sahen,
erzählen nur die Geschichte einer kriminellen Politik des absichtlichen
Tötens, Verletzens und Verstümmelns als kollektive Strafe. „Die Palästinenser
sind dabei, sich einen
Holocaust über sich zu bringen,“ versprach Matan Vilnai, Israels
stellvertretender Verteidigungsminister, der Bevölkerung von Gaza am 28.Februar
2008.
Da gibt es nur einen
einzigen neuen Beweis, den
Goldstone bringt, und dies ist eine interne israelische Armeeuntersuchung, die
erklärt, dass einer der Fälle, der als Kriegsverbrechen
verdächtigt wird, auf Grund eines Fehlers durch die israelische Armee
geschah und dieser wird noch immer
untersucht. Dies muss eine Trumpfkarte
sein: eine Behauptung der israelischen Armee, dass
das massive Töten von Palästinenser ein „Irrtum“ war.
Seit der Gründung des
Staates Israel waren Zehntausende von Palästinensern, die Israel getötet hat
entweder Terroristen oder durch
einen Irrtum getötet worden. So wurden 29 von 1400 Tote durch ein
unglückliches Versehen getötet. Nur ein ideologisches Engagement könnte
die Revision des Berichtes
über eine interne Befragung der israelischen Armee sein, die sich nur auf einen
von Dutzenden Fällen von ungesetzlichem Töten und Morden konzentriert.
Es kann also keinen neuen Beweis geben, der Goldstone veranlasste, diesen
Artikel (in der Washington Post) zu schreiben. Es ist eher sein Wunsch, in die
zionistische gemütliche Ecke zu kommen, der diesen bizarren und fehlerhaften
Artikel antrieb.
Dies wird auch durch die
Art und Weise klar, wie er in dem Artikel sein Tenor gegen die Hamas
verschärft vorgeht und sich
gegenüber Israel zurücknimmt. Er hofft, dass dies ihm hilft, ihn von Israels
Zorn zu befreien. Aber er irrt sich sehr. Nur wenige Stunden nach der
Veröffentlichung des Artikels beauftragten ihn der israelische
Verteidigungsminister Ehud Barak, der Ministerpräsident Benyamin Netanyahu und
natürlich der Nobelfriedenspreisträger Präsident Shimon Peres mit einer neuen
Rolle: es wird von ihm erwartet, von einem Lager zum anderen zu wechseln und von
einem Verhandlungsort zum anderen zu hüpfen – und zwar im Dienst eines neuen und
frommen Israel . Er tut dies nicht ; aber dann könnte es ihm aus Vergeltung noch
einmal nicht erlaubt werden, an der Bar Mitzva seines
Enkels teilzunehmen.
Goldstone und seine
Kollegen schrieben einen sehr detaillierten Bericht, aber sie
waren sehr zurückhaltend bei ihren Schlussfolgerungen. Das von
israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen
ausgebreitete Bild war bei weitem
entsetzlicher und war weniger in der klinischen und juristischen Sprache
geschrieben, der es oft nicht gelingt, das Ausmaß des Schreckens darzustellen.
Es war zuerst die westliche
öffentliche Meinung, die besser als Goldstone die Bedeutung dieses Berichtes
verstand. Israels internationale
Legitimität hat einen beispiellosen Schlag erhalten. Er war echt geschockt, als
er von diesem Ergebnis erfuhr.
Das haben wir schon früher
erlebt. In den späten 80ern schrieb der israelische Historiker Benny Morris
einen ähnlich sterilen Bericht von der ethnischen Säuberung Palästinas von 1948.
Palästinensische Akademiker wie Edward Said, Nur Masalha und Walid Khalidi waren
die einzigen, die auf die bedeutenden
Implikationen für Israels Identität und Selbstimage hinwiesen und auf die
Art des Archivmaterials, das er aufgedeckt hat.
Morris hat auch
dem Druck nachgegeben, bat
darum, wieder in den Stamm aufgenommen zu werden. Er ging sehr weit mit seine
Mea culpa und tauchte als extremer anti-arabischer und anti-muslimischer
Rassist auf. Er schlug vor, die Araber in Käfige zu sperren, und er schlug
noch eine ethnische Säuberung vor. Goldstone kann auch in diese Richtung
gehen; zumindest erwarten die Israelis dies von ihm.
Fachmännisch versuchen
Morris wie Goldstone sich in eine
Position zurück zu ziehen, die
behauptet, wie es Goldstone im Washington Post Artikel tat, dass Israel nur
für seine Absichten verurteilt werden kann , nicht für seine Taten.
Deshalb kann in beiden Fällen nur die israelische Armee eine verlässliche Quelle
sein, weil sie weiß, welches die Absichten waren. Sehr wenig anständige und
intelligente Leute in der Welt würden solch eine bizarre Analyse und Erklärung
akzeptieren.
Goldstone hat
noch nicht die irre Grenze zum
Ultra-Zionimus übertreten, wie es Morris tat. Aber wenn er nicht
vorsichtig ist, verspricht die Zukunft eine nette Reise mit Leuten wie Morris,
Alan Dershowitz ( der schon sagte, dass Goldstone ein „reuevollerJude“ sei)
zwischen jährlichen Treffen der AIPAC-Rottweiler und den verrückten
Konvents christlicher Zionisten . Er würde bald herausfinden,
dass wenn man sich erst einmal vor dem Zionismus duckt – dann
wird erwartet, dass
man den ganzen Weg geht oder auf demselben Fleck bleibt, von dem man dachte, man
hätte ihn erfolgreich hinter sich gelassen.
Kurzfristig zionistische
Liebe zu gewinnen, ist viel weniger wichtig, als die Achtung der Welt auf Dauer
zu verlieren. Palästina sollte seine Freunde sorgfältig auswählen: sie dürfen
nicht ängstlich sein oder behaupten, sie seien Zionisten und
gleichzeitig Kämpfer für Frieden, Gerechtigkeit und die Menschenrechte in
Palästina.
Ilan Pappe ist Professor
für Geschichte und Direktor des europäischen Zentrum für palästinensische
Studien an der Universität Exeter.
Sein letztes Buch „Out of
the Frame: The Struggle for Academic Freedom in Israel“ (Pluto Press,2010)