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Ziviler Ungehorsam – eine Rede
in Beit Ommar
Von
Nurit Peled-Elhanan, 10.3. 12.
Ich möchte meine Worte dem
Gedächtnis eines fünfjährigen Jungen, Milad, widmen. Er ist der Neffe von Wael
Salame, einem der Gründer der „Kämpfer für den Frieden“. Milad kam in einem
brennenden Bus an der Adam-Siedlungskreuzung ums Leben. Die Bewohner der
Siedlung sandten kein Rettungsteam, und sie weigerten sich, einen Ambulanzwagen
zu schicken. Keiner hat sie
vor Gericht gebracht. Keiner verurteilte sie und keiner verhaftete sie.
Die Gleichgültigkeit der „Landdiebe“ gegenüber Vorschulkindern, die vor
ihren Türen zu Tode verbrannten, bekamen keine Schlagzeile in irgend einer
Zeitung oder einer Nachrichtenmeldung. Der Grund dafür ist, dass das
rassistische Benehmen der Israelis keine „Nachrichten“ wert ist. Es ist seit 60
Jahren oder länger die Norm. Israels Kinder werden so erzogen. Wir sind alle
damit aufgewachsen – in der Schule, zu Hause, in der Jugendbewegung, in
Literatur und Theater, Kunst und Musik. Die mehr als 20 rassistischen Gesetze,
die letztes Jahr mit kaum einer Opposition angenommen wurden, wenn man von ihren
Opfern absieht, haben uns nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen.
Jene Gesetze sind der herzloseste Ausdruck der Normen des Establishments, die
nun an diesem Ort seit vier Generationen wirksam sind. Schon 1948 machte der
Dichter Natan Altermann die Apathie der hebräischen Öffentlichkeit angesichts
„’delikater Vorfälle’ schlecht; denn ihr wirklicher Name war übrigens Mord.“ Die
gegenwärtige israelische Knesset reißt lediglich die Maske vom Angesicht des
Staates, wenn sie ihre Erklärungen wiederholt, dass es keine Vorwände mehr gibt.
Seit Jahrzehnten
kolonisiert jetzt das zionistische Projekt das Land, judaisiert es und fordert
auf die eine oder andere Weise die Entfernung der Palästinenser, entweder
durch Gesetz oder durch das Schwert. Es ist auch nicht mehr nötig, diese
obersten Ziele zu kaschieren oder mit leeren Worten die Demokratie oder
Sicherheit oder historischen Rechte zu umschreiben. Wir werden alle mobilisiert,
freiwillig oder unwissentlich, an dem Projekt der Judaisierung des Landes
teilzunehmen, und wir haben uns
die absolute Notwendigkeit eines jüdischen Staates mit einer jüdischen
Mehrheit im Lande Israel
eingeprägt. Und das Land Israel schließt – wie wir alle wissen
- den Staat Israel, die palästinensischen Gebiete und eine Menge mehr
ein. Es gibt keine Karte in Israel, die der Staat Israel genannt wird. Alle
Karten werden „das Land von Israel“ (Erez Israel) genannt. Schon drei oder vier
Generationen israelischer Kinder haben aus Büchern gelernt, die Karten
enthalten, dass die palästinensischen Gebiete Teil des Landes Israel seien, die
keine Farbe haben, keine Institutionen und keine Bevölkerung;
Es ist ein altes Gebiet, das darauf wartet und sich danach sehnt, von
Juden kolonisiert zu werden – oder mindestens von Nicht-Arabern.
Israelische Kinder haben jetzt seit Generationen gelernt, dass ihre
Nachbarn – ob sie palästinensische Bürger Israels oder Untertanen des Staates
Israels sind, keine Menschenrechte haben. Sie sind nichts als ein schreckliches
demographisches Problem und eine Sicherheitsbedrohung. Genau diese Kinder sind
inzwischen erwachsen, ihre Gefühle für Wahrheit, Gerechtigkeit und menschliche
Gemeinschaft sind durch rassistische Erziehung abgestumpft worden, sie sind
Politiker und Generäle, die jetzt offen und mit Arroganz allmächtiger Herren
erklären, was einmal mit Heuchelei verborgen wurde:
dass die andere Seite des Judaisierungsprojektes die Eliminierung des
palästinensischen Volkes ist – ob mit Gummi ummantelten Kugeln oder Stahlkugeln
ohne Gummi , durch Bomben oder durch das Gesetz: als fundamentales Prinzip des
jüdischen Kibbuzim-Staates. Von jedem Mitglied der Gesellschaft wird erwartet,
sich je nach seinen Fähigkeiten am zionistischen Projekt zu beteiligen. In den
letzten Jahren ist das Judaisierungsprojekt schneller vorangekommen als je
bevor, hauptsächlich dank der unverhohlenen und uneingeschränkten Unterstützung
der US und reicher Länder in Europa.
2009 wurde das
Russel-Tribunal für Palästina gegründett, um die europäischen Länder
aufzufordern, nicht länger Partner an den Verbrechen des Besatzungsstaates zu
sein, und dadurch vielleicht einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Im Oktober
2011 versammelte sich das Tribunal symbolisch in Kapstadt. Es
entschied, dass Israel ein institutionalisiertes Regime von Herrschaft
errichtet hat, das einer Apartheid gleich kommt, wie es im Völkerrecht definiert
ist. Israel diskriminiert und
eliminiert aus rassistischen
Gründen auf systematische und institutionalisierte Weise
ein ganzes Volk und deshalb sollte alle Zusammenarbeit mit Israel
aufhören.
Die rechtliche Definition
von Apartheid ist eine Situation in der 3 Komponenten vorhanden sind. 1. zwei
getrennte ethnische Gruppen können identifiziert werden; 2. „Akte von
Unmenschlichkeit“ werden von der
herrschenden Gruppe gegen die unterworfene Gruppe begangen; und 3. Diese
Handlungen werden in systematischer Weise mit einer institutionalisierten
Verwaltung begangen, in der eine der Gruppen über die andere herrscht.
Das Tribunal hörte Zeugen
über Handlungen, die „Akte von Unmenschlichkeit“
gegenüber dem palästinensischen Volk durch israelische Behörden
darstellen:
Kontrolle
über ihr Leben durch militärische Mittel.
Willkürliche
Gefangenschaft und langwierige
illegale Administrativhaft.
Verletzungen der
Menschenrechte, die ihr Recht verweigern, am politischen,
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben des Staates teilzunehmen.
Die
palästinensischen Flüchtlinge werden daran gehindert, in ihre Häuser zurück-
Zukehren
Die Gesetze
Israels erleichtern das
Konfiszieren ihres Besitzes
Und verweigernt
ihnen die Menschenrechte.
Die bürgerlichen
und politischen Rechte werden verweigert oder willkürlich eingeschränkt.
Und entsprechend
die Enteignung von palästinensischem Land.
Die Belagerung
und Blockade des Gazastreifens als kollektive Strafe für die zivile Bevölkerung.
Angriffe auf
Zivilisten mittels groß angelegter militärischer Operationen.
Zerstörung von
Häusern von Zivilisten ohne Rechtfertigung aus Sicherheitsgründen.
Das schwere
Leid, das der zivilen Bevölkerung durch die Mauer in der Westbank und
Ostjerusalem
zugefügt wird.
Beduinendörfern
im Negev.
Die fortgesetzte
Praxis von Folter und schlechter Behandlung der palästinensischen Gefangenen
in israelischen
Gefängnissen.
Verschiedene
Formen grausamer, unmenschlicher und demütigender Behandlung, einschließlich.
Beschränkung der
Bewegungsfreiheit, der Palästinenser durch Demütigung durch israelische
Soldaten
unterworfen sind
Palästinensische
Frauen werden gezwungen, am
Checkpoint, auf der Straße, zu gebären.
Häuser werden
zerstört als eine Art unmenschlicher und demütigender Behandlung mit
ernsten
psychologischen Folgen für Männer , Frauen und Kinder.
Das ganze
israelische Rechtssystem schafft eine enorme Kluft zwischen israelischen Juden
und
palästinensischen Arabern mit einer Rechtssprechung, die natürlich israelische
Juden begünstigt
und
palästinensische Araber in einer Situation der Minderwertigkeit lässt.
Alles soeben Gesagte wird vom Tribunal als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Das Tribunal fand außerdem, dass ungleich der offenen Rechtsprechung in Südafrika, das israelische Gesetz durch Doppeldeutigkeit und Unverständlichkeit vieler Gesetze, militärischer Order und Regeln charakterisiert wird. Aber wir wissen, dass alle Gesetze und Regeln des Staates Israel - seien sie doppeldeutig oder klar - dafür bestimmt sind, das Aussehen dieses Ortes aus einem wunderschönen und fruchtbaren Land des Nahen Ostens, einem Land grüner Hügel, Granatäpfel- und Olivenbäumen zu einem monströsen Konglomerat zu verändern von angeblicher westlicher Hausentwicklung…: hässlich und brutal. Ihr einziges Ziel ist: die Hügel mit Asphalt, Stahl und Beton zu bedecken. Der einzige Weg, diese Tendenz zu bekämpfen, ist die generelle Zurückweisung der rassistischen Gesetze des demokratischen jüdischen Staates und unsere Kinder die demokratischen Rechte lehren: nein zu Bösem zu sagen und nein zu Ignoranz und Apartheid, nein zum Dienst in der Besatzungsarmee und nein zur Zusammenarbeit bei ethnischer Säuberung.
Unterdessen leben wir in einem Staat, der absolut nichts mit einer Demokratie zu tun hat. Wir, die wir nicht mit Demokratie aufgewachsen sind und die von niemanden über die Werte der Demokratie aufgeklärt wurden, die aber in dem Sinne erzogen wurden, dass wir denken, dass Ausbeutung, Plündern, Lügen, Diskriminierung und Morde das Wesentliche einer Demokratie sind. Wir müssen offen zugeben, dass wir immer in einem Apartheidstaat gelebt haben und dass dies für uns alle eine Gefahr ist. Ein Staat, der seine Jungen und Mädchen zu unbegrenzter Gewalt und Gleichgültigkeit erzieht, auch gegenüber den Kindern, die in einem brennendem Bus gefangen sind. Wenn wir dies nicht tun, werden wir wie die Siedler von Adam, wir werden wie jene, die den verletzten Omar Abu Jariban an den Straßenrand werfen, wo er vor Durst stirbt. – so werden auch wir in die Kategorie der Kriegsverbrecher gedrängt werden. …
Zum Abschluss noch eine Anekdote: Als Erzbischof Desmond Tutu aufs Podium ging, um das Russel Tribunal in Kapstadt zu begrüßen, verkündete der Vorstand Pierre Galand, dass es nach den Regeln des Tribunals, keinen Applaus gibt. Tutu, der um eine Ausnahme bat , um den Ehrenvorsitzenden Stephan Hessel (95) zu begrüßen, wandte sich mit einem Lächeln an die Zuhörerschaft und sagte: „es ist, weil wir den Gesetzen wie diesem nicht folgten“, dass Südafrika so weit gekommen ist, wie wir es jetzt haben. Hoffen wir, dass wir auch so weit kommen.
Aus dem Hebräischen : George
Malent; dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs