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An den Toren Gazas

 

Nurit Peled-Elhanan, 26.Januar 2008-01-30

 

Dies widme ich den Helden von Gaza, die noch einmal bewiesen haben, dass keine noch so starke Mauer den freien Geist der Menschlichkeit gefangen nehmen  und keine Art von Gewalt das Leben unterdrücken kann.

 

Der Aufruf, heute  zu den Toren von Gaza zu kommen – auf dem Höhepunkt der Pogrome, die von Schlägertypen der Besatzung gegen die Bewohner des Gazastreifens ausgeführt werden, erinnert an einen anderen Appell, der vor mehr als hundert Jahren in die mitleidlose Welt gesandt wurde. *

„Erhebe dich und geh in die Stadt der Gemetzel

in seine Hinterhöfe und berühre mit eigenen Händen

und sieh mit  eigenen Augen

das vergossene Blut, das getrocknete Gehirn der Toten

auf Baum und Stein, auf Zaun und Mauer.“

 

Woran kann man denken, wenn man vor den Toren Gazas steht?

 

Nur dies: „Dort in der trostlosen Ecke

Dort im schattigen Winkel

Werden zahlreiche Augen aufblicken“

Was können wir uns anderes vorstellen,

wenn wir vor den Toren Gazas stehen

als „ein Baby neben seiner Mutter,

das auf der kalten, milchlosen Brust

Ruhe findet ….

 

Und wie ein Dolch das Wort eines Kleinkindes halbiert

So hört man nur Ma, was seine Mama nicht mehr hört

Sogar jetzt schauen mich seine Augen fragend an.“

 

Und  was können wir diesem Kind sagen, das uns fragend ansieht –

Wir, die wir hier hilflos vor den Toren Gazas stehen?

Was werden wir ihm  und allen hungrigen und kranken Kindern erklären,

die alle im schrecklichen Ghetto gefangen sind, umgeben von Stacheldrahtzäunen,

was können wir den Frühgeborenen sagen, deren Leben in den Brutkästen ausgelöscht wurde,

bevor sie zu leben begannen, weil der Staat der Juden ihnen den Sauerstoff kappte.

Was können wir den Müttern sagen, die in den Straßen Gazas nach Brot für ihre Kinder suchen, Und was sagen wir uns? Nur dies: 60 Jahre nach Auschwitz sperrt der Staat der Juden Menschen in Ghettos und lässt sie verhungern, ersticken und sterben.

 

„Müde bewegt sich eine dunkle Shekinah

von einem Winkel in den andern und kann keine Ruhe finden.

Sie möchte weinen, doch kommen keine Tränen;

Möchte brüllen, bleibt aber stumm.

Ihr Kopf unter den ausgebreiteten Flügeln

Über den Schatten der gemarterten Toten

Ihre Tränen im Dämmern und schweigend vergossen.“

 

Denn heute- während wir vor den Toren Gazas stehen, haben wir keine Stimme, keine Worte und keine Taten.

Da gibt es keinen einzigen Janosch Korschak unter uns, der hineingeht und die Kinder vor dem Feuer schützt. Da gibt es keine gerechten Nichtjuden, die ihr Leben in Gefahr bringen, um die Opfer von Gaza zu retten. Wir stehen einsam und verlassen vor den Toren des Bösen, vor den Zäunen des Todes und gehorchen den rassistischen Gesetzen, die die Kontrolle über unser Leben haben – und wir alle sind hilflos.

 

Als Bialik schrieb:

„Satan hat noch nicht die Rache  für das vergossene Blut eines kleinen Kindes geschaffen,“

war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass das Kind ein palästinensisches Kind aus dem Gazastreifen  und seine Mörder jüdische Soldaten aus dem Lande Israel sein könnten.

 

Und als er schrieb: „Lasst das Blut in den Abgrund fließen

Lasst es in die Tiefen der Finsternis sickern

Und dort vergehen …

Und die verrottenden Grundfesten der Erde brechen ..

 

Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Grundfesten die Grundfesten des Landes Israel sein werden. Dass der jüdische und demokratische Staat Israel den Ausdruck „Blut an seinen Händen“ gebraucht, um die Verweigerung der Entlassung von Freiheitskämpfern und Friedensführern zu rechtfertigen, uns alle in das Blut unschuldiger Säuglinge bis zum Hals, ja bis zu unserer Nase  taucht, so dass jeder Atemzug, rote Blutblasen in der Luft des Heiligen Landes auftauchen.

 

„Und ich – mein Herz – ist tot. Auf meinen Lippen ist kein Gebet mehr.

Alle Stärke ist vergangen – und Hoffnung gibt es nicht mehr.

Bis wann   -  wie lange noch --- bis wann?

 

* Das Gedicht : „Stadt des Mordens“ und  „Über den Mord“ wurde vom jüdischen Dichter Haim Nahman Bialik in Erinnerung an die Opfer des Kishinev Pogroms von 1903, in Russland geschrieben

 

(Dt. Ellen Rohlfs)