Rabbiner Yehiel
Grenimann schreibt:
Unsere Organisation ( Rabbiner für
Menschenrechte) kümmert sich in erster Linie um Menschenrechtsverletzungen
gegen die nichtjüdische Minderheit in unserer Mitte, besonders gegen die
Palästinenser jenseits der „grünen Linie“. Diese Sorge ist das, was hinter der
Initiative von David Forman und anderen Kollegen stand, damals in den dunklen
Tagen der Intifada. Unsere relativ intensive
Einmischung in die Angelegenheit der Häuserzerstörung in „den Gebieten“,
angeführt durch unseren engagierten geschäftsführenden Direktor Arik Ascherman, ist ein natürliches Resultat und eine
Fortsetzung dieser Initiative. In letzter Zeit haben wir uns auch eingebracht
in den Kampf zum Schutz der Rechte der Jahalin-Beduinen,
einen Bereich, dem sich Jeremy Milgrom mit einigem
Erfolg gewidmet hat. Wir haben uns während der allerletzten Jahre ( auf mein
Drängen hin ) auch eingemischt in das
Problem der Rechte der Fremdarbeiter, besonders was den Bereich der
Gesundheitsfürsorge angeht.
Diesen Initiativen liegt unser Wunsch zugrunde, die Entstellung des
israelischen Judentums durch Ultranationalismus, Chauvinismus und sogar
Rassismus durch eine alternative Vision wieder in die richtige Dimension zu
bringen. Diese negativen Phänomene scheinen im Kontext der jüdischen „Rückkehr zur Macht“ und der Realität, eine
Besatzungsmacht geworden zu sein, eingesperrt in einen bitteren Konflikt mit
der indigenen palästinensischen Bevölkerung, zugenommen zu haben. Siedend unter
der Oberfläche der offenkundigen jüdischen Unempfindlichkeit gegenüber den
Rechten „des Anderen“ in diesem Lande
ist auch die traumatische Erinnerung des Nazi-Holocausts und die sich
fortsetzende Tendenz - trotz einer radikal veränderten Realität!- der israelischen und Diaspora-Juden, sich
selbst als Opfer zu sehen. Diese Sicht unserer existentiellen Situation ist,
spirituell gesehen, destruktiv, dient aber auch als Basis für unglückliche
Rationalisierungen eines unethischen und unmoralischen Verhaltens gegenüber
nicht-jüdischen Minderheiten in Israel.
Mitglieder unserer Organisation, sei es, dass sie zur Reformbewegung
gehören, zu den Rekonstruktionisten, den
Konservativen oder den Orthodoxen, haben ein gemeinsames Ziel: ein davon
verschiedenes, menschliches Gesicht des israelischen Judentums darzustellen,
und die Überzeugung, dass dies die authentische Rolle unseres religiösen
Lehrens ist. Wir glauben, dass, wenn unsere Texte vom Volk Israel als „Licht für die Völker“ sprechen oder vom
„Samen Abrahams“ sagen, dass „in dir alle Familien auf Erden gesegnet werden
sollen“ in einem breiten, universalistischen Sinne verstanden und nicht in dem verengten Sinne
interpretiert werden sollten als Rechtfertigung für ein selbstsüchtiges
Stammesbewusstsein (Tribalismus). Die manchmal
brutale Realität der Verletzung von Menschenrechten in diesem Lande schockiert
tief unsere religiöse Sensibilität und was wir tun mit unseren begrenzten
Ressourcen von Zeit, Energie und Geld, ist, das hoffen wir zuversichtlich, die Heiligung des
Gottesnamens ( „kiddusch Haschem“).
Nichtsdestotrotz müssen wir auch der Sorge um die Rechte unserer
jüdischen Mitgenossen Raum geben, besonders ihrer sozialen Rechte in einer
Gesellschaft, die zusehends materialistischer und gefühlloser für die Rechte
und Nöte der Armen und Machtlosen geworden ist. Die Unterscheidung zwischen
individuellen Menschenrechten und den
sozialen Rechten der relativ Machtlosen ist nicht der vorherrschende Zugang zu
den klassischen jüdischen Texten. In den meisten Texten liegt der Nachdruck auf
„Pflichten“, nicht auf „Rechten“.
Die Pflicht, die Rechte der sozial Benachteiligten zu schützen und zu
verteidigen, wird wiederholt in biblischen und talmudischen
Texten betont. Die Botschaft ist klar: Wir sind verantwortlich für „die Witwe,
den Fremden in unserer Mitte und die Waise.“ Wir sind verantwortlich für das
Wohlergehen derer, die für uns arbeiten. In diesen Dingen ist die Unterscheidung zwischen Juden und
Nichtjuden nicht wichtig.
Unglücklicherweise haben die Unterzeichnung von Friedensvereinbarungen
mit den benachbarten arabischen Staaten und die laufenden Verhandlungen mit den
Palästinensern nicht zu einer bedeutsamen Veränderung im Bereich der
Menschenrechte geführt. Unser Werk ist uns vorgezeichnet. Möchten wir mit
Gottes Hilfe weiterhin bestrebt sein, den prophetischen Traum von einer Welt zu verwirklichen, wo der Wolf und das
Lamm in Frieden zusammen leben und Schwerter tatsächlich in Pflugscharen
umgewandelt werden. Es ist nicht an uns, das Werk zu vollenden, aber es ist uns
auch nicht gestattet, davon abzulassen.
Der Eure in Frieden,
Yechiel Grenimann