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Ein Rabbiner kämpft darum, seine palästinensische Herde zu schützen

 

Donald Macinthyre   The Independent, 2.11.10

http://www.independent.co.uk/ news/world/middle-east/a-rabbi-struggles-to-protect-his-palestinian-flock-2121858.html

 

Arik Ascherman sitzt innerhalb einer befestigten und schwer bewaffneten israelischen Polizeistelle in der Westbank. Mit ihm zwei palästinensische Bauern, die er davon überzeugt hat, von einem Diebstahl zu berichten. Mit ihnen zusammen ist noch ein uniformierter Offizier, dem er die Geschichte von Alexander dem Großen  und dem gordischen Knoten erzählt.

Die rabbinische Predigt hat eine Botschaft, die bei dem Polizisten gut ankommt. Mit dem Ruhigeren der beiden Offiziere, mit denen Ascherman eine laute Auseinandersetzung auf Hebräisch hatte: warum die Bauern den Verlust ihrer Leitern vor 14 Tagen nicht meldeten und warum er ihnen nicht sagte, sie sollten zum Distriktkoordinationsbüro  (DCO) gehen, statt hier die kostbare Zeit der Offiziere in Anspruch zu nehmen. Der wütende Kollege des Polizisten stapfte weg, nachdem er den Rabbiner angeschrieen hatte. Du behandelst diese Leute ungerecht. Ich will dir etwas sagen. Du magst sie benötigen, aber sie brauchen dich nicht. Wenn sie sich beschweren wollen, können sie zum DCO auch ohne dich gehen.“

 

Aber Ascherman ist gelassen. Nachdem er ruhig erzählt hat, wie Alexander den Knoten durchgeschlagen hat, fasste er die Parabel zusammen: Philosophisch ist es für mich wichtig, zu wissen, was hier  vor 2 Wochen geschehen ist; pragmatisch möchte ich dieses Problem lösen, damit diese Leute ihre Beschwerde machen können, und wir dahin kommen, dass sie ihr Eigentum zurück erhalten.

Schließlich berichteten die Bauern; ein Sieg, der über zwei Stunden dauerte. „Nach Ordnung der Dinge, ist es nicht viel,“ sagte der in Amerika geborene Rabbiner mit einem Seufzer.“

„Aber es ist ein Teil der Realität hier“.

 

Aschermann kennt die Realität hier, wie kaum ein anderer. Er ist der Direktor der Rabbiner für Menschenrechte, einer Organisation von Aktivisten, die er vor 15 Jahren mitgründete und die er selbst als die „rabbinische Stimme des israelischen Gewissens“ nennt. Wenn dies wie ein hochgestecktes Ziel klingt, so sind Aschermans Bemühungen darum zuweilen gefährlich und immer praktisch – zu keiner Zeit mehr, als während der jährlichen Olivenernte auf der Westbank.

Dieser sonnige Spätoktobermorgen ist der Tag der gestohlenen Leitern. Er begann, während Ascherman mit einer Gruppe israelischer Freiwilliger beschäftigt war, die er jedes Jahr sammelte, um die olivenpflückenden palästinensischen Familien vor den Siedlern zu schützen … Ein Telefonanruf  rief ihn um Hilfe, nachdem Siedler einen an der Hauptstraße geparkten leeren Wagen gegenüber der Siedlung schwer beschädigten …

 

Nach 10 Minuten  Fahrt zu der Stelle, sah er sich den alten weißen Mercedes an: seine Windschutzscheibe war zersplittert, der Schalthebel herausgerissen. Mit dem Photoapparat in der Hand kämpfte er sich dann den steilen, felsigen Abhang hoch, in der Hoffnung, die Vandalen zur Rede zu stellen. Trotz seines Alters – ein jugendlicher 50er – und seinem blauen Hemd, der bunten Kippa …sah er aus wie ein volkstümliches Bild von Jesus.

 

Obwohl er schon mehrere Male von Siedlern angegriffen worden war, lässt er sich nicht von potentieller Gefahr oder dem Hügelstatus beirren, über den er von der Polizei einige Minuten später heftig erinnert wird. Es sei eine militärisch geschlossene Zone. Die Missetäter waren entkommen. Aber oben sah er eine Leiter liegen, genau die Art, wie die palästinensischen Bauern sie zur Olivenernte  oben in den Bäumen benützen. Sie lag auf dem Boden neben einer tiefen Zisterne. Zwei andere Leitern waren in diese gesteckt worden, wo sie ohne Seil und Flaschenzug nicht wieder heraus zu bekommen waren. ….

 

Ascherman nahm die schwere Leiter und ging damit den Hügel hinunter, so schnell wie er hinaufgestiegen war und so sicher wie eine Bergziege.

Denn der Rabbi wusste … dass die beiden Bauern Mohammed Abed, 46 und Ali Abdel Qadr ihre Leitern verloren hatten. In der folgenden langen Debatte mit der Polizei und den Soldaten, die jetzt am Fuß des Hügels versammelt waren, überzeugte er die Soldaten, dass sie entsprechende Maschinen bringen, um die  gestohlenen Leitern aus den Zisternen herauszuholen,  vorausgesetzt, die Bauern stellen  noch offiziell eine Klage bei der Polizei. …

So sah die Tagesarbeit für Ascherman aus, der in Erie, in Pensylvania geboren wurde. Seit seinen frühen 20ern war er  vom alten Konzept des Tikkun Olam (die Welt reparieren)  des Judentums motiviert. Als junger in Havard ausgebildeter religiöser Jude wurde er - nach eigenem Erzählen –als rabbinischer Student aus dem Kollege hinausgeworfen – mit der Begründung, dass er die reale Welt nicht genügend kennen würde. Er akzeptierte dies schnell. 1981 kam er nach Israel, um  hier zwei Jahre  in einem Projekt der Ko-Existenz im israelisch-arabischen Dorf von Tamra zu arbeiten, bevor er mit  der Ausbildung eines Reformrabbiners begann.

Wie er selbst mit einem Lächeln sagt, muss Gott  bei seinen unterbrochenen Studien seine Hand im Spiel gehabt haben. Anfang der 90er-Jahre war er davon überzeugt, dass  er seinen größtern Beitrag für Tikkun Olam hier  erfüllen kann. Seitdem hat er genug an Schlägen und Verhaftungen einstecken müssen. Er rannte auch schon vor einem Bulldozer her, der 2003  Häuser in Ost-Jerusalem zerstören wollte. Verheiratet ist er mit einer Israelin, die selbst Rabbinerin ist. Er ist Vater von zwei Kindern, 7 und 11. Nun ist er verantwortlich für eine Organisation die 1996 aus zwei Leuten bestand und nun aus 20….

 

Bei Falafeln in einer palästinensischen Imbissstube etwas außerhalb von Nablus erklärt Ascherman die Aufgaben der RHR: Menschenrechtskurse, auch in vormilitärischen Kollegs; soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit in Israel, zusammen mit anderen israelischen Gruppen; …. und die palästinensischen Menschenrechte. Das letzte schließt auch eine juristische Initiative ein, die eine Übernahme von Hunderten von Hektar palästinensischen Landes durch Siedlungen rückgängig machten.

Durch RHR  werden vier Anwälte beschäftigt. Ascherman meint: wenn er noch 10 Anwälte hätte, könnte  er 90% des Landraubs in den besetzten Gebieten verhindern. Er erinnert sich an eine persönliche Auseinandersetzung mit einem Siedler, der den glühenden Glauben an das biblische Recht über das ganze Land hatte und ihm sagte: „Du scheinst in einer verzerrten Torah zu lesen“. Ascherman antwortete, indem er sich auf seine Ebene begab: Meine Torah scheint Elemente zu haben, die in deiner fehlen. ZB. „Du sollst nicht stehlen“.

 

Aber RHR ist am meisten wegen seines Schutzes bei der jährlichen palästinensischen Olivenernte und bei der Pflege der Ölivenbaumhaine bekannt geworden; denn diese sind  während des übrigen Jahres nicht ohne Gefahr  zugänglich. Die Idee dazu kam 2002, als Noaf Abu Ghabia, ein Palästinenser,  mitten in der Intifada sich für Koexistenz und Gewaltlosigkeit engagierte und mit den RHR bei mehreren symbolischen jüdisch-arabischen Baumpflanz-aktionen zusammenarbeitete. Er rief um Hilfe gegen Siedler, die die Olivenpflücker im Dorf Yanoun angriffen. RHR begann damit, Freiwillige zu bringen, und drei Jahre später gewannen sie  beim Obersten Gericht eine offizielle Entscheidung, dass die Armee die Erntenden schützt.

…Ascherman sagt, dass die Armee in diesem Jahr – von einigen Ausnahmen abgesehen – im Großen und Ganzen die beiden ersten Forderungen  der Entscheidung erfüllt hätten: die Bauern konnten unter militärischem Schutz zu ihrem Land gelangen, um Oliven zu ernten. Es gab Bauern, die seit 10 und 15 Jahren nicht mehr ihr Land erreichen konnten. Was die Armee nicht verhindern konnte, war das Zerstören von Bäumen  und der Diebstahl von Oliven durch Siedler. RHR möchte beim Obersten Gericht eine neue Entscheidung beantragen.

Ascherman meint, dass die Siedleeraktionen eine Antwort auf einen beginnenden Friedensprozess seien, der für sie eine existentielle Bedrohung für ihre Lebensweise sei. Er zählt eine Reihe Dörfer auf, deren Oliven  teilweise noch vor der Ernte gestohlen , oder wo Bäume vergiftet oder abgesägt worden waren. Dann führt er uns an den vielleicht traurigsten Ort dieses Herbstes: die verbrannten Felder rund um die Hardliner-Außenpostensiedlung von Havat Gilad.

Hier  waren vor zwei Wochen 1500-2000 Bäume von Siedlern verbrannt worden – nach einigen Zeugen sogar in Gegenwart von Militär. Es sei der „Preis“ für die Zerstörung von zwei illegalen Gebäuden im  Außenposten 

Ascherman fasst seine Motive für die Rabbiner und die israelischen Freiwilligen zusammen, warum sie die Olivenernte schützen. Es ist  gerecht, richtig und jüdisch, dies zu tun. Es liegt aber auch im eigenen Interesse. Nur ich als Israeli kann Leute wie Abu Ghabia ermächtigen, dass ihm seine Leute zuhören und nur Leute wie er können mich ermächtigen, dass mir meine eigenen Leute zuhören.

Jeden Tag im Herbst verlässt er sein Haus um 8 Uhr früh und kommt kaum vor 8 Uhr abends oder später nach Hause. „Manchmal schaff ich es auch früher“, sagt er. „meine Kinder haben auch Menschenrechte.“

 

Der Baum des Lebens für die Palästinenser

Der palästinensische Olivenhandel geht Tausende von Jahren zurück. Es gibt etwa 15 Millionen Olivenbäume auf palästinensischem Boden, der etwa 50% des landwirtschaftlich genützten Landes beträgt.

Etwa 10 000 neue Olivenbäume werden jedes Jahr in der Westbank neu gepflanzt. Etwa 25 %  der Ernte endet als Olivenöl.

Oliven gehören zum Grundnahrungsmittel der nationalen Küche, als Oliven und als Öl. Viele lokale Züchter benützen noch traditionelle Anbaumethoden und  weigern sich, Pestizide oder Herbizide für ihre Bäume zu benützen. Palästinensisches Olivenöl hat einen ausgeprägt strengen, bittern und scharfen Geschmack, verglichen mit dem aus anderen Mittelmeerländern.

Der Olivenbaum, der  Hunderte von Jahren leben kann, ist auch ein Symbol der palästinensischen Entschlossenheit, in ihrem Land zu bleiben. Während der letzten 10 Jahre hat Israel schätzungsweise 1,2 Millionen fruchttragende Bäume ausgerissen, von denen die meisten Olivenbäume waren.

Etwa 100 000 Palästinenser sind in der Oliven-Industrie beschäftigt, die etwa 100 Mill.$ im Jahr einbringt.

 

(dt. und stark gekürzt: Ellen Rohlfs)